Three Burials

Originaltitel
The three burials of Melquiades Estrada
Jahr
2005
Laufzeit
116 min
Genre
Bewertung
von Frank-Michael Helmke / 16. November 2010
Tommy Lee Jones hat sich viel Zeit gelassen. Er war schon fast 60, als er sich erstmals in den Regiestuhl eines Kinofilms setzte - und sollte sein weiteres Schaffen halten, was dieses beeindruckende Debüt verspricht, dann könnte er es seinem Kumpel Clint Eastwood nachtun, und mit einem beeindruckenden und preisverdächtigen Alterswerk als Regisseur ein völlig neues Kapitel seiner Karriere aufschlagen. Jones hat hart für diesen Film gearbeitet und lange gesucht, bis er ausgerechnet in Luc Besson, der als Produzent normalerweise auf hirnfreies Spektakel-Kino setzt (z.B. "Die purpurnen Flüsse 2", "The Transporter"), einen Geldgeber fand, der ihm volle künstlerische Freiheit ließ. Mit dieser carte blanche verwirklichte Jones ein Skript von Guillermo Arriaga, der sich durch seine Zusammenarbeiten mit Alejandro Gonzales Inárritu ("Amores Perros", "21 Gramm", "Babel") bereits als einer der wohl besten, vor allem aber unkonventionellsten Drehbuchautoren der Filmwelt etabliert hat. Herausgekommen ist ein ebenso wunderschöner wie tieftrauriger Schwanengesang auf den Cowboy, jene einstige Ikone der grenzenlosen Freiheit Amerikas.

Dass diese Freiheit längst Vergangenheit ist, macht bereits der Handlungsort von "Three Burials" klar: Das Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko. In der Nähe dieser stark bewachten und trotzdem von zahllosen illegalen Immigranten unterwanderten Grenze erfährt der Pferderanch-Vorarbeiter (sprich: Cowboy) Pete Perkins vom Tod seines Kollegen und besten Freundes Melquiades Estrada. "Mel" war einer der vielen illegalen Mexikaner im Land, weshalb sich die Polizei nicht viel um seinen Fall schert, nachdem er mit einer tödlichen Schusswunde und notdürftig verscharrt (das erste der drei titelgebenden Begräbnisse) gefunden wurde. Einzig Pete will den Fall nicht ruhen lassen, auch wenn der örtliche Polizeichef (Dwight Yoakam) die Sache abhakt und die Leiche nach der Obduktion schnell begraben lässt (Nr. 2), während Pete bereits erste Spuren zum Täter entdeckt hat.

An sich könnte man argumentieren, dass es einem Spoiler gleich käme, mehr von der Handlung zu verraten. Denn was der sich parallel entwickelnde Strang um den Grenzpolizisten Mike Norton (Barry Pepper), seine Frau Lou Ann (January Jones) und ihre so leb- wie lieblose Ehe mit der zentralen Geschichte zu tun hat, darüber kann der Zuschauer erstmal eine halbe Stunde rätseln. Erst dann liefert Arriaga mit seiner ebenso eigenwilligen wie wirkungsvollen Erzählweise den ersten Hinweis, dass die beiden bisherigen Handlungsstränge chronologisch nicht zusammen gehören - und während sie in den nächsten 15 Minuten langsam zueinander aufschließen, setzt sich die bisher gesehene Geschichte im Kopf des Zuschauers noch einmal neu zusammen.
Darum erfährt man auch erst an diesem Punkt, was auf der Rückseite der DVD bereits im ersten Satz der Inhaltsangabe steht - nämlich dass es sich bei Mike um den Mörder von Melquiades handelt. Die tragischen Details der Tat sollen hier unerwähnt bleiben, die eigentliche Kernhandlung von "Three Burials" geht jedenfalls erst an diesem Punkt los, nachdem der Mörder entlarvt und Petes tiefe Freundschaft zu Melquiades durch kunstvoll eingeflochtene Flashbacks verdeutlicht wurde.

Dann folgt, was in einer Geschichte über einen Cowboy nicht fehlen darf: Ein langer Ritt, und wie so oft im Western mit dem Ziel Mexiko. Doch wo dies in den alten Film-Mythen von Outlaws und Revolverhelden ein verklärtes Paradies war, das Sicherheit vor dem Gesetz bot (die "Immigration" also noch in die andere Richtung lief), ist Pete zwar auch vom Gesetz gejagt, doch geht es ihm nicht um Flucht, sondern um die Heimbringung eines modernen Cowboys - und der ist geborener Mexikaner.
Petes Selbstjustiz - er zwingt Mike, die Leiche von Melquiades wieder auszugraben und sie mit ihm in Mels Heimatort zu bringen (für das den Titel vervollständigende, dritte Begräbnis) - ist ein Freundschaftsdienst, ein Akt der Loyalität, der auf jenem unausgesprochenen Ehrenkodex beruht, den klassische Western zwischen "echten Männern in der Prärie" propagiert haben.
Dieser "Kodex" ist in "Three Burials" auch heute noch unter den Cowboys vorhanden, einzig, dass sie keine "echten" Amerikaner mehr sind. Pete spricht schon aus Notwendigkeit fließend spanisch, weil alle Arbeiter, denen er auf der Pferdefarm vorsteht, Mexikaner sind. Der echte Cowboy des wilden Westens ist ein einfacher, ehrlicher Arbeiter gewesen, ein Viehhüter, kein Sheriff oder Revolverheld. Und diese Arbeit wird heutzutage in den USA vor allem von Mexikanern und anderen Immigranten gemacht.
Arriaga fängt die zwiespältige Wirklichkeit dieser Situation auf brillante Weise ein und schafft es ein ums andere Mal, komplexe Wahrheiten in einem einzigen Dialogsatz zu bündeln. Wenn zum Beispiel ein Freund von Pete sein ehrliches Beileid zum Tod von Melquiades aussprechen will, sagt er tröstend: "He was a good Mexican." Ans Ende dieses Satzes gehört eigentlich schlicht das Wort "man", aber als ein richtiger, vollwertiger Mensch wird der Mexikaner eben nicht wahrgenommen. An anderer Stelle erhält ein Grenzpolizist Bericht, dass von einer Gruppe aufgegriffener Grenzflüchtlinge eine Handvoll entkommen konnte. Schulterzuckend meint er: "Somebody's gotta pick the strawberries" - und fängt damit die ganze Schizophrenie der amerikanisch-mexikanischen Grenze ein: Einerseits betreiben die USA einen riesigen Aufwand, um am Rio Grande ein Bollwerk gegen die Flut der Immigranten zu errichten; andererseits ist ihre Wirtschaft längst von den illegal eingewanderten Arbeitskräften abhängig, die im ganzen Land als Landschaftspfleger, Küchenhilfe oder Putzkraft jene Tätigkeiten verrichten, für die sich die "privilegierten" Amerikaner längst zu schade sind (wer hier allerdings gegen die dekadenten Amis schimpfen will, sollte an das kaum anders geartete Verhältnis der deutschen Gesellschaft zu osteuropäischen Gastarbeitern denken).

Weil es Arriaga dank seines großartigen Handwerks gelingt, diesen Subtext so subtil und gleichzeitig wirkungsvoll einzuflechten, überlagern die politischen Dimensionen der Geschichte niemals ihren eigentlichen, emotionalen Kern. Und der geht tief. Der Verlauf der Reise von Pete und Mike mag in ihrer Zielsetzung und schlussendlichen (inneren) Entwicklung voraussehbar sein, wie dies jedoch von statten geht und vor allem welche Stationen und Begegnungen diese Reise mit sich bringt, damit kann Arriaga immer wieder für überraschende, unvorhersehbare Momente sorgen. Der Preis für das beste Drehbuch, den Arriaga auf den Filmfestspielen in Cannes 2005 für "Three Burials" bekam, war definitiv mehr als verdient.
Dasselbe gilt für den ebenso in Cannes gewonnenen Darstellerpreis für Tommy Lee Jones. Und nach dem ausgiebigen Lob für den Autor soll auch der wichtigste Kopf dieses Films nicht zu kurz kommen. Jones erweist sich hier einmal mehr als Ausnahmeschauspieler, der mit seiner Ausdruckskraft und Präsenz ungeahnte Tiefen seiner Figur vermitteln kann. Ohne "seinen" Film eigenverliebt darauf hin zu inszenieren, zieht Jones in jeder Szene die Aufmerksamkeit einzig durch sein Spiel auf sich, wenn er allein mit seinem Gesicht alles erzählt, was man über Pete Perkins zu wissen braucht, um diesen Mann weniger Worte trotzdem vollkommen verstehen zu können.
Zugleich beweist Jones hier sein Talent als gewissenhafter, gefühlvoller Regisseur mit einer klaren Vision und einem eigenen Stil. Sein Bemühen, in Erzählung und Inszenierung nicht in klassische Western-Klischees zu verfallen, dem Genre aber zugleich treu zu bleiben, ist spürbar und gelingt fabelhaft. Jones erzählt elegant, lässt der in ungewöhnlichen Bahnen verlaufenden Geschichte ihren Raum und schafft eine nachdenkliche Ruhe, in der sich die erhabene, subtile Poesie der Ereignisse entfalten kann.

Das mag etwas verkopft klingen, aber das ist es schließlich letztlich auch. Trotz der großartigen Landschaftsbilder von Kameramann Chris Menges, dem Verfolgungs-Plot mit der Polizei im Nacken und dem klaren Ziel, Melquiades' Heimatort zu erreichen, ist die Reise von Pete und Mike natürlich eine innere, sowohl für den emotional verkrüppelten Sünder, als auch für den Cowboy, der am Ende dieser Reise wahrscheinlich sogar eine schwerere Lektion gelernt hat als sein unfreiwilliger Begleiter.
Das Finale von "Three Burials" hält eine unerwartete Wendung parat, die im ersten Moment irritiert und bis zum Ende ein gutes Stück rätselhaft bleibt. Was sie impliziert, lässt den ohnehin schon sehr bittersüßen Schluss noch trauriger erscheinen, so oder so bleibt die Erkenntnis, dass es für einen echten Cowboy vielleicht gar kein Zuhause mehr auf der Welt gibt. Der ewige Ritt, die Suche ohne Ziel. Am Ende ist so auch Jones' und Arriagas Neo- eigentlich ein Spätwestern, der seinen melancholischen und nostalgischen Teil dazu beiträgt, den Cowboy als alten Helden Amerikas endgültig zu Grabe zu tragen. So wie Melquiades Estrada.

So wie sein Entstehungsprozess hat auch der Weg von "Three Burials" - fraglos einer der besten Filme seines Jahrgangs - bis zu einer deutschen Veröffentlichung eine Weile gebraucht. Zwei Jahre nach seinem US-Start lief der Film im November 2007 nur in einer handvoll Kinos und ist kurz darauf in einem Doppel-DVD-Set erschienen. Das Bonusmaterial auf der zweiten Disc erweist sich dabei allerdings weitestgehend als langweilig. Das beigefügte "Making Of", die separate Kurzdoku über die Entstehung der Filmmusik und der Mitschnitt einer Frage&Antwort-Runde mit Jones und Arriaga entstanden im Rahmen der Filmfestspiele in Cannes und erweisen sich als etwas unbeholfen zusammengeschusterte TV-Beiträge. So gibt es beim Making Of außer Festival-tauglichem, künstlerisch-abgehobenem Gerede der Hauptbeteiligten und ein paar Bildern vom Set noch einen ausgedehnten, unkommentierten Zusammenschnitt von Aufnahmen eines Presse-Junkets und der Premierenvorstellung - viele Fotografen, viel Gelächel, null Info.
Dazu gibt's noch den Kinotrailer und eine Menge "deleted" und "extended scenes", die allerdings zurecht dem Schnitt zum Opfer fielen. So bleibt das interessanteste Extra der Audiokommentar mit Tommy Lee Jones sowie den Darstellern Dwight Yoakam und January Jones - die sich in diesem Film im Übrigen mit einem Schlag aus der Klischee-Ecke des heißen Blondchens frei spielt und sich als veritable Charakter-Darstellerin beweist.
Darum reicht im Zweifelsfalle auch die "abgespeckte" Einzel-DVD-Ausgabe ohne Extras. Entgehen lassen sollte man sich "Three Burials" aber auf keinen Fall.

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Kann es sein, dass dieser Film auf den ersten Blick total langweilig erscheint, sodass den niemand aus der videothek ausleiht? oder warum schreibt hier keiner.
Für mich eintypischer Film der Kategorie "wirklich sehenswert - aber nie wirklich lust drauf"

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9
9/10

super film. wunderbar anzuschauen. viele subtile und weniger subtile
details, die ihn sehr sehenswert machen.

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8
8/10

Für mich ist das so ein typischer Film, von dem man noch nie gehört hat, dann nachts beim zappen auf einem der Dritten findet und bis zum Schluss anschauen muss. Sehr ruhig, sehr eindringlich, tolle Atmosphäre, sehr gute Schauspieler. Allenfalls ist der Kontrast der Portraits der Amerikaner und Mexikaner ein wenig zu stark dargestellt. Die grenzenlose Herzensgüte gegenüber den vollkommen kaputten Amerikanern und die damit verbundene Sozialkritik ist mit zunehmender Dauer nicht mehr wirklich subtil. Ein kleines Rätsel wird für mich auch das Treffen und die Beziehung von Lou Ann und Estrada bleiben.

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