Die sogenannten period pieces haben sich in letzter Zeit zu einem ziemlich verlässlichen Erfolgsgaranten fürs englische Kino entwickelt, was nicht zuletzt an ihren stets stilvollen und eleganten Kostümen liegt. Wenig Wunder war es daher, als im März mal wieder ein Vertreter dieses Genres den Oscar für das beste Kostüm einheimste, nämlich "Young Victoria", ein Historien-Drama, das, wie der Titel bereits vermuten lässt, die Geschichte der jungen Königin Victoria erzählt, die von 1837 bis 1901 auf dem britischen Thron saß. Emily Blunt, die zuletzt in "Wolfman" im Kino zu sehen war, verkörpert die zwischen Liebe und Pflichterfüllung hin und her gerissene Victoria dabei mit viel Gefühl und noch mehr Klasse. Dass "Young Victoria" dabei nicht immer ganz historisch korrekt daherkommt, stört angesichts des hohen Schmachtfaktors nicht weiter. Jan-Marc Vallée ist mit "Young Victoria" nämlich ein wundervoll ausgestattetes und gespieltes Denkmal für Englands jüngste Königin gelungen.
England im Jahre 1837: Prinzessin Victoria (Emily Blunt) ist 18 Jahre alt und wird von ihrer Mutter (Miranda Richardson), der Herzogin von Kent, und deren rechter Hand Sir John Conroy (Mar Strong) noch immer behandelt, als sei sie ein kleines Kind. Victoria wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich von der Tyrannei ihrer Mutter zu flüchten und die englische Thronfolge in Anspruch zu nehmen, auch wenn man sie dafür noch für zu jung hält. Während all den Machtspielen der Aristokraten trifft Victoria mit ihrem ungezügelten Temperament auf Prinz Albert von Saxen-Coburg und Gotha (Rupert Friend), der der einzige Mensch zu sein scheint, in dem sie einen Verbündeten findet. Es dauert nicht lange, da verliebt sich Albert in Victoria, auch wenn sein Onkel König Leopold (Thomas Kretschmann) gänzlich andere Heiratspläne für ihn hat. Eine Situation, die nicht gerade einfacher zu meistern wird, als Victoria gekrönt wird und sich in den Wirren von höfischen und politischen Intrigen zurechtfinden muss. Kann sie sich dabei auf ihre große Liebe Albert verlassen?
Es gibt nicht viele Jungdarsteller, die solche große Rollen tragen können, aber Emily Blunt und Rupert Friend sind eindeutig zwei davon. Die Chemie der beiden ist nicht nur unglaublich intensiv und emotional, sondern fast schon ansteckend, ganz zu schweigen von ihrer absolut überzeugenden Verkörperung von Königin Victoria respektive Prinz Albert. Auch wenn die durchweg fühlbare, fast magische Harmonie zwischen den beiden zu einem Gutteil auch der gelungenen Dramatisierung der (historischen) Geschichte durch Drehbuch-Autor Julian Fellowes ("Gosford Park") geschuldet ist, so hätte die Wahl der Darsteller kaum besser ausfallen können. Ohnehin ist die Besetzung des Films zugleich auch eine seiner größten Stärken.
Es ist die bezaubernde Jugendlichkeit der beiden Hauptakteure, die der Geschichte wichtige Authentizität verleiht trotz des "gewichtigen" historischen Stoffes. Natürlich ist das alles reichlich pathetisch in Szene gesetzt, vor allem während Victorias Krönung, wenn es dreimal laut "God save the Queen!" durch die Kirche hallt, oder sie und Albert sich ewige Treue und Hilfe schwören, aber dennoch erscheint dies aufrichtig und ehrlich, zumal eine Heirat zur damaligen Zeit - auch das macht der Film deutlich - mehr einem Zweckbündnis gleichkam als aus purer Zuneigung und Verbundenheit geschah.
Es sind ebenjene Momente im Film, die nicht nur detailreich und handwerklich nahezu perfekt inszeniert sind, sondern auch den Zuschauer emotional sehr stark einbinden. Weniger, weil man sich mit den beiden identifizieren kann, sondern weil sie als quasi überlebensgroße Vorbilder für die wahre Liebe inszeniert sind - in dieser Hinsicht funktioniert "Young Victoria" perfekt als jenes Märchen der großen Liebe in edlen Adelskreisen, die bunte Boulevard-Postillen auch heutzutage immer gerne heraufbeschwören. Wirkungsvoll untermauert wird dies durch Ilan Eshkeris fantastischen Soundtrack, der ganz in der Tradition von Kostümdramen wie "Stolz & Vorurteil" oder "Abbitte" ebenfalls auf große Emotionen setzt.
Das Ganze ist effektiv und stringent in dramatisierter Form aufbereitet, so dass die Geschichte Victorias für Jedermann zugänglich ist, und anstatt durch die komplette Historie Victorias zu hetzen, setzt Vallées Film eigene Akzente und konzentriert sich auf das, was ihm wichtig ist. Den Rest dürfen ein paar Texttafeln erzählen, die zwar fast schon wie Standard im Genre anmuten, vor allem dank der musikalischen Untermalung aber im Gedächtnis bleiben. Wie der Film selbst, denn "Young Victoria" ist nichts Geringeres als der Schmachtfetzen des Jahres. Und das ist absolut positiv gemeint.
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