MOH (130): 15. Oscars 1943 - "Der große Wurf"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge war die größte Dramatik hinter den Kulissen zu finden. Dasselbe könnte man in gewisser Weise auch über unseren heutigen Film sagen, der aber leider deutlich unspannender daherkommt.
Der große Wurf
Nach nun über 100 Filmen ist mein Blick inzwischen ja schon ein wenig geschulter, was die damalige Regisseur-Landschaft angeht. Oft verknüpfe ich bereits bei den ersten Credits des Films gewisse Erwartungen mit manchen Namen, auch wenn zur damaligen Zeit natürlich die Rolle des Regisseurs im Produktionsprozess deutlich weniger mächtig als heute daherkam. Der Name Sam Wood, der in dieser Reihe ja nun schon öfter aufploppte ("Kings Row", "Unsere kleine Stadt", "Auf Wiedersehen, Mr. Chips"), löst dabei jetzt nur bedingt Begeisterung aus. Ein wenig tue ich ihm sicher unrecht, weil das schon immer ganz ordentliches Handwerk ist, was er abliefert. Aber das gewisse Etwas (ich verweise hier mal auf solche Kollegen wie William Wyler, Ernst Lubitsch oder natürlich Orson Welles) gibt es bei ihm eher selten zu sehen.
Womit wir dann auch bei einem (aber nicht dem größten) Kritikpunkt des Baseball-Dramas "Der große Wurf" landen. Das kommt nämlich in Sachen Inszenierung einfach viel zu glatt daher und kann gerade bei den Sportszenen nie wirklich den Adrenalinspiegel heben. Dabei steckt die dem Film zu Grunde liegende wahre Geschichte, nämlich die Karriere und vor allem der tragische frühe Tod des legendären Baseballstars Lou Gehrig, voller Potential und Emotionen. Und sogar dessen alten Teamkollegen, allen voran Baseball-Legende Babe Ruth, sind hier auch noch als Schauspieler mit an Bord, um das Leben ihres alten Kollegen filmisch zu würdigen. Dass am Ende aber lediglich ein sehr charismatischer Gary Cooper diesen Film für das heutige Publikum zusammenhält, liegt vor allem daran, dass man "Der große Wurf“ eher als heroische Fantasy denn echte tiefschürfende Biografie angelegt hat.
Unsere "Biografie“ startet mit den Anfängen von Lou Gehrig (Gary Cooper, "Bengali", "Mr. Deeds geht in die Stadt"), einem jungen, talentierten Baseballspieler, der sein Glück im Sport sucht, obwohl gerade seine Mutter (Elsa Janssen) andere berufliche Erwartungen an ihn hat. Schon früh zeigt sich aber, dass Gehrig ein außergewöhnlicher Athlet ist. Ausgestattet mit einem Vertrag bei den New York Yankees darf er schon bald an der Seite von so berühmten Kollegen wie Babe Ruth, Mark Koenig oder Bob Meusel (alle gespielt von sich selbst) agieren. Gefördert wird er dabei von dem befreundeten Sportjournalisten Sam Blake (Walter Brennan, "Sergeant York") und seiner späteren Lebenspartnerin Eleanor (Teresa Wright, "Die kleinen Füchse"). Gehrig schert sich dabei nicht um Ruhm und lebt lieber ein bescheidenes aber scheinbar perfektes Leben – bis eines Tages eine tödliche Krankheit alles auf den Kopf stellen wird.
Wenn man diese Inhaltsbeschreibung liest, scheint es relativ klar zu sein, wo hier das große dramaturgische Potenzial steckt: Ein außergewöhnlicher Athlet wird während seiner Karriere mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert. Klingt interessant, ist aber leider nicht der Fokus dieses Films. Erste Anzeichen für Gehrigs fatale Krankheit, er wurde 1939 mit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) diagnostiziert und starb nur zwei Jahre später, treten hier nämlich erst nach über anderthalb Stunden auf. Noch entscheidender, die damit verbundenen Folgen für Gehrig werden dann auch noch relativ oberflächlich in einem sehr kurzem Zeitraum abgefrühstückt. Da wird also ordentlich dramatisches Potenzial verschenkt, doch hakt es hier dramaturgisch nicht erst im Schlussdrittel. Alles, was davor folgt, kommt nämlich auch so konfliktarm daher, dass eine Spannungskurve in "Der große Wurf" eigentlich nicht existent ist. Warum das so ist, offenbart ein Blick in die damalige Zeitgeschichte oder, noch offensichtlicher, auf den einleitenden Text, der uns zu Beginn des Filmes gezeigt wird:
This is the story of a hero of the peaceful paths of everyday life. It is the story of a gentle young man who, in the full flower of his great fame, was a lesson in simplicity and modesty to the youth of America. He faced death with that same valor and fortitude that has been displayed by thousands of young Americans on far-flung fields of battle. He left behind him a memory of courage and devotion that will ever be an inspiration to all men. This is the story of Lou Gehrig.
"Der große Wurf“ fokussiert sich in seinem Porträt von Lou Gehrig vor allem auf die ersten beiden Sätze dieses Einleitungstextes. So bekommen wir eine einfach gestrickte, aber grundsympathische Hauptfigur, die keinerlei innere Dämonen besitzt und einfach lange von einem Erfolg zum nächsten eilt. Und dabei natürlich stets bescheidend bleibt. Klingt schön, aber eine der wichtigsten emotionalen Grundwährungen eines Films ist nun mal der Konflikt, und der ist hier lange weit und breit nicht zu sehen. Wenn ein solcher dann doch mal kurz angedeutet wird, wie der Verdacht einer möglichen Untreue von Gehrig gegenüber seiner Frau, wird sehr schnell eine komplett harmlose (und manchmal sogar regelrecht niedliche) Erklärung nachgereicht. Warum das alles hier so brav daherkommt? Nun, der Einleitungstext verrät auch das. Man möchte nämlich eine anständige Inspiration für alle Männer da draußen sein. Hingabe, Bescheidenheit, Mut und Liebe – diese Tugenden sollen dem amerikanischen Volk mit diesem Film in Kriegszeiten vermittelt werden. Weswegen man im Einleitungstext auch gleich noch Lou Gehrigs privates Schicksal mit dem Schicksal der Soldaten auf dem Schlachtfeld gleichsetzt.
Gerade letzteres kann man dann schon etwas kritisch betrachten, da der Film Gehrigs Tod damit ja gewissermaßen für seine ganz eigene Agenda ausnutzt. Der große Erfolg des Werkes damals an der Kinokasse lässt aber auch den Verdacht aufkommen, dass das amerikanische Volk damals genau solch einen Film wohl auch gebraucht hat. Um das wiederum zu verstehen, muss man den Film im damaligen Kontext betrachten. Der überraschende Tod des beliebten Baseball-Stars war ein großer Schock für das Land – und da der Film bereits weniger als zwei Jahre nach dessen Ableben veröffentlicht wurde, auch noch ziemlich frisch im Gedächtnis der Nation verankert. Alleine die Tatsache, dass hier Gehrigs alte Teamkollegen an der Seite von Gary Cooper ihren Freund sozusagen nochmal verabschieden, dürfte damals vielen einen ziemlich emotionalen Schauer über den Rücken gejagt haben. Insbesondere die Umsetzung der berühmten großen Abschiedsrede von Gehrig, die hier nur leicht verändert nachgebaut wird und bei der alte Originalwegbegleiter wie einst im echten Leben Spalier stehen.
Aus heutiger Sicht betrachtet man dies natürlich etwas distanzierter, und da treten dann die erzählerischen Schwächen des Films doch deutlich zutage. Überraschungen gibt es kaum, und unser Held wird stets in strahlendem aber eben auch eintönigem Licht präsentiert. Wenn Gehrig einem kranken Kind zwei Homeruns in einem Spiel verspricht, wird das natürlich auf ziemlich kitschige Weise direkt danach eingelöst. Mit einer einfühlsamen und packenden Inszenierung könnte man diese Story-Monotonie vielleicht noch ein bisschen auffangen, aber gerade viele der Baseball-Szenen sind so statisch und langweilig inszeniert, dass der Puls nie höher schlägt. Am deutlichsten zeigt sich die Schwäche von Sam Woods’ Regie bei den zahlreichen Montagen, die relativ uninspiriert immer wieder versuchen, Zeitabschnitte in Gehrigs Leben zusammenzufassen. Wenn man aber halt nur die Schlagzeilen von Zeitungsartikeln abfilmt oder im Schnelldurchlauf Baseball-Szenen zeigt, hilft das wenig, um in diesen Fällen echte Emotionen zu schüren oder eine interessante Weiterentwicklung der Figur zu vermitteln.
So verlässt man sich lieber auf die Stärke der Nostalgie und den Promi-Power, wie eine weitere Szene perfekt unterstreicht. Da besucht Gehrig mit Eleanor eine Tanzaufführung, und aus heutiger Sicht ist man irritiert, dass man gefühlt für Minuten nur die Tänzer, aber kaum unsere Hauptfiguren sieht. Bis man sich daran erinnert, dass der Film ja in seinen Credits auch noch groß das (damals) berühmte Tänzerpaar Veloz und Yolanda angekündigt hat. Deren langgezogener Auftritt fügt der Geschichte nun wirklich überhaupt nichts Interessantes bei, ist aber eben ein weiterer gefeierter Promi-Auftritt in dieser nostalgischen Heldenverklärung. Wobei manchen Quellen zufolge Produzent Samuel Goldwyn diesen Auftritt vor allem auch als Lockmittel für das weibliche Publikum einbauen ließ.
Bei all dem Frust über diese inhaltliche Leere soll aber nicht verschwiegen werden, dass "Der große Wurf" trotzdem hier und da noch niedlich genug ausfällt, um einen zumindest nicht ganz einschlafen zu lassen. Wenn nach den bereits angesprochenen zwei Homeruns in einem Spiel Gehrigs Familie voller Freude Polonaise tanzt, dann muss man schon auch grinsen. Vor allem, wenn Gehrigs Vater noch schnell das Bild von jenem hart arbeitenden Onkel Otto umdreht, den man früher noch als Vorbild für Gehrig angepriesen hatte. Immer mal wieder streut der Film so ein paar kleine Details ein, die trotz ihrer Banalität dann doch ganz süß daherkommen. Größtes Plus des Films ist aber sein Hauptdarsteller, denn ähnlich wie in "Sergeant York" schafft es Gary Cooper auch hier wieder, einer sehr schlicht angelegten Figur ziemlich viel Charisma zu verleihen. Dazu stimmt auch dessen Chemie mit Teresa Wright, auch wenn deren Rolle ebenfalls nicht sonderlich komplex daherkommt.
Das tragische Ende fühlt sich dann aber wiederum viel zu überhastet an. Vermutlich, weil man zu viel Tristesse seinem Publikum nicht zumuten möchte. Höhepunkt ist dabei die schon erwähnte große Abschiedsrede Gehrigs im Stadion der New York Yankees, die für sich dank Coopers starker Leistung zwar ganz ordentlich funktioniert, im Vorfeld aber halt nicht den nötigen emotionalen Unterbau erhalten hat, um wirklich intensiv zu Tränen zu rühren. Was bei so einer Geschichte eigentlich drin gewesen sein müsste. Das sah die Academy damals auf jeden Fall anders und nominierte den Film gleich für elf Awards, darunter "Bester Hauptdarsteller", "Beste Hauptdarstellerin", "Beste Kamera" und "Beste Original Story". Lediglich die Auszeichnung für den besten Schnitt ging aber am Ende an den Film und Cutter Daniel Mandell.
So bleibt festzuhalten, dass die Geschichte Gehrigs, dessen Name noch heute in den USA untrennbar mit ALS verbunden ist (dort wird die Krankheit immer noch Lou Gehrig's disease genannt), definitiv einen besseren Film verdient gehabt hätte. Durch das reine Bespielen der Sehnsüchte der damaligen Zeit hat man aber ein Werk geschaffen, das nur im Kontext seiner Zeit so richtig seine Kraft entfalten konnte.
"Der große Wurf" ist aktuell nur als Import-DVD (Region 1 Code) auf Amazon in Deutschland verfügbar.
Trailer des Films.
Eine der typischen Baseball-Montagen des Films.
Die berühmte Abschlussrede von Lou Gehrig im Film
Ausschnitte aus der Originalrede von Lou Gehrig
Ausblick
In unserer nächsten Folge wird ebenfalls wieder ein klangvoller Name der wohl größte Lichtblick eines eher durchschnittlichen Filmes sein.
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