Der zweite Anthologie-Ableger nach "Rogue One" des "Star Wars"-Universums widmet sich der Vorgeschichte des wohl beliebtesten SW-Charakters, Han Solo. Und die (halbwegs) interessante Frage an diesem Projekt war, in welche Richtung man die "Origin Story" dieser Figur erzählen würde. Es gab immerhin verschiedene Möglichkeiten. Wir erinnern uns: Mit das Erste, was man damals 1977 von Han Solo sah, war ein kaltblütiger Mord - in der Cantina in Mos Eisley erschoss er den Kopfgeldjäger Greedo, der ihn an Jabba the Hutt ausliefern wollte, bevor Greedo selbst schießen konnte. Zumindest, bis George Lucas ab dem Re-Release der Original-Trilogie Ende der 90er Jahre anfing, an seinen Ursprungswerken herumzudoktern und dem Film eine ziemlich lächerliche halbe Sekunde hinzufügte. Seitdem schießt Greedo zuerst und bringt das Kunststück fertig, aus einem Meter Entfernung vorbeizuschießen (jüngere Star Wars-Anhänger, die mit der resultierenden Fan-Kontroverse nicht vertraut sind, mögen bitte "Han shot first" bei YouTube eingeben - die Sache ist mannigfaltig dokumentiert und besprochen). Sinn der Sache war so etwas wie eine moralische Ehrenrettung, um Han Solo zu einem letztlich harmlosen netten Kerl zu machen, der nur in Notwehr jemanden erschießen würde, und eben nicht so kaltblütig, wie er es ursprünglich getan hat.
Die Vorgeschichte eines kaltblütigen Han Solo hätte sicherlich interessant sein können, immerhin hat George Lucas eine ganze zweite Trilogie darauf verwandt zu erzählen, wie aus dem guten Anakin Skywalker einer der größten Bösewichte der Filmgeschichte wurde. Da "Star Wars" mittlerweile ein Disney-Produkt ist, darf man sich indes nicht wundern, dass man dort nicht wirklich Interesse hatte, mit dem äußerst populären Weltraum-Schmuggler in allzu düstere Gefilde abzudriften und sich also eher an der harmloseren, "Greedo shot first"-Version der Figur orientierte. Alternativ hätte es auch in eine ganz andere Richtung gehen können, immerhin standen Han Solo und sein Co-Pilot Chewbacca für die augenzwinkernd-lustigen Aspekte des Ur-"Krieg der Sterne", mit ihrer gewissen Haudrauf-Mentalität und der Fähigkeit, sich mit halbbedachten Aktionen in neue Schwierigkeiten zu bringen. Als die Köpfe hinter dem "Lego Movie" Phil Lord und Christopher Miller für die Regie von "Solo" angeheuert wurden, konnte man tatsächlich ein wenig auf einen wilden Ritt mit anarchischem Humor hoffen. Es bleibt ein Geheimnis, was für ein Film "Solo" unter ihrer Ägide geworden wäre, denn die beiden wurden während der Produktion von der hauptzuständigen Disney-Produzentin Kathleen Kennedy gefeuert und durch den Veteran Ron Howard ersetzt - quasi: jung und wild ausgetauscht gegen Routine, Kontinuität und Verlässlichkeit.
Tja, und so fühlt sich "Solo: A Star Wars Story" nun auch an. Die hier präsentierte Vorgeschichte von Han Solo ist nichts Halbes und nichts Ganzes, da sie sich in ihrer Tonalität immer wieder in verschiedene Richtungen vortastet, es aber nie wagt, irgendwohin wirklich weit vorzudringen. Es ist ein Film, der sich perfekt an das klare "Bloß kein Risiko!"-Mantra des neuen "Star Wars" unter Disney-Führung hält. So, wie schon "Das Erwachen der Macht" ein einziger, wagnisloser Fan-Service-Film war (wenn auch als solcher verdammt gut funktionierend), will auch "Solo" nicht wirklich irgendwas risikieren - und erzählt somit eine Vorgeschichte, die man sich eigentlich auch hätte sparen können, weil sie dem Charakter nichts Interessantes hinzu fügt.
Wir lernen hier Han Solo als jungen Mann auf seinem Heimatplaneten kennen, so etwas wie die Mega-Ausgabe eines von Gangster-Banden beherrschten, schmutzigen Hafen-Viertels. Und wie es sich für jeden jungen Mann vom "Star Wars"-Universum bis hin in jede x-beliebige dreckige US-Kleinstadt gehört, träumt auch das Schlitzohr Han Solo davon, es aus diesem Loch heraus zu schaffen und da draußen in der weiten Welt seine Freiheit zu leben, zusammen mit seinem Mädchen. Das ist tatsächlich die einzig relevante, pseudo-schockierende Addition zu Solos Figur in dieser Backstory: Es gab tatsächlich eine große Liebe in seinem Leben vor Prinzessin Leia. Die Gute heißt Qi'ra, wird gespielt von Emilia Clarke (die ikonenhafte Daenerys Targaryen aus "Game of Thrones") und ist hier der Haupt-Handlungs-Motivator für Han, nachdem ihr gemeinsamer Fluchtplan von ihrer Heimatwelt misslingt und Han sich darum für die Piloten-Ausbildung in der imperialen Armee freiwillig meldet, um es irgendwann mit einem eigenen Raumschiff zurück zu schaffen und Qi'ra zu befreien.
"Han Solo in der Imperialen Militärakademie" - das hätte mal ein ziemlich unterhaltsamer Film werden können. Leider zeigt "Solo" davon aber leider gar nichts, legt einen kleinen Zeitsprung hin und erzählt stattdessen, wie der junge Han in die Welt der Schmuggler und Banditen hineinrutschte, die von nun an sein Zuhause werden sollte. Es ist quasi die kriminelle Unterwelt des "Star Wars"-Universums, die wir hier kennenlernen, bevölkert von ausgebufften Ganoven (Woody Harrelson und Thandie Newton) und ihren rücksichtslosen, megareichen Auftraggebern (Paul Bettany). Und was ein wenig irritiert ist, wie wortwörtlich düster es dabei häufig zugeht. Als hätte man sich bemüht, eine gewisse Stil-Einheitlichkeit mit "Rogue One" aufrecht zu erhalten - der ja als vergleichsweise finsterer Kriegsfilm im SW-Universum daherkam - sind auch viele Settings in "Solo" auffällig dunkel und in bedrückender Stimmung gehalten. Was sich nur leider beißt mit der herausgestellten Ungerührtheit der meisten Figuren und der ständigen Sprücheklopferei, inklusive eines neuen, großmäuligen Androiden.
Eigentlich hätte man aus diesem Streifen eine ziemlich launige Angelegenheit machen können, eine Wild-West-mäßig angehauchte Mär von Banditen im Weltraum (wie man das auf absolut grandiose Weise umsetzt, hat vor über 15 Jahren bereits Joss Whedon mit seiner tragisch kurzlebigen Fernsehserie "Firefly" vorgemacht). Der Quasi-Cowboy Han Solo wäre für so etwas prädestiniert gewesen, und ein paar Western-Motive finden sich hier in der Tat wieder (Zug-Überfall; Pokerspiel). Aber wie gesagt: So richtig traut sich "Solo" halt in keine Richtung. Auch nicht in diese.
Stattdessen gibt es halt den nun schon gewohnten "Fan Service", und nach "Rogue One" schält sich hier langsam ein Prinzip bei den Anthologie-Filmen heraus, nämlich aus drei Halbsätzen in der Original-Trilogie einfach einen ganzen Film zusammenzuschustern. Im Prinzip tut "Solo" nicht viel mehr, als brav eine Checkliste an Motiven abzuhaken, die man als genauer SW-Kenner in einer "Origin Story" Han Solos erwarten durfte. Punkt Eins: Das erste Zusammentreffen und Kennenlernen mit seinem getreuen Co-Piloten Chewbacca. Punkt Zwei: Seine Vorgeschichte mit Lando Calrissian (hier gespielt von Donald Glover) und das Gerangel der beiden um den Besitz des "Millenium Falcon" (zwei Halbsätze in "Das Imperium schlägt zurück" deuten an, dass das Schiff ursprünglich Lando gehörte). Punkt Drei: Der sagenumwobene "Kessel-Run" (in "Krieg der Sterne" ursprünglich mit "Kossal-Flug" synchronisiert), mit dem Han Solo einst gegenüber Luke und Obi-Wan prahlte, wie schnell sein Schiff ist.
Der Rest ist eine ziemlich simpel gestrickte Mär entlang einem "Ich will eigentlich nur mein Mädchen zurück, verstricke mich dabei per Gaunereien aber in ziemliche Schwierigkeiten und muss versuchen, mit weiteren Gaunereien aus diesen Schwierigkeiten wieder raus zu kommen"-Plot, der eigentlich viel zu dünn ist, um eine Laufzeit von über zwei Stunden zu rechtfertigen. Aber man hat es hier halt nicht eilig, dehnt jede Action-Sequenz mächtig aus und feuert aus allen Budget-Kanonen. In der Hand eines Routiniers wie Ron Howard ist das Resultat entsprechend sauber und einwandfrei inszeniert, bietet anständige Unterhaltung und auf technischer Ebene keinen Grund zur Klage. Aber halt auch nicht mehr als das. Ebensowenig einen Vorwurf kann man den Darstellern machen, die solide Arbeit leisten. Vor allem Aaron Ehrenreich hat es hier natürlich schwer, muss er doch überlebensgroße Fußstapfen ausfüllen und seiner Rolle trotzdem seinen eigenen Stempel aufdrücken. Er bringt dafür auch den nötigen Charme auf die Leinwand, in Sachen Charisma bleibt er aber nicht mehr als ein müder Abklatsch des legendären jungen Harrison Ford.
Letztlich leidet "Solo" vor allem daran, dass er gar nicht viel erzählen kann. So, wie Han Solo einst seinen ersten Auftritt im SW-Universum hatte, war er nie eine Figur, die so etwas wie eine "Origin Story" gebraucht hätte. Symptomatisch ist das hier vor allem bei der vermeintlich großen Liebesgeschichte im Zentrum von "Solo", denn hier agiert der Film nur mit angezogener Handbremse und scheint tunlichst darauf bedacht, das emotionale Feuer zwischen Han und Qi'ra höchstens auf halber Flamme zu halten. Man wird halt ausgebremst durch das eigene Dilemma, die Bedeutsamkeit dieser Frau für Han Solo auch nicht zu groß erzählen zu können - denn warum hat man in den chronologisch späteren Geschichten im SW-Universum sonst nie etwas von ihr gehört?
"Solo" war von Anfang an dazu verdammt, ein Film zu sein, der inhaltlich schlussendlich irrelevant ist, ja, irrelevant sein muss. Was die zuständigen Personen bei Disney aber offensichtlich nicht davon abhält, noch weitere Solo-Abenteuer des jungen Han Solo zu planen. Die letzten Minuten dieses Films stellen ganz offensichtlich die Weichen für mindestens ein weiteres Sequel/Prequel, und hey, es gibt ja auch noch ein paar Halbsätze aus "Krieg der Sterne", die hier noch nicht abgefrühstückt wurden. Dem guten Greedo sind wir hier noch nicht begegnet, und warum genau Jabba the Hutt damals eigentlich so sickig auf Han war, bliebe auch noch zu klären. Das ist vielleicht nicht wirklich notwendig. Aber "wirklich notwendig" ist ohnehin keine Kategorie, die irgendjemand an die "Star Wars"-Anthologie-Filme anlegt.
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