Philomena

Originaltitel
Philomena
Jahr
2013
Laufzeit
98 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 24. November 2013

Philomena"Philomena" ist eine Human-Interest-Story gemacht von Leuten, die für Human-Interest-Storys nicht viel übrig haben. Es ist vermutlich gerade deshalb solch ein bemerkenswert guter Film, weil seine Macher den üblichen Gefühlskitsch und die Tränendrüsendrückerei, mit denen diese arg menschelnden Geschichtchen normalerweise aufbereitet werden, meiden wie der Teufel das Weihwasser. Und weil die Geschichte von "Philomena" dann eben doch deutlich mehr ist als das, was sie zunächst scheint.

Der Film beruht auf wahren Begebenheiten und erzählt von dem Engländer Martin Sixsmith (Steve Coogan, der den Film auch mitgeschrieben und -produziert hat und sonst eher als Komiker bekannt ist, z.B. aus "Nachts im Museum"), der nach einer unglücklichen Verwicklung in ein kleines politisches Skandälchen seinen Hut als Sprecher des Verkehrsministeriums nehmen muss und sich eher aus der Not heraus, nun einen Weg zurück in seinen alten Job als Journalist finden zu müssen, auf die Geschichte einer älteren Irin einlässt, die zufällig an ihn heran getragen wurde. Philomena Lee (Judi Dench) ist über 70 und hat ihrer Familie erst jetzt gestanden, dass sie als junge Frau ein uneheliches Kind bekommen hat und damals quasi gezwungen wurde, dieses zur Adoption frei zu geben. Philomena will ihren verlorenen Sohn nun endlich ausfindig machen und hofft auf die Hilfe des findigen Journalisten. Sixsmith lässt sich leidlich lustlos auf die Sache ein, da er weiß, dass sich solcherlei "Human Interest"-Zeugs gut verkaufen lässt. Es wird eine Weile und ein paar unerwartete Entdeckungen brauchen, bis auch der zynische Journalist beginnt, mit Herzblut und wahrer Emotion an der Offenlegung einer Geschichte zu arbeiten, die sich als handfester Skandal erweist.


PhilomenaEbenso wie Martin Sixsmith braucht auch der Zuschauer eine Weile, bis ihn diese Geschichte erst unmerklich und dann immer mehr packt, denn zunächst nimmt sich "Philomena" aus wie eine hübscher aufbereitete Episode von "Bitte melde dich". Dass es am Ende weitaus mehr sein wird als das, garantiert indes schon die Besetzung und die Anwesenheit von Stephen Frears ("Die Queen", "Immer Drama um Tamara") auf dem Regiestuhl. Denn Leute wie Frears oder Dench würden solch eine Geschichte nicht machen, wenn da nicht mehr dran wäre als es zunächst den Anschein hat. Mehr als eine tränenrührige Human-Interest-Story ist "Philomena" darum auch eher ein nach und nach offen gelegtes Drama, welches den zahlreichen Gegnern der katholischen Kirche weitere Munition in die Hand gibt, und tragisch von den Konsequenzen erzählt, die falsch ausgelegtes Kirchen-Dogma auf die Leben von streng katholisch erzogenen Menschen haben kann. 

Dass es den Machern von "Philomena" gelingt, dies jedoch nicht voller Bitterkeit und Wut zu erzählen, sondern sogar mit einer gewissen charmanten Lakonie, zeugt davon, dass sie sich das allzu naheliegende Kirchen-Bashing hier bewusst verkniffen haben (wer das sehen will, der sei eher auf Peter Mullans "Die unbarmherzigen Schwestern" verwiesen) und lieber ganz bei ihren zentralen Figuren geblieben sind. Berechtigterweise trägt der Film darum auch Philomenas Namen, denn sie ist das tragende Zentrum und wird - fast müßig zu erwähnen - von Judi Dench absolut grandios porträtiert. Es ist richtig erfrischend, die große Dame, die sonst eher schillernde Persönlichkeiten wie Königinnen oder Geheimdienstchefs spielt, in solch einem Part zu sehen: Eine recht einfach gestrickte Frau, die "Big Mamas Haus" für köstliche Unterhaltung hält, als sie den Film im Pay-TV eines Hotelzimmers entdeckt. Die zudem gezeichnet ist von einer typisch irischen, erzkatholischen Prägung, die sie trotz des Leids, das sie ob dieser geistigen Lehre selbst ertragen musste, nie hinterfragt hat. Es gehört zu den bezauberndsten und lustigsten Momenten des Films, wenn der weltgewandte Journalist erstaunt feststellt, dass die sehr katholische Philomena über einige sehr unkatholische Dinge ziemlich gut Bescheid weiß. 

Philomena

Überhaupt, lustig: Trotz des tragisch-dramatischen Grundthemas des Films wagt es der Verleih tatsächlich, "Philomena" mindestens als halbe Komödie zu vermarkten. Das ist zwar effektiver Etikettenschwindel, ist aber zumindest machbar, da die sehr flotten Dialoge mit ihrem typisch britischen, trockenen Humor sehr unterhaltsam ausfallen und mehr als einen wirklich guten Lacher hervorbringen. Diese Spitzzüngigkeit ist dabei sicherlich ein gutes Hilfsmittel, um das eigentlich schwere Thema des Films verdaulicher zu präsentieren. So gewinnt "Philomena"denn auch immer mehr das Herz seiner Zuschauer, ebenso wie auch der zunächst zynische Journalist sein Herz für sein Subjekt entdeckt: Zunächst im Umgang mit Philomena noch unverhohlen arrogant und auf dem besten Weg, die alte Dame für seine Zwecke auszunutzen (nämlich eine möglichst tränenrührige Human-Interest-Story zu bekommen), entdeckt Sixsmith erst nach und nach sein eigenes Mitgefühl - und nimmt damit auch ähnlich emotional distanzierte Zuschauer mit hinein in die tieferen Gefühlsgefilde dieser wirklich berührenden Geschichte. 

In seiner Wirkung aufs Publikum nimmt "Philomena" so dieselbe Entwicklung wie die journalistische Recherche, welche er begleitet: Es beginnt unspektakulär und nur bedingt interessant, doch nach einigen unerwarteten Wendungen entwickelt sich eine Geschichte, deren Ausmaß und Resonanz erst ganz am Ende deutlich wird - und dann ist man mehr als froh, sie entdeckt zu haben. 

Bilder: Copyright

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