Angesichts der nicht gerade kleinen Auswahl an Filmen über den Holocaust ist man ja gerade in Deutschland oft etwas skeptisch, ob man dem Thema im Kino wirklich noch neue Facetten abgewinnen kann. Genau das gelingt aber dem Drama “The Zone of Interest“, das sich dieses Jahr unter anderem in den Kategorien “Bester Film“ und “Bester internationaler Film“ eine Oscar-Nominierung sichern konnte. Man weigert sich hier, im Gegensatz zu vielen anderen Filmen des “Genres“, nämlich konsequent die Gräueltaten seiner Protagonisten auf Zelluloid zu bannen. Stattdessen fokussiert sich das Drama rund um die Familie des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß ganz darauf, die nicht minder erschütternden Banalitäten des Bösen einzufangen. Das funktioniert gerade zu Beginn auf wirklich beeindruckende Weise, doch der komplette Verzicht auf eine Handlung oder Figurenentwicklung im klassischen Sinne entpuppt sich in der zweiten Hälfte des Films leider auch als dramaturgischer Boomerang.
Dass mit dem geradezu paradiesisch anmutenden Garten von Hedwig (Sandra Hüller, “Anatomie eines Falls“, “Toni Erdmann“) irgendetwas nicht stimmt, wird einem schon in den ersten Minuten von “The Zone of Interest“ bewusst. Hinter den direkt daran angrenzenden hohen Mauern (inklusive Stacheldraht) befindet sich schließlich nichts anderes als das berüchtigte Konzentrationslager Auschwitz, dessen Kommandant Rudolf Höß (Christian Friedel, “Elser“, “Das weiße Band“) dort mit brutaler Grausamkeit für “Ordnung“ sorgt. In seiner Freizeit genießt Rudolf mit Ehefrau Hedwig und den fünf gemeinsamen Kindern dagegen die Annehmlichkeiten des benachbarten privaten Anwesens. Und sowohl er als auch Hedwig scheinen sich dabei auch nicht von den Schreien oder dem Rauch aus dem anliegenden Lager die Laune verderben lassen zu wollen.
Mit “Zone of Interest“ wählt das Team rund um Regisseur Jonathan Glazer (“Sexy Beast“, “Birth“) einen bist dato stark vernachlässigten Blickwinkel, um die abscheulichen Taten der Nazis filmisch unter die Lupe zu nehmen. Anstatt die Gewalt und die systematischen Morde in den Konzentrationslagern direkt mit der Kamera einzufangen, legt man sein Augenmerk hier auf den privaten Alltag eines der wohl berüchtigtesten KZ-Kommandanten und seiner Familie. Ein interessanter Ansatz, schließlich hätte die Tötungsmaschine Hitlers ja nie funktioniert, wenn die Beteiligten nicht in der Lage gewesen wären ihre Taten im Privatleben “erfolgreich“ zu verdrängen. Und gerade im Falle von Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß und seiner Familie, die mehrere Jahre direkt neben dem Konzentrationslager wohnten, jagt einem diese Tatsache einen wahren Schauer über den Rücken.
Eine “befriedigende“ Antwort, wie das möglich war, kann uns niemand geben, auch “The Zone of Interest“ nicht. Aber der Film versucht diese pervertierte Konstruktion eines normalen Alltags im Leben der Familie Höß zumindest greifbar zu machen. So schauen wir Rudolf und Hedwig, beide überzeugend gespielt von Christian Friedel und Sandra Hüller, in vielen auch uns vertrauten alltäglichen Momenten über die Schulter, wie dem Familienausflug zum See oder einem Kaffeekränzchen im Garten. Ein Leben voller banaler Routinen und Pflichten, dessen scheinbar harmloser Belanglosigkeit aber vom Film immer wieder gekonnt der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Dabei ist es gerade in der ersten Hälfte des Filmes dessen größte Stärke, wie er uns als Publikum immer wieder geschickt an das Grauen im “Hintergrund“ erinnert, während Rudolf und Hedwig vollkommen unbeeindruckt davon ihrem Leben nachgehen.
Ob die Schreie aus dem Lager oder die Frage, woher denn die “neuen“ Klamotten von Hedwig genau stammen – all das und noch viel Offensichtlicheres scheinen unsere Protagonisten erfolgreich unterdrücken zu können. Genau das macht das Geschehen auf der Leinwand auf eiskalte Weise so intensiv und bedrückend. Lediglich einmal dürfen wir dabei einen kurzen Blick in das Lager erhaschen, wobei aber auch keine Gräueltaten zu sehen sind. Stattdessen greift der Film das Grauen mit viel Symbolik und Andeutungen vor allem auch auf der Audioebene auf.
Dabei sind es nicht nur die Schreie aus dem Lager und der teils bedrohliche Soundtrack, sondern oft auch kleine Nebensätze in Dialogen, die für Erkenntnisgewinne (bei uns) sorgen. Gerade bei den Dialogen muss man aber schon ganz genau aufpassen, denn die sind teils etwas schwer zu verstehen. Was vor allem daran liegt, dass der Film komplett auf Nahaufnahmen verzichtet und uns immer auf mehrere Meter Abstand zu Rudolf und Hedwig hält, die noch dazu oft mit dem Rücken zum Publikum sprechen. Ein sehr effektiver Weg um deren Entrücktheit von uns und der Realität zu unterstreichen. Genauso effektiv wie die sehr statische Inszenierung, die den Alltag der Familie sich genauso unterkühlt und durchorganisiert anfühlen lässt wie das Innere seiner Protagonisten.
Doch die Kraft der eindrucksvollen ersten Filmhälfte lässt leider im weiteren Verlauf des Films dann doch deutlich nach. Man setzt nämlich auch später weiterhin fast ausschließlich auf Symbolik und stets ähnlich gelagerte Andeutungen, während man in Sachen Story dagegen dramaturgisch auf der Stelle tritt. Dass sich die Figuren nicht weiterentwickeln ist angesichts deren Naturell zwar verständlich, zeitgleich aber die Handlung auch noch auf der Stelle treten zu lassen ist leider keine gute Entscheidung. Vor allem, da man es mit der Symbolik dann hier und da doch spürbar übertreibt. So bräuchte man nicht die Leinwand mehrere Sekunden lang rot zu färben, um damit eine schon längst transportierte Botschaft noch einmal zu verdeutlichen.
Mit zunehmender Dauer zieht sich das Geschehen wirklich spürbar, da man die eigentliche Botschaft und die angewendeten Stilmittel längst durchschaut hat und nun nur noch mehr vom immer Gleichen präsentiert bekommt. Vereinzelt gelingen dem Film noch ein paar interessante Momente, wie der Besuch von Hedwigs Mutter oder manch irritierendes Verhalten der Kinder. Beide Male wird deutlich, dass nur Hedwig und Rudolf im Haus in der Lage sind die “Hintergrundgeräusche“ erfolgreich auszublenden. Doch diese interessanten Momente sind in der zweiten Hälfte viel zu spärlich gesät. Ein Nebenplot rund um ein Mädchen aus dem Dorf wirkt dazu auch noch sehr aufgesetzt, was auch an der übertrieben surrealen Inszenierung dieser Szenen liegt. Natürlich ist klar, dass die Macher hier mit Absicht sich klassischem Storytelling verweigern, aber das geht eben leider dann doch deutlich zu Lasten der Wucht, die der Film zu Beginn noch so überzeugend entfalten konnte.
Genauso zwiespältig fällt dann auch das Ende des Films aus, für das man zwar einen netten Einfall hat, aber irgendwie gefühlt doch zu stark einen möglichst nachdenklichen und cleveren Schlusspunkt forcieren möchte. Überhaupt ist der Hang hier und da dem Geschehen eine Extra-Portion künstlerischere Note einfließen zu lassen für die Wirkung des Ganzen eher hinderlich. Am Schluss ist “The Zone of Interest“ aufgrund der starken ersten Hälfte natürlich immer noch einer der interessantesten filmischen Beiträge zum Holocaust der letzten Jahre, verschenkt aber leider zu viel an Potential, um für wirkliche Begeisterungsstürme sorgen zu können.
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