Der Ton von „American Hustle“ wird gleich in der Eröffnungsszene vorgegeben. In der sehen wir den Hochstapler Irvin Rosenfeld (Christian Bale) vor dem Spiegel, wie er sich minutiös die Halbglatze mittels elaboratem Überkämmen verdeckt. Eine Szene später wird diese absurde Frisur den ersten großen Lacher des Films bringen, wenn FBI-Mann Richie DiMaso (Bradley Cooper) ihm die mühsam aufgebaute Frisur versaut, um Irving vor seiner Freundin Edith Lisley (Amy Adams) lächerlich zu machen, die eigentlich mit Irving zusammen ist, aber auch DiMaso schöne Augen macht. Irving und Edith machen mit DiMaso auch nur gemeinsame Sache, weil dieser die beiden unter Gefängnisandrohung zwingt, mit ihren Schwindeleien Politiker der Korruption zu überführen. Als Irving dann aber den Politiker Carmine Polito (Jeremy Renner) überführen soll und dann die New Jersey Mafia involviert wird, fängt der große Schwindel langsam an, aus dem Ruder zu laufen...
Wenn „American Hustle“ etwas zeigt, dann den Einfluss von Martin Scorsese auf das amerikanische Kino. Laut Cooper sind sowohl er als auch Russell große Scorsese-Fans, und nirgendwo zeigt sich das in Russells Werk so deutlich wie hier. Denn während der Maestro selbst sich ebenfalls gerade in Komödiengefilden mit Schwindlern aufhält, liefert Russell hier die Art von Komödie ab, die man erwarten könnte, wenn Scorsese anstatt der Wall Street im heimischen New York geblieben wäre und das Ganze in den 70ern statt den 80ern angesiedelt hätte. Mit mühsam antrainiertem Bronx-Akzent gibt Christian Bale seine beste De Niro-Interpretation, und das mit vollem Erfolg. Da lässt sich dann Jeremy Renner nicht lumpen und gibt seinerseits seine beste Joe-Pesci-Imitation, inklusive der klassischen Pesci-Haartolle.
Das ist zwar zu einem gewissen Maße Pastiche, aber eben nicht offene oder billige Parodie, und daher kann und muss man diese Charaktere trotz ihrer offensichtlichen Absurditäten (und damit meinen wir nicht nur die schrillen 70er Jahre-Haare und Klamotten) ernst nehmen. Wie ernst, das zeigt sich zunehmend in der zweiten Filmhälfte, wenn die Lacher beizeiten fast schockierend zurückgefahren werden und sich eine ernste, in manchen Fällen verzweifelte Stimmung breitmacht, wenn diverse Charaktere immer tiefer in den selbstkreierten Schlamassel hineingezogen werden. In diesen Momenten zeigt sich auch, warum David O. Russell trotz seiner berüchtigten explosiven Streitszenen am Set (man frage mal George Clooney nach „Three Kings“ oder Lily Tomlin nach „I Heart Huckabee's“) immer noch erstklassige Besetzungen zusammenbekommt: Weil bestimmte Szenen ein Traum für die beteiligten Schauspieler sind. Adams, Bale, Cooper und Lawrence bekommen jeweils große Szenen ab, die quasi als Eintrittskarte für die Oscars zu verstehen sind, was dann ja auch als Rezept komplett aufgegangen ist. Alle vier sind für Oscars nominiert, alle vier vollkommen zurecht. Da kann man dann auch darüber hinwegsehen, dass Lawrence für ihre Rolle – wie auch Renner für die seine – zu jung ist.
Das größte Trumpfass im Ärmel dieser Trickser und Schwindler ist aber der hierzulande so gut wie unbekannte Comedian Louis C.K. In der Rolle als DiMasos Boss Stoddard Thorsen. Angesichts der ganzen Freaks um ihn herum spielt Louis CK hier den straight man, den Normalo, und seine unglücklichen bis verzeifelten Gesichtsausdrücke, als DiMasos Undercoveraktion immer weitere und absurdere Kreise zieht, sind schon fast das Eintrittsgeld wert. Von dem running gag seines Charakters mal ganz zu schweigen: Bei fast jedem Meeting mit DiMaso will Louis C.K. eine Anekdote seiner Kindheit erzählen und jedes Mal unterbricht ihn der nervöse DiMaso mit seiner Vermutung der Moral der Geschichte für ihn. Die Eisfischen-Anekdote und die vergeblichen Versuche, sie zu Ende zu hören – ganz feine Komödienklasse.
Und auch Christian Bale zeigt hier in einer ungewöhnlichen Rolle, was er kann. Dass er seinem Körper ja für Rollen diverse Exzesse zumutet, hat man bereits in „The Machinist“ und „The Fighter“ gesehen, dieses Mal geht er nach den Extremdiäten den anderen Weg und hat sich eine mächtige Plautze angefressen, die er dann auch entsprechend stolz zur Schau stellt. Aber viel wichtiger: Bale hat sichtlich Spaß an der Rolle. In ein paar Wochen ist er ja auch in „Auge um Auge“ zu sehen und dort spielt Christian Bale gewohnt gut, aber relativ eindimensional, während er sich hier erfolgreich an einem ganzen Gefühlsspektrum versuchen darf. Und Amy Adams darf man sowohl zu ihrem mutigen Körper- bzw. Dekolletéeinsatz beglückwünschen als auch zu einer Rolle, die deutlich mehr hergibt als die übliche „Freundin“-Rolle.
Der einzige große Kritikpunkt ist die exzessive Länge von „American Hustle“. Dieser Tage sind Filme ja generell zu lang, im Falle von Komödien fällt dies allerdings noch dramatischer auf. Ist es wirklich notwendig, dass Scorseses „Wolf of Wall Street“ deutlich länger ist als „Spartacus“ und 25 Minuten länger als „Die Brücke am Kwai“? Wieviel epischen Raum braucht eine Komödie, bevor sich das Amüsement in die Breite dehnt und vollkommen logisch diverse Längen zum Vorschein kommen? Auch „American Hustle“ ist davor nicht gefeit und diesen Film hätte man ohne große Verluste an Lachern oder Tiefe auch in unter zwei Stunden ans Ziel bringen können. Aber Dekadenz und Exzess im Film spiegeln vielleicht auch Dekadenz und Exzess hinter der Kamera und im Schneideraum wieder, und „American Hustle“ verliert sich beizeiten wie die meisten Tarantino-Filme in den Rhythmen der zugegebenermaßen feinen Dialoge und den Marotten der zugegebenermaßen amüsanten Figuren. Auf der Strecke bleibt dabei die Geschichte selbst, die aber ja eh nur Aufhänger zu sein scheint, um die Figuren von einer Absurdität zur nächsten zu bringen. Stören tun einen diese Schwächen während des Films nur wenig, dass sie existieren ist aber nicht von der Hand zu weisen. Andererseits: Welcher Film von David O. Russell (von dem schwächeren „The Fighter“ mal abgesehen) hat sich denn je geradlinig von Punkt A nach Punkt B bewegt?
Und seine laute wilde Art des Filmemachens ist hier perfekt zu Hause. „American Hustle“ ist wunderbares Amüsement und ein Paradebeispiel, wie man kunstvolles Kino und Unterhaltung für die Massen unter einen Hut bekommen kann, sofern letztere nicht Kampfroboter oder Superhelden fordern. Ein wenig erinnert „American Hustle“ mit seinen meist leichtfüßigen Dialogen und den Plottricksereien an den ersten Film der „Oceans Eleven“-Reihe, der ähnlich elegant das Champagnerkino des klassischen Hollywood mit seinem eigenen Twist versah. Es zeigt darin auch, warum ein Florian Henckel von Donnersmarck mit seinem bleischweren „Tourist“ so dermaßen auf die Nase fiel. Um diese Art von Film hinzubekommen bedarf es entweder einer delikaten Balance (Soderbergh) oder einer wilden „Das passt schon“-Attitüde (Russell), aber eben nicht formale aber leblose Eleganz (Donnersmarck). Zumal die Story der Hustler hier quasi Sinnbild für Russell selbst ist. Seine Filme sind ja oftmals ebenfalls elegante Tricksereien und Gaunerstücke: Bei einem zweiten Ansehen sind seine Bluffs vielleicht offensichtlich, bei einem ersten Ansehen geht man Russell willentlich und gerne auf den Leim.
Wer sich im Kino mal richtig schön amüsieren will und gleichzeitig ein auf allen Ebenen überzeugend gearbeitetes Stück Film sehen will, der kommt an „American Hustle“ nicht vorbei. Zum ganz großen Klassiker fehlt es etwas an Stringenz und Konzentration, aber solche Art von „einfach nur großes Entertainment“ abseits von CGI-Orgien findet man ja mittlerweile so selten, dass es fast als Alleinstellungsmerkmal durchgeht. Daher also: „American Hustle“ ist ein Pflichttermin für Kinofreunde allerorts. Nur die Pointe der Eisfischgeschichte, die sollten Sie nicht mit gespanntem Atem erwarten.
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