Räumen wir als aufklärerisches und besser wissendes Medium, das wir nun mal sind, erst einmal mit gleich zwei weit verbreiteten Fehlinformationen auf: Der Film "Tron" von 1982 war keineswegs ein kommerzieller Flop, sondern spielte allein in den USA immerhin das anderthalbfache seiner Produktionskosten ein. Es handelte sich auch nicht um den ersten Film mit Computeranimationen, denn die hatte der spätere Pixar-Gründer Ed Catmull bereits in den 1970er Jahren in "Futureworld" und später bei seinen Arbeiten für George Lucas verwendet. Es war aber natürlich das erste Mal, dass die digitalen Effekte in einer Produktion eine derart große Rolle spielten und man eine komplette virtuelle Welt entwarf, welche das damals Machbare der Tricktechnik darstellte.
Zu viel mehr als einem moderaten Erfolg und einem überschaubaren Kultfaktor reichte es allerdings trotzdem nicht, jedenfalls nicht beim Publikum. Innerhalb der Branche selbst hatte "Tron" jedoch schon immer einen ganz anderen Stellenwert, denn viele der heutigen Effektzauberer haben oder sehen ihre Wurzeln in diesem Film. Die Idee einen neuen "Tron" zu entwerfen, der natürlich wiederum den jetzt aktuellen und gültigen Stand der visuellen Möglichkeiten zeigen soll, geisterte daher schon länger in den inneren Zirkeln Hollywoods umher, wurde nun nach gut zehn Jahren Vorbereitungszeit umgesetzt und recht passend "Tron: Legacy" betitelt. Und tatsächlich liefert auch der neue Film dem Betrachter genau das Gleiche wie sein Vorgänger vor nunmehr 28 Jahren: Phantastische Bildwelten und eine ziemlich absurde Story.
Beim ersten Mal kehrte der geniale Spieleentwickler Kevin Flynn (Jeff Bridges) noch unbeschadet aus der virtuellen Realität auf dem "Spieleraster" zurück, doch im Jahr 1989 verschwand er (wie wir nun erfahren) dann spurlos und vermutlich endgültig darin und ließ seinen verstörten kleinen Sohn Sam zurück. Gut 20 Jahre später gefällt sich eben dieser Sam (Garrett Hedlund) in seiner Rolle als Online-Guerilla im Kampf gegen die Praktiken der ehemaligen Firma seines Vaters. Doch als dessen alter Weggefährte Alan (wieder gespielt von Bruce Boxleitner) eine Nachricht aus der längst stillgelegten alten Spielhalle seines Vaters empfängt, lässt die Neugier den jungen Mann dort nachforschen. Er gerät in eine Falle, die ihn unvermittelt in ein virtuelles Parallel-Universum zieht. Dort muss sich Sam als Spielfigur in einer mörderischen Arena verdingen, entschließt sich jedoch bald zur Flucht. Groß ist aber seine Überraschung als er dabei gleich zwei Versionen seines Vaters begegnet: Dem tatsächlichen, gealterten Kevin Flynn sowie dem von diesem selbst geschaffenen Master-Programm, das sich jedoch gegen seinen Schöpfer gewendet hat und nichts Geringeres als die Invasion unserer realen Welt plant. Zusammen mit der attraktiven Kämpferin Quorra (Olivia Wilde) stellen sich Vater und Sohn dem fehlgeleiteten "Wesen" in den Weg.
Das klingt nicht nur simpel, sondern ist es auch. Dies aber sicher mit voller Absicht und ohne dass man das bereitliegende Opfer nun unbedingt annehmen und aus Kritikersicht ausschlachten muss. Denn natürlich befinden wir uns hier in "Avatar-Terrotorium", wo es in erster Linie darum geht das Publikum mit den Bildern einer so noch nicht gesehenen Welt zu beeindrucken und die Geschichte selbst letztlich nur ein notwendiges Mittel zum Zweck darstellt, das zumindest halbwegs funktionieren sollte. In diesem Punkt fällt "Legacy" zwar deutlich hinter den vor ziemlich genau einem Jahr über uns gekommenen Geniestreich von James Cameron zurück, doch darf das auch hier eigentlich nur diejenigen wirklich stören, die mit ziemlich falschen, zumindest aber diskussionswürdigen Vorstellungen in den Film gehen.
Mehr als bei "Avatar" könnte das aber diesmal auch auf einen großen Teil des "Mainstream"-Publikums zutreffen, denn eine hübsche allgemeinverträgliche Liebesgeschichte gibt es hier nur in Ansätzen. Stattdessen ist "Tron: Legacy" lupenreines Genrekino und daher vor allem für SF- und Action-Fans ein großes Fest. Die Dimensionen und Animationen in dieser virtuellen Welt sind schlicht gigantisch und ihre Architekten hinter der Kamera und an den Rechnern halten sich kein Stück zurück, sondern präsentieren voller Stolz was sie da geschaffen haben.
Der erst nach dem Wechsel von Sam in die digitale Welt einsetzende 3D-Effekt wird erwartungsgemäß ebenfalls weit stärker und besser ausgereizt als in den allermeisten Produktionen, die dafür heutzutage einen Aufpreis verlangen. Als Reminiszenz an den Vorgänger spiegeln zudem die ersten Erlebnisse des menschlichen Neuankömmlings fast exakt diejenigen seines Vaters viele Jahre zuvor, wenn Sam sich zunächst als Spielfigur in diversen Kämpfen durchsetzen muss und danach auf seinem virtuellen Motorrad die berühmten Tron-Linien nachziehen darf (so wie es der Autor dieses Textes damals auf seinem Commodore 64 tat). Die Gestaltung dieser vollständig neu geschaffenen Welt erinnert dabei im Look sicher nicht unbeabsichtigt an das düstere und deprimierende Los Angeles aus "Blade Runner", was durch den hypnotischen Synthie-Soundtrack des französischen Elektronik-Duos Daft Punk nur noch verstärkt wird.
Dass die Handlung dabei aber selbstverständlich nie auch nur ansatzweise die philosophische Komplexität von Ridley Scotts Klassiker erreicht, dürfte eigentlich keinen überraschen. Denn Gut und Böse sind hier klar benannt und im Grunde geht es um nicht viel mehr als von A nach B zu kommen, das aber auf die spektakulärst mögliche Art und Weise. Innerhalb derartiger Effektgewitter herrscht üblicherweise nur bedingt Bedarf an tief gehenden Charakteren und bleibt eh entsprechend wenig Raum für ausgereifte Schauspielerleistungen. So ereilt dann auch die relativen Newcomer Garrett Hedlund und Olivia Wilde das Schicksal einer jeweils auf reine Funktionalität ausgerichteten Figur, welches beide aber ordentlich meistern (und ertragen).
Aber da ist dann ja doch noch einer, der ein wenig "Old School"-Glanz in die ganze ultramoderne Chose bringt, und das ist natürlich der große Jeff Bridges. Frisch mit einem Oscar geadelt und vermutlich nur kurz vor der Nominierung für den nächsten ("True Grit" von den Coen-Brüdern startet in wenigen Wochen), steht der mittlerweile 61-jährige im Zenit seiner Karriere als Charakterdarsteller und schiebt mal eben kurz großes Blockbuster- und Popcorn-Kino dazwischen. Auch dabei verdient sich Bridges allerdings ein paar Superlative, denn das erneute Verkörpern ein und derselben Filmrolle nach einer Pause von 28 Jahren ist ja an sich schon mal rekordverdächtig. Zur Krönung des Ganzen erleben wir ihn dann aber auch noch gleich zweimal, in der real gealterten und in der zwanzig Jahre jüngeren Version seines Alter Egos. Dessen digital erstellter Kopf ist ebenfalls sehr überzeugend gelungen (weit besser als in den bisherigen "Motion Capture"-Versuchen eines Robert Zemeckis jedenfalls) und lässt zum ersten Mal das Gefühl aufkommen, dass es wohl doch bald möglich sein könnte, einen Schauspieler unabhängig von seinem tatsächlichen Alter und von den begrenzten Möglichkeiten eines Maskenbildners zu besetzen.
Der "Wow"-Effekt stellt sich also mehrmals ein bei "Tron: Legacy", und das ist weit mehr als man bei den meisten Kinobesuchen geboten bekommt. Die etwas übertriebenen 130 Minuten könnten allerdings von all denen, die sich halt nicht ganz so stark für phantasievolle Science-Fiction-Welten begeistern können, auch als etwas anstrengend und banal empfunden werden. Das wäre zweifellos ebenfalls ein akzeptabler Standpunkt, aber um noch einmal eine Parallele zu "Avatar" zu ziehen: Man kann sich ja auch einfach mal von etwas so noch nicht Gesehenem berauschen lassen.
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