Erinnert sich noch jemand an die bleiernen Jahre, in denen die Welt vergeblich auf einen „Spider-Man“-Kinofilm wartete und sich aufgrund der komplizierten Rechtesituation sämtliche geplanten Projekte (inklusive einem von James Cameron mit Leo diCaprio) zerschlugen? Die Zeiten haben sich radikal geändert, und mit „Homecoming“ liegt nun bereits der sechste eigene „Spider-Man“-Film in diesem Jahrtausend vor – mit dem mittlerweile schon dritten Hauptdarsteller. Und obwohl die Figur nach dem kommerziell und größtenteils auch inhaltlich misslungenen Reboot mit Andrew Garfield eigentlich ein wenig ins Hintertreffen geraten war, ist die Vorfreude auf den neuen Film allerorten ziemlich groß. Denn da Sony Pictures einsehen musste, dass man alleine nicht so recht weiterkam, gibt es nun also ein Joint Venture mit Disney und der Netzschwinger wird ins restliche Marvel-Universum integriert. Dies geschah bereits mit einem Kurzauftritt im „Civil War“ um Captain America, doch nun legt der neue Peter Parker richtig los – auf sehr erfrischende Art und Weise.
Nachdem ihn Tony „Iron Man“ Stark für den Kampf gegen abtrünnige Avengers rekrutiert hatte, befindet sich der junge Peter Parker (Tom Holland) immer noch auf Adrenalin. Schließlich war es ihm gelungen mit seinen Spinnenkräften (kurzzeitig) Captain Americas Schild zu stehlen und Peter brennt schon auf weitere Einsätze. Umso größer ist seine Enttäuschung, als sich herausstellt, dass Tony Stark erstmal keine weitere Verwendung für ihn zu haben scheint, weshalb sich Peter auf eigene Faust als Beschützer der Nachbarschaft versucht und dabei diverse Handtaschenräuber und Kleinkriminelle matt setzt.
So richtig befriedigend ist das allerdings nicht, daher freut der Nachwuchs-Held sich beinahe schon, als er auf eine offensichtlich etwas größere Nummer stößt, nämlich auf die Bande von Adrian Toomes (Michael Keaton), der in großen Stil Waffen verscherbelt, die offenbar auf einer ganz besonderen Technologie basieren. Doch die Avengers rücken deshalb trotzdem noch nicht an und dazu gerät Peter langsam in Terminschwierigkeiten, muss sein Treiben vor Tante May (Marisa Tomei) verbergen und sich auf den Abschlussball mit seinem Schwarm Liz (Laura Harrier) vorbereiten.
Es ist in der Tat nicht gerade das Verbrechen des Jahrhunderts, mit dem sich der neue „Spider-Man“ beschäftigt, und die Welt muss auch nicht gleich gerettet werden. Dass beim mit nur mittelstarken Kräften ausgestatteten jungen Mann am Beginn seiner Heldenkarriere alles eine Nummer kleiner ausfällt als bei den mächtigen Avengers ist aber ja im Grunde nur folgerichtig und logisch. Dass sein erster großer Gegenspieler dabei von Michael Keaton verkörpert wird beinhaltet zudem eine amüsante Note, kam der doch einst selbst im Kostüm von „Batman“ zu Ruhm, bevor er genau diese Vergangenheit im oscarprämierten „Birdman“ karikierte, nur um nun also erneut ins Superhelden- bzw. Schurkengeschäft einzusteigen – und das als „Vulture“ dann auch wieder mit Flügeln.
Dieser „Geier“ bewegt sich zwar sehr elegant und ist als frustrierter Vertreter der Arbeiterklasse ein Stück interessanter gestaltet als die zugrunde liegende Comic-Vorlage, ein richtig großes Kaliber ist der vorzugsweise unter dem Radar agierende Waffenschieber aber nicht. So hat die Figur dann auch ihre stärksten Momente ganz ohne Kostüm, wenn es während einer beklemmenden Autofahrt zur Konfrontation zwischen dem „Privatmann“ Adrian Toomes und einem in diesem Moment konsternierten Peter Parker kommt. Da spielt Keaton dann seine ganze schauspielerische Klasse aus, wobei Tom Holland durchaus mithält und ebenfalls eine starke Leistung zeigt.
Auch insgesamt überzeugt die neue Konzeption der Titelfigur und das vor allem aus einem Grund: Zum allerersten Mal haben wir es mit einem „Spider-Man“ und einem Peter Parker zu tun, der tatsächlich wirkt wie ein 15jähriger Teenager – und sich auch genauso verhält. Darsteller Holland bringt dessen innere Unruhe, Unsicherheit und Ungeduld hervorragend rüber, denn im Leben dieses Jugendlichen überschlägt sich gerade alles, was ja auch kein Wunder ist, wenn man plötzlich die Möglichkeit bekommt so herauszustechen aus der Masse der Anderen.
Dabei unterlaufen dem Anfänger Fehler und Missgeschicke, es dauert bis er seine Fähigkeiten in den Griff bekommt und auch ein Gespür dafür entwickelt, wann es überhaupt sinnvoll und nötig ist einzugreifen. Dieser Peter Parker ist nervös und zappelig und genau deshalb gerät die neue Interpretation der Figur so angenehm frisch und unterhaltsam. Und lebt damit von einem von Anfang an vorhandenen Sympathiefaktor, während der Rest der gängigen Elemente eines Superhelden-Films ansonsten nur mittelprächtig Eindruck hinterlässt. Den Gegenspieler haben wir bereits erwähnt und auch die echten Action-Sequenzen sind halt nur ordentlicher Durchschnitt und werden ungewöhnlich sparsam eingesetzt. Am spektakulärsten ist dabei zweifellos die Szene, in der Spider-Man das Auseinanderbrechen der Staten Island-Fähre verhindern muss, aber da hat man vor mehr als einer Dekade beim Kampf mit der Hochbahn in Sam Raimis genialem "Spider-Man 2“ schon Beeindruckenderes gesehen. In einer anderen Szene ist Peter unter Tonnen von Stahl begraben, was dazu genutzt wird eine ikonische Comic-Szene zu zitieren.
Ansonsten entfernt sich „Homecoming“ aber so weit von der Comicvorlage wie noch kein anderer Spider-Man-Film zuvor. Kein Trauma durch den Tod von Onkel Ben, keine Liebelei mit Mary Jane oder Gwen Stacy und auch nirgendwo ein neuer Grüner Kobold mit Namen Osborn. Doch das ist sicher genauso eine kluge Entscheidung wie diejenige, nicht noch ein weiteres Mal die Origin-Story vom Biss der radioaktiven Spinne zu erzählen. Stattdessen also der Kniff Tony Stark als Mentor einzusetzen, wobei der intensive Einsatz eines Robert Downey jr. sowohl im Film als auch in der Promotion natürlich vor allem ein Marketing-Faktor ist, da man den generalüberholten Netzschwinger so ganz allein wohl doch noch als zu unsicheren Kandidaten für einen großen Blockbuster ansah. Aber diese Sorge, so es sie denn wirklich gab, ist unbegründet, der neue „Spider-Man“ funktioniert und die Basis für ein langes Leben als Mitglied des filmischen Marvel Universe ist hiermit gelegt. Oder anders formuliert: „Spidey“ ist endlich nach Hause gekommen.
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