Oh nein, wir sind längst noch nicht durch mit den Marvel-Superhelden, die auf ihre Verfilmung warten. Einer der klassischen Recken, der bisher noch fehlte ist der Magier Doctor Strange, der bereits 1963 von Stan Lee und Steve Ditko (dem ersten Spider-Man-Zeichner) in den Kampf gegen finstere Kreaturen aus anderen Dimensionen geschickt wurde. Auch in Deutschland ist der Doktor den Comic-Fans nicht unbekannt, schon 1976 erhielt er hierzulande seine erste eigene (wenn auch kurzlebige) Reihe. Und bei allen berechtigten Einwänden hinsichtlich einer nicht mehr zu leugnenden Übersättigung mit Marvel-Filmen bringt der „Meister der mystischen Mächte“ noch einmal eine ganz neue Facette ins Superhelden-Universum. Nämlich die der Magie, und mit diesen gewaltigen Kräften sowie seinem charismatischen Hauptdarsteller könnte “Doctor Strange“ die Marvel-Welt noch einmal so richtig durchrütteln.
Er ist mehr als nur ein guter Arzt und das weiß er auch: Dr. Stephen Strange (Benedict Cumberbatch) fehlt es nicht an Selbstbewusstsein, mit einfachen Operationen gibt sich der Meister-Chirurg gar nicht erst ab und auch im Privatleben führt er ein Leben auf der Überholspur. Dies wird ihm jedoch zum Verhängnis, als Strange einen schweren Autounfall erleidet, den er zwar überlebt, doch seine bisherige Tätigkeit kann er aufgrund der nun verkrüppelten Hände nicht mehr ausüben. Nicht bereit dieses Schicksal zu akzeptieren, macht sich der deprimierte Ex-Chirurg schließlich auf ins asiatische Nepal, wo es Menschen geben soll, die über außergewöhnliche Heilmethoden verfügen. Strange wird mit Hilfe von Mordo (Chiwetel Eijofor) schließlich fündig, doch ist „Die Älteste“ (Tilda Swinton) zunächst nicht bereit den überheblichen Mann in ihren Künsten zu unterrichten. Erst als Stephen Strange beginnt die Welt mit neuen Augen zu sehen und ihm bewusst wird, welche geheimnisvollen Mächte und Orte es neben der ihm bisher bekannten Welt gibt, scheint er bereit eine neue Aufgabe zu übernehmen.
Es gab gute Gründe Berlin der Verfilmung dieser Figur vielleicht ein wenig zu zögern, denn mit der Einführung der Magie öffnet man eine völlig neue Tür im bisher (trotz einiger Götter) doch eher wissenschaftlich ausgerichteten Marvel Cinematic Universe. Mit Zauberei ist nämlich theoretisch nun alles möglich, was die Kräfte bewährter Heldenfiguren wie Iron Man oder Captain America oder vor allem Spider-Man und Ant-Man im Vergleich recht bescheiden wirken lassen könnte. Daher ist man hier auch bemüht, das ganze Spektakel auch dann noch irgendwie mit physikalischen und wissenschaftlichen Begriffen zu erklären, nachdem man nun die Büchse der Pandora geöffnet hat.
Das Thema bietet aber andererseits einfach zu viele verlockende neue Möglichkeiten, um diese nicht zu nutzen. Wenn sich hier ganze Städte praktisch verbiegen und zusammenfalten, dann erinnert das eher an Christopher Nolans „Inception“ denn an die gewohnten Kämpfe der Helden in Strumpfhosen. Auch die Zeit lässt sich mit Magie manipulieren, was dazu genutzt wird mal einen gänzlich anders ablaufenden Showdown zu präsentieren. Das sieht dann nicht nur generell ziemlich gut aus, es rechtfertigt auch definitiv den 3D-Zuschlag, denn wo sich ständig Tore in andere Dimensionen öffnen, wo Flammen sprühen und sich die ganze Welt zu drehen beginnt, da bekommt man fast zwangsläufig Einiges geboten in Sachen plastischem Erlebnis.
Mit Scott Derrickson hat man einen Regisseur verpflichtet, der sich auf das Thema „Düsternis“ versteht und mit „Sinister“ oder „Der Exorzismus von Emily Rose“ seine bisher größten Erfolge im Horror-Genre feierte. Zwar gehört „Doctor Strange“ von der Thematik und Ausrichtung her dann auch zweifellos zu den dunkleren Marvel-Filmen, was aber nicht bedeutet, dass man deshalb auf deren gewohnte Art von Humor verzichten muss. Dafür sorgen die eine oder andere unerwartete popkulturelle Anspielung in einem sonst höchst seriösem Umfeld, dafür sorgt aber natürlich vor allem auch der Mann, der sich hier den bunten und beinahe schon als eigenes Lebewesen zu betrachtenden Mantel des Meistermagiers überzieht. Benedict Cumberbatch ist nicht nur einer der derzeit populärsten Schauspieler überhaupt, er ist auch die natürliche Besetzung für den einerseits so arroganten und selbstverliebten, andererseits aber auch wirklich zu Großem fähigen Sherlock, äh Dr. Strange. Die hingeworfenen Kommentare und Oneliner seiner Figur, deren Selbstbewusstsein und Tatkraft sind allesamt Merkmale einer absoluten Führungskraft und somit bewirbt sich der mächtige Doctor gleich mal als Ersatz für Tony Stark, falls denn ein Robert Downey jr.doch bald die Lust verlieren oder sein Blatt in Sachen Gagenforderungen irgendwann überreizen sollte.
Neben Cumberbatch verblasst erwartungsgemäß der Rest der Besetzung, was vor allem bei der für die Handlung ziemlich bedeutungslosen Strange-Freundin Dr. Christine Palmer auffällt, mit der Rachel McAdams nur wenig zu tun bekommt. Und leider, leider trifft das auch wieder mal auf den Haupt-Gegenspieler zu, denn selbst ein Mads Mikkelsen vermag als grell überschminkter ,gefallener Magier' Kaecellius diesem wenig ausgeleuchteten Charakter kaum Konturen oder gar Tiefe verleihen. Wer mit der Vorlage vertraut ist, ahnt aber eh, dass beide Personalien im Grunde nur Platzhalter darstellen, bevor der Sorcerer Supreme sich schließlich in die Zauberin Clea verlieben und gegen den eroberungswütigen Herrscher einer anderen Dimension namens Dormammu ins Feld ziehen wird (letzterer wird bereits in diesem Film eingeführt).
Lediglich Tilda Swinton bekommt als „Die Älteste“ ein paar schöne Szenen ab, was die vorausgegangene Diskussion um das „Whitewashing“ dieser ursprünglich asiatischen und vor allem männlichen Figur deutlich an Schärfe nehmen dürfte. Wesentlich diskutabler ist da schon der Kniefall der Marvel Studios vor dem wichtigen chinesischen Markt. Denn aus Rücksicht auf chinesische Befindlichkeiten verlegte man den Ort der Ausbildung und Erkenntnis für Stephen Strange, der in der Comic-Vorlage stets Tibet war, kurzerhand ins politisch weit weniger heikle Nepal.
Diese Nebenschauplätze beiseitegelegt, lässt sich auch über den zweiten Film der dritten Phase des weiter ausufernden Marvel-Universums aber nicht viel Schlechtes sagen. Visuell ist Doctor Strange erfrischend anders und mitunter sogar aufregend inszeniert, man hat den perfekten Hauptdarsteller ausgesucht und schafft es über weite Strecken erneut witzig und originell zu sein. Ganz klar: Wir werden noch mehr zu hören und sehen bekommen vom seltsamen Doktor.