Während man bei der Konkurrenz von DC Comics noch immer versucht, überhaupt mal ein Bein eines überzeugenden filmischen Universums auf den Boden zu kriegen und sich dabei heillos übernimmt (siehe „Batman v. Superman“), ist man bei Marvel schon weit enteilt und läutet nun die offiziell dritte Phase des „Marvel Cinematic Universe“ (MCU) ein. Nach der sechs Filme umspannenden Ursprungs-Phase Eins von „Iron Man“ bis zum ersten „Avengers“-Abenteuer und der ebenfalls sechs Filme umfassenden Phase Zwei, die ihren Ausklang letztes Jahr mit dem zweiten „Avengers“-Film und der Addition des „Ant-Man“ fand, geht es nun richtig ans Eingemachte. Und zwar sowohl was den Umfang betrifft – Phase Drei soll elf Filme beinhalten, ab 2017 wird es jährlich nicht nur zwei, sondern drei neue Marvel-Abenteuer geben – als auch die inhaltlichen Konflikte der Superhelden untereinander. Denn der titelgebende „Bürgerkrieg“ dieses dritten Films um den „First Avenger“ Captain America findet zwischen den Mitgliedern der Avengers selbst statt.
„Krieg“ ist dabei ein etwas großes Wort, doch zu einem sehr grundlegenden Konflikt kommt es hier schon. Und zwar rund um die Frage, mit der sich alle Helden, die Recht und Ordnung in die eigene Hand nehmen, früher oder später immer auseinandersetzen müssen: Wer überwacht eigentlich die Wächter? Denn auch wenn es bei den Avengers immer oberstes Gebot ist, das Leben von Zivilisten um jeden Preis zu schützen, bleiben auch bei ihren Zerstörungsorgien gewisse Kollateralschäden nicht aus. Und als es zu Beginn dieses Films erneut unter tragischen Umständen zu zivilen Opfern bei einem Avengers-Einsatz kommt, mischt sich die Politik ein und fordert Konsequenzen. Denn seit dem Zusammenbruch von S.H.I.E.L.D. (im vorherigen Captain-America-Film „The Return of the First Avenger“) gibt es keine Organisation mehr, welche die Truppe leitet oder kontrolliert.
Um eigenmächtigen Avengers-Einsätzen einen Riegel vorzuschieben, einigt sich die Weltgemeinschaft darauf, die Superhelden-Truppe quasi unter UN-Aufsicht zu stellen, und sie Blauhelme-gleich nur zu international abgesegneten Einsätzen zu schicken. Ob man sich darauf einlassen will, über diese Frage bilden sich zwei Lager unter den Avengers: „Team Iron-Man“ mit dem selbstzweiflerischen Tony Stark an der Spitze hält es für angebracht, nicht mehr in einem rechtsfreien Raum zu operieren und dabei selbst zu entscheiden, was Richtig und Falsch ist. „Team Cap“ hingegen fürchtet die Beschneidung der eigenen Handlungsfreiheit und will das Recht nicht aufgeben sich selbst zu entscheiden, wofür und wogegen man kämpft.
Dafür muss man natürlich selbst ganz genau wissen, was richtig und was falsch ist, und in Starks Augen ist es gefährlich arrogant, sich selbst zur entscheidenden moralischen Instanz zu erheben. Einig wird man sich in dieser ethisch-politischen Frage nicht, und als sich alsbald eine neue Krise von potenziell globalem Ausmaß zusammenbraut, manifestieren sich die theoretischen Gegensätze ganz praktisch, und auf einmal stehen sich zwei Trüppchen Avengers als Gegner gegenüber.
Dass bis hierher vielmehr von den Avengers im Allgemeinen als Captain America im Speziellen die Rede war, ist deutliches Indiz dafür, dass dieser neue Marvel-Streifen ein bisschen Etikettenschwindel ist. Denn es handelt sich mitnichten um ein Solo-Abenteuer des tapferen Patrioten, sondern im Prinzip um den nächsten großen Avengers-Film, nur dass Thor und der Hulk diesmal nicht auf der Bildfläche erscheinen. Was aber auch besser so ist, denn „Civil War“ ächzt auch so schon unter der immer größer werdenden Anzahl an Superhelden, die hier mitmischen. Mit den bereits bekannten Avengers und ihren Sidekicks, den in „Age of Ultron“ hinzugekommenen Scarlet Witch und Vision, dem hier nun auch vorbeischauenden Ant-Man und zwei weiteren neuen Superhelden, die hier ihren ersten Auftritt im MCU hinlegen und demnächst dann jeweils ein Solo-Abenteuer absolvieren dürfen, stehen sich hier zum Höhepunkt des Films bereits zwölf Superhelden in zwei Teams gegenüber. Und man merkt, dass man hier inhaltlich langsam an eine Belastungsgrenze stößt.
Da jede Figur zumindest ein bisschen Leinwandpräsenz und sowas wie einen eigenen kleinen Handlungsbogen bekommen soll, führt das zwangsweise dazu, dass niemand so richtig im Mittelpunkt steht (auch nicht der eigentliche Titelheld), und dass vor allem für den eigentlichen Bösewicht dieser Geschichte nicht sehr viel Platz bleibt. Der wird übrigens gespielt von Daniel Brühl. Wer er hier genau ist und was er genau will bleibt sehr lange im Dunkeln. Womit dieser Film indes eine Verbindung zu seinem Vorgänger hält, denn auch „Civil War“ fühlt sich streckenweise an wie ein klassischer (Polit-)Thriller, in dem der Held die meiste Zeit damit beschäftigt ist herauszufinden, was überhaupt wirklich vor sich geht.
Das ist insgesamt nicht ganz so gelungen wie im absolut grandiosen "The Return of the First Avenger", weshalb „Civil War“ im Kampf um die Krone des besten Marvel-Films nicht an der Spitze mitmischt. Trotzdem kann man dem Film nicht absprechen, dass er den extrem schwierigen Spagat, den er meistern muss, exzellent ausführt: Auf der einen Seite wachsende inhaltliche Komplexität und Ernsthaftigkeit rund um die Frage der ethischen Verantwortung von Vigilanten, auf der anderen Seite das Gebot, primär natürlich immer noch spektakuläres Popcorn-Kino mit hohem Spaß- und Unterhaltungswert abzuliefern.
Dass das gelingt, hat fundamental mit einer gewissen Ironie zu tun. Nämlich dass die Superhelden-Riege die Frage, ob man eigenmächtig kämpfen sollte, eben dadurch behandelt, dass sie miteinander kämpfen. Die zentrale Action-Sequenz des Films, in der sich zwei Sechser-Teams an Superhelden unter Einsatz aller verfügbaren Fähigkeiten und Superkräfte miteinander prügeln, ist entsprechend ein kleines Meisterwerk ihrer Art und ein herausragendes Spektakel, das Seinesgleichen sucht (die Sequenz spielt übrigens am Flughafen Leipzig, zusammen mit einem vorherigen, Action-lastigen Besuch in Berlin und dem Bösewicht Daniel Brühl ist das hier also ein ziemlich „deutscher“ Marvel-Film geworden).
„Civil War“ schlittert über seine gesamte Überlänge immer scharf an der Grenze zur Überfrachtung entlang, er wirkt mit seinen vielen Figuren stellenweise arg fragmentiert, doch wirklich zerfasern tut er zu keinem Zeitpunkt – und das ist hier wohl die wahre Meisterleistung. Die Regie-Brüder Anthony und Joe Russo, die nahezu aus dem Nichts kamen, als ihnen der Vorgänger-Film anvertraut wurde, beweisen hier erneut ihr exzellentes Handwerk. Ihre Fähigkeit, einen derart breit aufgestellten Film unter Kontrolle zu behalten und dem kompletten Dutzend an alten und neuen Heldenfiguren gerecht zu werden, lässt es als eine weise Entscheidung der Marvel-Verantwortlichen erscheinen, den beiden auch das zentrale, als Zweiteiler konzipierte Opus Magnum in dieser dritten Phase des MCU anzuvertrauen. Nämlich den offiziell dritten „Avengers“-Film „Infinity Wars“. Dann werden auch wieder Thor und Hulk mit von der Partie sein und es also mindestens 14 Superhelden geben, die gleichzeitig bedient werden wollen.
„Civil War“ leistet eigentlich 'nur' Grundlagenarbeit, um die entscheidenden inhaltlichen Weichen für die kommenden Filme zu stellen, und er führt deutlich vor Augen, dass sich das MCU endgültig zu einer Serie in Kinoform verwandelt hat: Wer die Vorgänger-Episoden nicht kennt, wird der Handlung und den Figurenmotivationen hier kaum noch richtig folgen können. Das Popcorn-Spektakel wird man trotzdem noch genießen können, aber was „Civil War“ vor allem vor Augen führt, ist die wahre Dimension, zu der sich dieses Kino-Universum inzwischen aufgeschwungen hat und noch aufschwingen wird. Das MCU wandelt sich hiermit endgültig zu einem Gesamtkunstwerk, und „Civil War“ wird sich dabei als der vielleicht zentrale Mosaikstein erweisen, die Mitte von allem. Das allein ist schon Grund genug, warum man sich diesen Film keinesfalls entgehen lassen sollte.
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