Beat-Poet Jack Kerouac tippte das Manuskript zu seinem Roman „On the Road“ 1951 auf einer einzigen, aus 120 Seiten zusammen geklebten Papierrolle in einer fiebrigen, spontanen, impulsiven Sprache gemäß seinem eigenen „Glaubensbekenntnis zur Verfassung moderner Prosa“: „Komponiere wild, undiszipliniert, rein! Schreibe, was aus den Tiefen deines Inneren aufsteigt! Je verrückter, desto besser!“ Eine Sprache mit einem Rhythmus, die nicht in das Medium Film übersetzbar schien. Dementsprechend galt Kerouacs Buch, einer der berühmtesten und einflussreichsten amerikanischen Romane des 20. Jahrhunderts, eigentlich als unverfilmbar. Regisseur Walter Salles („Die Reise des jungen Che“) hat es trotzdem versucht. Und scheitert auf hohem Niveau.
Das Wilde, Rauschhafte der Beatniks Sal Paradise (Sam Riley), Dean Moriarty (Garret Hedlund), Carlo Marx (Tom Sturridge) und Old Bull Lee (Viggo Mortensen), die im prüden Amerika der Jahre 1947 bis 1951 mit Drogen experimentieren, freie Liebe praktizieren und sich dem Jazz hingeben kann Salles nur in einigen wenigen Sequenzen einfangen. In den restlichen 137 Minuten filmt er in behäbigem Tempo die Clique um den narzisstischen Dean, die kreuz und quer durch die USA trampt oder in geklauten Autos fährt, hin und her pendelt zwischen Deans Frau Mary Lou (Kristen Stewart) und der von ihm geschwängerten Camille (Kirsten Dunst). Dass diese Reise durch die ländliche Idylle nicht langweilig wird, dafür sorgt die hochkarätige Besetzung dieses Films. Und Bildungs-Beatniks oder Amerikanistik-Studenten können sich über ein Stück verfilmte Literaturgeschichte mit ihren Helden freuen - denn Kerouac verschlüsselte in seinem Buch das reale Personal der Beat-Bewegung nur marginal. Er selbst ist Sal Paradise, Allen Ginsberg ist Carlo Marx, Neal Cassady heißt hier Dean Moriarty) und William S. Burroughs ist Old Bull Lee.
In der Roman-Adaption bedienen sich Salles und sein Drehbuchautor Jose Rivera sowohl des Original-Manuskriptes von 1951 als auch der Erstausgabe von 1957. Hier ist der erste Satz des Romans entscheidend für Salles Interpretation, der in beiden Fassungen divergiert. „Ich traf Dean nicht lange, nachdem meine Frau und ich uns getrennt hatten“ heißt es in der Erstausgabe. Salles hält sich an das Original: „Ich traf Dean nicht lange, nachdem mein Vater gestorben war“ und interpretiert die rastlose Reise von Sal und Dean als Suche nach einer Vaterfigur.
Der Tod seines Vaters hat den jungen New Yorker Schriftsteller Sal Paradise aus der Bahn geworden. Erst als er im Kreise seiner Literaten- und Intellektuellen-Freunde auf Dean Moriarty trifft, verfliegen seine Lethargie und Schaffenskrise. Sal ist fasziniert von dem charismatischen Draufgänger, der mit der sechzehnjährigen Marylou verheiratet ist, intellektuellen Diskursen freien Sex und Marihuana vorzieht und von einer unbändigen Lebens- und Abenteuerlust getrieben ist. Doch als es Sals neuen „Blutsbruder“ nach Westen treibt, kehren das Gefühl der Leere und die Schreibblockade zurück. Bis auch Sal sich auf den Weg macht, quer durchs Land trampt, sich als Erntehelfer und Baumwollpflücker durchschlägt, immer mit dem Ziel Dean wiederzusehen.
Der zerreißt sich zwischen seiner Ehefrau Marylou und seiner Geliebten Camille, die ein Kind von ihm erwartet. Und hat nach Sals Ankunft noch genug Zeit und Energie, um mit seinem Kumpel durch die Jazz-Clubs zu ziehen und Mädchen aufzugabeln. Dean lässt sich von Marylou scheiden, lässt aber auch Camille mit der gemeinsamen Tochter in San Francisco zurück und zieht erneut mit seiner Ex Marylou durchs Land, immer getrieben von der Suche nach seinem Vater, der als Hobo durchs Land streift. Auch der gemeinsame Freund Ed Dunkle (Danny Morgan) hat seine Frau verlassen. Die drei Freunde holen die wütende Galatea (Elisabeth Moss) bei Old Bull Lee in New Orleans ab. Der Drogenpapst hat sich und seiner kleinen Familie ein verrücktes Paradies im tiefen Süden geschaffen – immer auf der Suche nach Erleuchtung und dem nächsten Schuss. Old Bull Lee – ebenfalls eine Art Vaterfigur – warnt Sal vor dem verantwortungslosen Dean. Und schon bald soll sich seine Prophezeiung erfüllen....
„Die einzigen Menschen für mich sind die Verrückten, die verrückt aufs Leben sind, verrückt aufs Reden, verrückt danach gerettet zu werden, die alles auf einmal begehren, die nie gähnen oder gewöhnliche Sachen sagen sondern brennen, brennen, brennen wie fabelhafte Wunderkerzen, die wie Feuerräder über die Sterne explodieren, während du siehst wie in der Mitte der blaue Lichtkern knallt und alle Ahhh machen“, schreibt Sal Paradise alias Jack Kerouac in On the Road über Dean Moriarty. Dean teilt das Schicksal aller Wunderkerzen, er brannte kurz und heftig. Doch leider gelingt es Garrett Hedlund („Tron: Legacy“) nicht, diesen Funken wirklich überspringen zu lassen und die Facetten zu transportieren, die Sal an Dean so faszinierten. Hedlunds Dean bleibt ein durchschnittlich charismatischer, leicht durchgeknallter Typ mit schwer narzisstischen Zügen.
Auch die beiden weiblichen Protagonisten bleiben eher blass. Ist dies bei Kirsten Dunst dem undankbaren Part des wartenden Heimchens geschuldet, bleibt das Potenzial der Figur Marylou aufgrund Kristen Stewarts eher eingeschränkter Mimik weitgehend unausgeschöpft. Sam Riley hingegen, der schon in „Control“ erfolgreich einen introvertierten Künstler verkörpert hat, überzeugt auch als etwas scheuer, lebenshungriger Schriftsteller. Und auch die restlichen Darsteller sind bis in die Nebenrollen und Cameos bestens besetzt – darunter Elisabeth Moss („Mad Men“) als im Drogensumpf sitzen gelassene Galatea, Amy Adams („Julie & Julia“, „The Fighter“) als fixende Lebensgefährtin von Old Bull Lee und Steve Buscemi als schwuler Reisender, mit dem Dean für ein paar Dollar ins Bett geht. Doch auch ihre Leistungen können nicht wirklich etwas daran ändern, dass Walter Salles mit seinem Film an der einzigartigen, fesselnden Atmosphäre des Romans doch deutlich vorbei schrammt und lediglich einen dieser Filme produziert hat, von denen man nachher sagen kann "... aber die Bilder waren schön".
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