"Die unbarmherzigen Schwestern" erregten gleich zweifach Aufsehen. Erst gewann Peter Mullans unversöhnliches Drama eher unverhofft den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig, dann protestierte prompt die Katholische Kirche gegen die Darstellung ihrer Nonnenkloster. Was Wunder. Zeigt der Film doch keine Scheu, mit seiner Anklagehaltung wenn nötig auch dem Papst persönlich auf die Füße zu treten, und dabei auch ein oder zwei Zehen zu zerquetschen. Worum dreht sich aber nun die ganze Aufregung?
Um die titelgebenden unbarmherzigen Schwestern (eine schlaue Verkehrung ihres wirklichen Namens, nannten sich die Nonnen doch "Sisters of Mercy"), die Nonnen des Magdalenenordens, die in Irland fast bis ins dritte Millennium hinein in ihren Klöstern junge Frauen gegen deren Willen gefangen hielten, schikanierten, ausbeuteten und quälten. Unter dem Deckmantel der Barmherzigkeit wurden sogenannte "gefallene Mädchen" hier aufgenommen und mussten dann körperlichste Schwerstarbeit verrichten, während die Nonnen freie Hand über sie hatten. Die Gründe, als "Gefallene" in das Kloster eingewiesen zu werden, waren zumeist banal bzw. kaum nachvollziehbar.
Deutlich gemacht wird dem Zuschauer dies an dem Schicksal der drei
Hauptfiguren: Das Vergehen von Margaret (Anne-Marie Duff) war es,
die Vergewaltigung durch ihren eigenen Cousin nicht einfach stillschweigend
hinzunehmen. Rose (Dorothy Duffy) bekam ein uneheliches Kind, welches
ihr die Eltern nach der Adoption wegnahmen. Und Heimkind Bernadette
(Nora-Jane Noon) war schlichtweg zu hübsch und flirtfreudig,
weswegen sie als "Verführerin" gebrandmarkt hinter
die Mauern des Magdalenenklosters kommt. Dort fristen die drei jungen
Frauen ihren harten Alltag, erleben Demütigungen und Leid.
Crispina (Geraldine McEwan), deren Vergehen einzig ihre geistige
Zurückgebliebenheit ist, wird sogar regelmäßig missbraucht.
Auf ihre eigene Art versucht jede der Frauen zurechtzukommen. Bernadette,
die Rebellin, versucht zu fliehen und wird harsch bestraft. Margaret
möchte den Missbrauch von Crispina unterbinden, und Rose will
möglichst nur unbeschadet durchkommen.
Die
mit nichts zu rechtfertigenden Untaten, die in Namen Gottes und
dessen Barmherzigkeit verübt wurden, zeigt Regisseur Peter
Mullan (immer noch durch seine schauspielerische Glanztat in "Das
Reich und die Herrlichkeit" im Gedächtnis) ohne Scheu
oder Rücksicht. Dies hat er bei Ziehvater Ken Loach - DEM britischen
Regisseur für sozialrealistische Filme mit kritischem Ton -
so gelernt. Und Mullan ist sich nicht zu schade, selbst dem Bösen
ein Antlitz zu geben. So hat er einen kurzen aber prägnanten
Cameoauftritt als ein die eigene Tochter verstoßender und
halb zu Tode prügelnder Vater.
Die Katholische Kirche maulte, Mullans Porträt wäre einseitig
und ungerecht, auch ungerechtfertigt. Einseitig stimmt schon, aber
übel zu nehmen ist es diesem Film nicht, der nicht um Nachsicht
für die Täter bittet, sondern um Mitgefühl für
die Opfer. Er will aufrütteln, wütend machen, sich als
Mahnmal gebären. Ein Film gegen das Vergessen. Einer, der härter
an immer noch vorherrschenden Realitäten kratzt, als einem
lieb sein kann. Zwar ist der Film in den 60er Jahren angesiedelt,
jedoch wurde das letzte Magdalenenkloster unfassbarer Weise erst
1996 geschlossen. Zudem demaskiert Mullan nicht nur Kirche, sondern
auch Gesellschaft: Den Iren wird es nicht gefallen, wenn statt Gastfreundschaft
und Gutmütigkeit die Kehrseite dieser streng katholischen Nation
zum Vorschein gebracht wird. Aber es wird eine Art Antithese zum
üblichen Irlandbild aufgebaut, denn der Film zeigt auch auf,
dass nur in einer so fundamental religiös sowie stark patriarchalisch
geprägten Gesellschaft wie der irischen die Magdalenenklöster
Akzeptanz und Langlebigkeit durch das gesamte zwanzigste Jahrhundert
haben konnten. Und so werden neben den kaltherzigen Nonnen und missbrauchenden
Priestern auch die rechtschaffenen Väter angeklagt, die lieber
die Tochter verstoßen, als "öffentliche Schande"
zu riskieren. Und wer einmal mit eigenen Augen gesehen hat, wie
ungerührt es zur Kenntnis genommen wird, dass ein Vater seine
Tochter in aller Öffentlichkeit an den Haaren wegschleift,
weil sie heimlich in der Disco war, der hat an dieser Interpretation
keinerlei Zweifel.
Die Entscheidung zur Realisierung von "Die unbarmherzigen Schwestern" fiel nach einer Dokumentation über die Klöster, welche Mullan zutiefst wütend gemacht hatte. Und dieses Gefühl überträgt sich direkt auf den Zuschauer. Was Peter Mullan hier macht, ist nichts anderes als "Gerechter Zorn" und rechtfertigt sich selbst. Allerdings in der Tat ein wenig einseitig. Über die Nonnen erfahren wir im Gegensatz zu den sehr differenziert dargestellten Mädchen kaum etwas, was aber auch im Sinne des Filmes ist. Denn dass die Nonnen keine als simple Bösewichte zu karikierende Sadistinnen waren, sondern sogar an die Rechtschaffenheit ihres Tun glaubten - diese irrwitzige Logik beleuchtet der Film. Und ist dann ganz nah dran an Mechanismen des Bösen. Nicht umsonst wird Gefangenen hier auch der Kopf geschoren, denn wenn die unmenschliche Internierung von Menschen derart gerechtfertigt wird, wie hier, dann ist der Weg von dem über die Betten der Mädchen geschriebenen "Gott ist gerecht" zu "Arbeit macht frei" nur noch ein geistiger Katzensprung - und zwar ein gewollter.
Freilich
wird diese Einseitigkeit des Arguments bisweilen auch zur Schwäche.
Wenn die Oberin am Anfang die Mädchen über ihre Sünden
und die Vergebung Gottes belehrt, und die Kamera dabei in Großaufnahme
zeigt, wie ihre gierigen Finger Geld zählen, oder wenn dann
später die Mädchen auf der einen Seite des Raums Wasser
und Haferschleim zum Frühstück haben, und auf der anderen
sich die Nonnen beim reichhaltigen Büfett die Schinkenbrötchen
reinhauen, ist das ohne Frage prägnant - aber leider auch ein
wenig plakativ und offensichtlich.
Andererseits erliegt der Film ansonsten kaum einem Klischee. Trotz
unmittelbarer Nähe zum Schmuddelgenre des Frauenknastfilms
verliert er sich nicht in dessen oder anderen Stereotypen. Und wenn
dem missbrauchenden Priester ein recht fieser Streich gespielt wird,
bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn anschließend
das Opfer Crispina in einem Moment der beklemmenden Erleuchtung
das nicht enden wollende Mantra "Du bist kein Mann Gottes!"
anstimmt. Leider kann der Film bis hin zum eher mäßig
interessanten Ende Stimmung und Spannung nicht immer halten.
Was auch insofern schwierig ist, als dass der Film die schlichtweg grandiose Eröffnungssequenz nicht mehr überbieten kann. Es handelt sich um eine irische Hochzeit, bei der Margarets Vergewaltigung von den sie dann verurteilenden Instanzen - nicht umsonst Väter und Priester - verhandelt wird, ohne dass sie sieht oder hört, was passiert. Die Richter hinter halbgeschlossenen Türspalten, die Worte nur als Lippenlesen - das audiovisuelle Blockieren wird zur beklemmenden Metapher für Margaretes Hilflosigkeit und ist ein derart brillant inszeniertes kurzes Stück Filmemachen, dass der Höhepunkt des Films quasi vorweggeliefert wird. Trotz der ein oder anderen folgenden Detailschwäche: Eine mutige, schonungslose Abrechnung mit dem Bösen hinter Robe und Nonnentracht, hinter Sonntagsanzug und Ehrbegriff.
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