Im Februar 2006 lief "A Prairie Home Companion" auf der Berlinale, sorgte für Begeisterungsstürme und gewann den Publikumspreis als beliebtester Film des Festivals. Später im selben Monat wurde Robert Altman der Ehren-Oscar für sein Lebenswerk überreicht. Bei diesem Anlass gestand der Regisseur, schon seit zehn Jahren mit einem Spenderherz zu leben, und fügte scherzend hinzu, damit auch noch einige weitere Jahrzehnte schaffen zu können.
Am 20. November 2006 starb Robert Altman im Alter von 81 Jahren, und es ist tragisch, dass sein nun letzter Film ohne dieses traurige Ereignis vielleicht nie in den deutschen Kinos gelaufen wäre. Jedenfalls wagte der Verleiher erst nach Altmans Tod einen definitiven Starttermin mit leider sehr kleinem Release. Umso mehr sei es allen, die eine Chance haben "A Prairie Home Companion" zu sehen, unbedingt ans Herz gelegt, diese wahrzunehmen. Es hat sich wohl noch nie ein großer Regisseur mit einem schöneren, liebevolleren Film als diesem verabschiedet.
Das Zögern des Verleihs ist indes auch zu verstehen, denn der Film ist trotz eines massiven Star-Aufgebots ein Alptraum für jede Marketing-Abteilung. Er ist quasi die Verfilmung einer real existierenden Radiosendung, die so anachronistisch und eigenwillig ist, dass der moderne Zeitgeist kaum etwas damit anfangen kann. Ein signifikanter Plot ist nicht vorhanden, da die Protagonisten der Sendung trotz der bevorstehenden Absetzung (im Film ist das Theater, in dem die Show produziert wird, verkauft worden und soll abgerissen werden, die Sendung wird deswegen eingestellt) einfach weiter machen wie immer. Wie soll man so etwas nur vermarkten? Ein Versuch ist der deutsche Verleihtitel, der Altmans Namen prominent in den Vordergrund rückt, die Dramatik der letzten Sendung betont und auch noch als Anspielung auf den Klassiker "The Last Picture Show" von Peter Bogdanovich (1971) gelesen werden kann.
"A Prairie Home Companion" (um beim viel schöneren Originaltitel zu bleiben) ist kein Film, der von seiner Handlung lebt, sondern einzig von seinen wundervollen Charakteren (zum Leben erweckt von einem genialen Ensemble in größter kreativer Spiellaune) und seiner ganz eigenen Atmosphäre. Er ist ein Altman-Film durch und durch, weil ihn die selbe eigenwillige Inszenierung auszeichnet, mit der Altman in den 70er Jahren durch Filme wie "M*A*S*H" und "Nashville" berühmt wurde, und die all seine Meisterwerke bis hin zu "The Player" (1992) und "Gosford Park" (2001) zu solch außergewöhnlichen Erlebnissen machte. Altman erzählt weniger konkrete Geschichten, viel mehr beobachtet er einen bestimmten Mikrokosmos und versucht diesen so realistisch und lebensecht wie möglich einzufangen, was die subversive Satire und den unterliegenden Sarkasmus in seinen bekanntesten Filmen umso wirksamer machte.
Dieser ganz eigene Altman-Stil führte in seiner mäandernden Art nicht immer zu großartigen Filmen, und in seiner Karriere gab es mindestens so viele Volltreffer wie Fehlschüsse (siehe z.B. "Dr. T and the Women", "The Company" oder die Mode-Satire "Pret àPorter"). Sein letzter Film gehört jedoch definitiv zu ersteren. Von Beginn an entwickelt "A Prairie Home Companion" seine ganz eigene Atmosphäre und zieht die verzauberten Zuschauer mit hinein in die Welt seiner wundervollen Charaktere.
Begrüßt wird das Kino-Publikum durch den Off-Kommentar des Möchtegern-Privatdetektivs-nun-Show-Sicherheitschef Guy Noir (Kevin Kline), der zwar wie die klassischen Schnüffler der 40er Jahre á la Philip Marlowe aussieht und redet, tatsächlich aber ein ziemlich unfähiger Trottel ist. Die herrlich amüsante Diskrepanz zwischen Guys selbstsicherer Attitüde und seinem tatsächlichen Unvermögen erinnert auf elegante Weise an Kevin Klines legendären Part als Volldepp Otto in "Ein Fisch namens Wanda", ähnlich unvergleichlich ist auch seine Vorstellung hier.
Guy führt das Publikum in das Theater, in dem "A Prairie Home Companion" produziert wird, und somit in eine Welt, die hierzulande wohl niemand kennt und die es so eigentlich auch gar nicht mehr gibt. Guy bezeichnet die Sendung als "the kind that died 50 years ago" und hat damit auch recht: Eine Varieté-Show mit Gesangs- und Komik-Einlagen, aufgeführt vor einem Saalpublikum und gleichzeitig im Radio übertragen, das gab es in den Anfangszeiten des Mediums, doch solche Sendungen starben mit dem Aufkommen des Fernsehens schnell aus. Die echte Sendung "A Prairie Home Companion" (in Wirklichkeit ein Dauerbrenner mit Millionenpublikum und keineswegs von der Absetzung bedroht) läuft seit 1974 und ist gleichzeitig eine liebevolle Hommage und Parodie an dieses alte Show-Format, inklusive eigens geschriebener Werbetexte für Fantasie-Produkte, die als "Sponsoren" der Sendung genannt werden. Die musikalische Palette umfasst alles, was originär amerikanisch ist, von Folk-Musik über Country bis hin zu Gospel, und entsprechend gibt es das auch alles im Film, der fast in Echtzeit die Geschehnisse während der fiktiven letzten Sendung auf und hinter der Bühne verfolgt.
Moderiert wird die Show von Gastgeber und Sänger Garrison Keillor (dem echten Moderator, der sich hier quasi selbst spielt und auch das Drehbuch verfasste). Die Star-Gäste des letzten Abends sind die "Johnson Sisters" Yolanda (Meryl Streep) und Rhonda (Lily Tomlin), mit Yolandas introvertierter Tochter Lola (Lindsay Lohan) im Schlepptau, und das Cowboy-Duo Dusty und Lefty (Woody Harrelson und John C. Reilly). Das Gespräch kommt immer wieder darauf, dass dies die letzte Sendung ist, doch der durch und durch routinierte Garrison, dem seine ruhig-trockene Moderationsstimme angeboren zu sein scheint, weigert sich, deswegen irgendwelche Ansprachen zu halten oder das Programm zu ändern: Mach jede Show, als wäre es deine letzte, ist sein Motto, und darum ist "Business as usual" angesagt.
Und weil auch genau das passiert, passiert hier eigentlich recht wenig. Ein Engel tritt auf (die wundervolle Virginia Madsen aus "Sideways"), ein alter Mann stirbt und Guy unternimmt einen letzten Versuch, das Theater und die Show zu retten, bevor der Vollstrecker-Anwalt (Tommy Lee Jones) seinen Dienst tun kann. Yolanda kämpft offensichtlich noch immer mit ihrer unglücklichen Liebe zu Garrison, nachdem sie vor einigen Jahren eine Affäre hatten, aber das alles geschieht nebenher, schließlich läuft gleichzeitig die Show, und so spiegelt das Geschehen auf der Bühne in "A Prairie Home Companion" auch immer die Backstage-Ereignisse, während vor allem viel gesungen wird. Und das immer großartig und wunderschön, auch wenn die Songs aus einer gänzlich anderen Zeit stammen. Und wenn Dusty und Lefty ihre mit albernen Zoten durchsetzten Spaß-Lieder zum Besten geben, dann wird es dazu auch noch richtig komisch.
Das allerdings vor allem (oder sogar nur) in der Originalversion, denn wie so viele Altman-Filme lebt auch dieser von seinen lebendigen, weil sprachgewandten und zu großen Teilen improvisierten Dialogen. Da bei Altman außerdem ständig Szenen ineinander übergehen, sich Gespräche überlagern, die Darsteller sich lebensecht ins Wort fallen und gegenseitig ihre Sätze beenden (hier vor allem im absolut brillanten Zusammenspiel von Meryl Streep und Lily Tomlin) ist eine adäquate Übersetzung sehr schwierig bis unmöglich (auch das ist natürlich wieder ein gehöriges Vermarktungsproblem). Nur ein Beispiel: Bei seinem ersten Auftritt singt Dusty über seinen ehemaligen Job in einem Schnapsladen (liquor store). Eines Tages kam eine Frau rein, und er fragte sie, was sie will: "'Liqour' she said, and lick her I did, and now I don't work there no more". Wer diesen Witz genauso komisch und passend übersetzt bekommt, verdient einen Preis. Ähnlich verhält es sich mit dem komödiantischen Höhepunkt des Films, Dusty und Leftys letzte Nummer, eine Lobeshymne auf schlechte Witze. Wer hier beim englischen Text mitkommt, der liegt am Ende wahrscheinlich vor Lachen japsend auf dem Kinoboden.
"A Prairie Home Companion" ist keine Geschichte, sondern eine Stimmung, ein Film wie ein gemütlicher Winterabend vor einem knisternden Kaminfeuer. Er schwebt dahin auf einem kuscheligen Teppich aus sanft-ironischem Witz, zwinkert den Zuschauern die ganze Zeit mit einem liebevollen Lächeln zu und lässt sie zugleich die immer währende Nostalgie der Protagonisten miterleben, die in ihren privaten Gesprächen fast nur Geschichten aus der guten alten Zeit erzählen, genauso wie ihre Lieder von der Sehnsucht nach der alten Liebe, der Familie oder der Heimat handeln. Dies ist ein Film, der allen dramatischen Konventionen des Kinos widerspricht, und gerade deshalb gleichzeitig erfrischend anders und wundervoll altmodisch ist. Ein bezauberndes, entzückendes Unikat, ein wirklich einzigartiges Kinojuwel.
Dass "A Prairie Home Companion" zu Altmans letztem Werk geworden ist, gibt dem Film nun in vielen Momenten eine zweite Ebene, die einem ab und zu schon eine Gänsehaut verpassen kann. Die Weigerung der Protagonisten, sich zu ändern, der sanfte Wehmut nach den alten Zeiten und der unbedingte Wille, die letzte Show genauso durchzuziehen wie alle anderen davor, das könnte auch für Altman selbst stehen, und ein Satz aus dem Mund des Engels klingt fast prophetisch: "There is no tragedy in the death of an old man. Forgive him his shortcomings, and thank him for all his love and care." Es ist traurig, dass Robert Altman von uns gegangen ist. Aber wenn man seine Dankesrede bei den Oscars und das Gefühl, dass dieser Film seinem Publikum vermittelt, zum Maßstab nimmt, dann scheint eines sicher zu sein: Er ist als ein glücklicher Mensch gestorben.
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