Im Westen nichts Neues

Jahr
2022
Laufzeit
148 min
Genre
Release Date
Streaming
Bewertung
7
7/10
von Matthias Kastl / 15. März 2023

Mit vier Oscars in den Kategorien "Bester internationaler Film", "Beste Kamera", "Beste Filmmusik" und "Bestes Szenenbild" schrieb "Im Westen nichts Neues" bei den diesjährigen Academy Awards deutsche Filmgeschichte. Während im Ausland der deutsche Beitrag von den Kritikern zum Großteil ausgiebig gefeiert wurde, fiel die Reaktion der hiesigen Presse auf den Film allerdings deutlich skeptischer aus. So ganz überraschend ist das nicht, schließlich schaut unser bezüglich des heimischen Kinos oft ja sowieso nicht so leicht zu begeisternde Feuilleton gerade bei einem in Deutschland produzierten Kriegsfilm besonders kritisch hin. Doch auch wenn "Im Westen nichts Neues" einige dramaturgische Schwächen aufweist und dem Genre nur bedingt neue Facetten hinzufügt, gelingen dem Team um Regisseur Edward Berger, dank einer guten Inszenierung und tollen Ausstattung, einige durchaus eindrückliche Sequenzen.  

Angestachelt von seinem Lehrer meldet sich im Weltkriegsjahr 1917 der junge Paul Bäumer (Felix Kammerer) zusammen mit seinen Freunden Frantz (Moritz Klaus), Albert (Aaron Hilmer) und Ludwig (Adrian Grünewald) freiwillig für den Dienst an der Front in Frankreich. Der erfahrene Soldat Stanislaus Katczinsky (Albrecht Schuch, "Die Vermessung der Welt", "Atlas") nimmt Paul dabei schnell unter seine Fittiche, doch der Schrecken des Krieges bereitet der romantischen Vorstellung der vier Freunde von einem heldenhaften Kampf für das Vaterland ebenso schnell ein Ende. Während die desillusionierten Jungs an der Front ums Überleben kämpfen, versucht der deutsche Unterhändler Matthias Erzberger (Daniel Brühl, "Nichts bereuen", "Rush - Alles für den Sieg") derweil mit den Franzosen um jeden Preis einen Waffenstillstand auszuhandeln, um diesen sinnlosen Abnutzungskrieg endlich zu beenden.

Das ist natürlich ein ziemlich dickes Brett, das sich das Team rund um den Schweizer Regisseur Edward Berger ("Frau2 sucht HappyEnd") hier im Auftrag von Netflix vorgenommen hat. Die Buchvorlage von Erich Maria Remarque, die von dessen Erlebnissen in den Schützengräben des ersten Weltkriegs handelt, gilt als berühmtester Antikriegsroman der Welt. Und bereits 1930 avancierte die erste Verfilmung des Stoffes durch Lewis Milestone zu einem Filmklassiker, der sich damals den Oscar als "Bester Film" sichern konnte. Kein Wunder, dass unter diesen Voraussetzungen besonders genau hingeschaut wird. Nicht ganz überraschend durften sich die Macher dann vor allem den Vorwurf anhören, man hätte zur Anbiederung an das moderne Publikum sich hier zu viel Freiheiten von der Originalvorlage genommen.    

Tatsächlich ist "Im Westen nichts Neues" gerade im Vergleich zum 1930er Film deutlich weiter weg vom Buch und fügt der Story munter eigene Ideen hinzu. Es ist dabei auch auffällig, wie schnell der Film zur Sache kommt und uns ohne große Einleitung direkt in die Schützengräben wirft. Ohne Zweifel eine Reaktion auf veränderte (und ungeduldigere) Sehgewohnheiten. Doch gerade weil Netflix Mut zeigt und ein solch anspruchsvolles Unterfangen in die Hände eher unbekanntere Filmemacher legt, hat der Film die Chance verdient seinen eigenen Weg zu gehen. Denn am Ende ist es ja immer noch wichtiger, ob ein Film die Essenz seiner Vorlage einfängt und nicht, wie er das tut.

Dass der Film die Vorlage dabei durchaus würdig aufgreifen möchte wird in einer starken Sequenz gleich zu Beginn deutlich. Hier folgen wir dem Kreislauf einer Soldatenkleidung, die nach dem Tod des ursprünglichen Trägers gereinigt und geflickt wird, nur um dann unserer Hauptfigur für deren Fronteinsatz in die Hand gedrückt zu werden. Das ist nicht nur eine Hommage, sondern auch eine eindrückliche und gelungene Weiterentwicklung der Metapher eines Paars Soldatenstiefel aus der Originalvorlage, das dort von einem Besitzer zum nächsten wechselte. Die Botschaft ist die gleiche –  Menschen sind nur Verbrauchsmaterial im seelenlosen Kreislauf der Kriegsmaschinerie.

Auch was die Inszenierung des Grauens an der Front angeht, macht der Film seine Hausaufgaben mehr als ordentlich und zeigt, ebenfalls ganz im Sinne der Vorlage, genauso kompromisslos wie eindrücklich, die so gar nicht glorreichen Bedingungen in den mit Matsch und Blut durchtränkten Schützengräben. Natürlich kommen viele Aspekte der Inszenierung, wie lange Kamerafahrten durch die Schützengräben oder die Art und Weise, wie die Kamera unserem angstvoll durch das Schlachtfeld rennenden Protagonisten folgt, einem aus anderen Filmen schon sehr vertraut vor.

Intensiv und spannend sind diese Szenen aber trotzdem, was nicht nur an dem beeindruckenden Setdesign liegt, sondern auch an einem wirklich gut aufspielenden Hauptdarsteller. Dabei erinnert  Felix Kammerer alleine schon optisch ein wenig an Georg McKay aus "1917", was nicht die einzige Parallele zu dem Film ist. Auch die Kameraarbeit des Films weckt Erinnerungen an Sam Mendes Kriegsdrama, da man auch in "Im Westen nichts Neues" immer wieder sehr schöne, ja fast poetische Bilder generiert, die vielen Szenen abseits der Kämpfe eine gewisse Melancholie verleihen.

Während man sich im Bereich der Regie und Kameraarbeit also durchaus erfolgreich hat inspirieren lassen, wirkt der minimalistische Soundtrack mit einem immer wiederkehrenden Drei-Ton-Motiv deutlich eigenständiger. Zu Beginn noch eher irritierend, verstärkt dieser im späteren Verlauf erfolgreich immer weiter die bedrückende Stimmung des Filmes. In Sachen Atmosphäre und Inszenierung spielt "Im Westen nicht Neues" also auf jeden Fall in der obersten Liga und so muss man hier vor Edward Berger und seinem Team einfach nur den Hut ziehen. So manche dramaturgische Entscheidung des Drehbuches sorgt allerdings dafür, dass man den Hut auch wieder langsam aufsetzt.

Die Entscheidung der Macher zu Beginn direkt in das Geschehen zu springen ohne die vier Freunde und vor allem deren Freundschaft glaubhaft auf dem Bildschirm zu etablieren, beraubt dem Film gerade in der ersten Hälfte leider deutlich an emotionaler Wucht. Dazu erfolgt in der ersten Hälfte ein irritierender Zeitsprung, bei dem man gefühlt einen der interessantesten Aspekte der Geschichte überspringt. Es wäre schon nett zu wissen gewesen, welche Auswirkung der Tod eines der Freunde auf die restliche Truppe hatte. So richtig in die Gefühlswelt der Freunde eintauchen lässt man uns hier nicht, dafür hat sich die Originalverfilmung von 1930 dann doch deutlich mehr Zeit genommen.

Wenn sich im weiteren Verlauf des Filmes der Fokus dann immer stärker auf die Erlebnisse von Paul und dessen Vaterfigur Katczinsky legt, erhalten aber zumindest diese beiden Figuren etwas mehr Ecken und Kanten. Doch auch hier bremst man die Geschichte unnötig aus, indem man sich zwei neue Handlungsstränge rund um die Friedensverhandlungen von Matthias Erzberger und den Kriegswahn des von Devid Striesow ("Ich bin dann mal weg", "Die Fälscher") gespielten Generals Friedrichs ausgedacht hat. Die funktionieren nur leider nicht wirklich, was nicht nur am misslungenen schwäbischen Akzent von Daniel Brühl liegt. Sowohl Brühls als auch Striesows Figur sind derart klischeehaft als Moralapostel und Bösewicht ausgelegt, dass sie auf die Dauer einfach nur berechenbar langweilig sind. Man merkt dann auch schnell, dass der einzige Grund für deren Existenz der Versuch ist, sich am Ende einen spannenden Showdown zu konstruieren. Der ist nun aber wirklich etwas ärgerlich, da man hier die Essenz des Filmes mit dem Holzhammer vermitteln möchte und Subtilität für größtmögliches Drama und künstliche Spannung opfert.

So stellt sich "Im Westen nicht Neues" mit diesen eher unglücklichen Entscheidungen am Ende ein wenig selbst ein dramaturgisches Bein. Was bleibt sind aber trotzdem noch viele sehr kompetent umgesetzte und intensiv wirkende Szenen, denen man allerdings auch eine gewisse Vertrautheit nicht absprechen kann. Einen markanten Fußabdruck, wie zum Beispiel "Der Soldat James Ryan", hinterlässt man so im Kriegsfilmgenre natürlich nicht. Aber gut kopiert ist ja auch halb gewonnen und gerade in diesem Genre in Sachen Ausstattung und Atmosphäre großen Hollywoodstudios Paroli bieten zu können, ist für einen deutschen Film nun wirklich aller Ehren wert. 

Bilder: Copyright

6
6/10

Jetzt habe ich den Film auch gesehen. Für mich die schwächste aller drei Verfilmungen des Ursprungsstoffes. Remarque wollte in seinem Roman den Schrecken des Grabenkrieges aus der Sicht eines einfachen Soldaten darstellen, ohne dabei den Blick auf das Gesamte oder gar die Politik zu richten. Die Extremsituation des Krieges, die Kameraden links und rechts, Ernährung, Schmutz und Dreck im Graben und die Angriffe auf einen unbekannte Linie. Es geht hier um nicht mehr, als um das simple Überleben. Auch die Entspannungssituationen zeigen auf, dass das Grauen des Krieges nicht einfach hinter sich gelassen werden kann. So der Roman, in dem die Nationalität des Hauptcharakters im Grunde belanglos ist. Ebenso wie es am Ende sein Tod ist.

Vielleicht bin ich über die Jahre zu abgebrüht geworden, was (Anti-)Kriegsfilme betrifft. Aber diese Verfilmung lässt in mir einfach keine Anteilnahme mit dem Erleben des Hauptcharakters aufkommen. Für mich sind die Kampfszenen nicht viel mehr als gekonnt inszenierte Actionsequenzen, die die Erlebnisse in der Etappe und um den Friedensschluss herum unterbrechen. Auch der Tod des Paul Bäumer hat am Ende für mich sogar noch etwas heroisches. Erstickt im Schlamm des Grabens, das wäre mir passender erschienen.
Für mich bleibt ein Film, den ich jetzt genau einmal (allerdings im TV) gesehen habe, der versucht hat, neue Aspekte in den bekannten Stoff zu bringen, am Ende aber doch nur ein gut inszenierter Kriegs-Actionfilm bleibt. Die Verfilmung von 1930 wird in mir einen tiefergehenden Eindruck hinterlassen haben. Die sechs Augen gebe ich dem Film dennoch, da ich mich immerhin gut unterhalten fühle.

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