Ein Streit zwischen zwei elfjährigen Jungen artet aus und der eine verletzt schließlich den anderen im Gesicht. Fest entschlossen, die Angelegenheit vernünftig und vor allem selbstständig zu lösen, treffen sich die beiden Elternpaare zur Aussprache. Im Appartment des „Opfers“ empfangen daher Penelope und Michael (Jodie Foster und John C. Reilly) ihre Gäste Nancy und Alan (Kate Winslet und Christoph Waltz). Relativ schnell verfasst man eine gemeinsame schriftliche Stellungnahme für die Behörde und will sich eigentlich schon wieder verabschieden ohne sich mehr als oberflächlich kennengelernt zu haben. Doch kleine, spitze Bemerkungen auf der einen wie der anderen Seite führen dazu, dass man sich doch nochmal auf eine Tasse Kaffee hinsetzt. Im folgenden Gespräch werden dann die unterschiedlichen Lebensentwürfe und Vorstellungen der beiden Paare deutlich und die gegenseitigen Kommentare immer boshafter, bis die mühsam gehaltene vorgebliche Kultiviertheit endgültig zerplatzt und es zu einen regelrechten verbalen Gemetzel kommt, bei dem schließlich auch vermeintlich klare Fronten vollständig aufweichen.
Vier Personen in einem Raum und eine Handlung die komplett in Echtzeit erzählt wird – das klingt erstmal deutlich mehr nach Theater als nach einem Kinofilm. Und so ist es auch, denn das Stück „Der Gott des Gemetzels“ aus der Feder der französischen Autorin Yasmina Reza feierte in den letzten Jahren einen Siegeszug quer durch die großen Theater der Welt. Als besonders erfolgreich erwies sich dabei die Inszenierung am Broadway, für die Handlung und Schauplätze auf amerikanische Verhältnisse umgeschrieben wurden.
Ausgerechnet diese Version dient nun dem aus allgemein bekannten Gründen seit vielen Jahren nicht mehr in den USA anzutreffenden Regisseur Roman Polanski als Vorlage für seine Filmadaption. Und obwohl es natürlich ein paar Beispiele für gelungene reduzierte Kammerspiele auf der Leinwand gibt, durfte man etwas skeptisch sein, ob denn dieses destruktive Quartett dort wohl die gleiche faszinierende Wirkung entfalten wird wie auf der Bühne, wo die zweifelsohne brillant durchkomponierten Sätze und Dialoge ja viel unmittelbarer aufs Publikum einwirken. Bemerkenswerterweise funktioniert das aber nun auch hier, denn der Rezensent hat selten eine Vorführung erlebt, bei der das Publikum derart „mitgeht“ und praktisch über die gesamte Laufzeit selbst in Bewegung ist, sei es in Form von Gesten, Kopfschütteln oder schallendem Gelächter.
Vor allem Letzteres ist sehr oft zu hören, denn obwohl man ja ein im Grunde sehr deprimierendes und ernüchterndes Stück zu sehen bekommt, bei dem man den Glauben an die Zivilisation und das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Exemplare der Gattung Homo Sapiens eine ganzes Stück weit verlieren kann, handelt es sich hier doch in allererster Linie um eine Komödie. Und die ist deshalb so köstlich gelungen, weil der Text einfach eine große Klasse hat und den Darstellern feine, pointierte Sätze gleich Dutzendweise zur Verfügung stellt, Es ist wunderbar wie dabei mit der Sprache gearbeitet und über diese die einzelnen Figuren definiert werden.
So benutzt etwa die stets alles ausdiskutierende Penelope derart penetrant das Wort „widerlich“, dass ihr grundsätzlicher Ekel vor so ziemlich allem und jedem erst recht erkennbar wird. Für Nancy dagegen ist alles „natürlich“, doch sie ist diejenige die sich in Wahrheit zunächst am wenigsten natürlich von allen verhält. Der blasierte Geschäftsmann Alan gibt sich von Anfang an keine Mühe sein Desinteresse an dem ganzen Frauen- und Familienkram zu verbergen und blickt solange von oben auf das für ihn banale Geschehen herab, bis man ihm sein dauerklingelndes Handy wegnimmt und aus dem selbstgefälligen Dandy eine Art wimmerndes Kleinkind wird. Der joviale Michael gibt sich lange Zeit als harmoniesüchtiger Vermittler, bevor auch er, nicht zuletzt dank einiger Gläser hochprozentigen Alkohols, die Maske fallen lässt und seiner Frustration über das Leben mit dem anstrengenden Gutmenschen Penelope freien Lauf lässt.
Christoph Waltz und Jodie Foster haben dabei die stärkeren Rollen gezogen, ohne dass die anderen Beiden deshalb aber uninteressant wären. Doch Waltz' lässiger Alan dominiert mit seinen Sprüchen ganz klar die erste Hälfte des Films, greift die meisten Lacher ab und ist eindeutig der Liebling des Publikums. Die Leistung von Foster ist aber im Grunde noch beachtlicher und vor allem mutiger, denn ihre Penelope ist eigentlich unerträglich, verkommt aber trotzdem nicht zur Witzfigur. Wie die Schauspielerin ihr dabei auch physisch Profil verleiht, die Zornesadern anschwellen lässt oder die Gesichtsfarbe wechselt ist schon ziemlich beeindruckend.
Es handelt sich hier natürlich ganz klar um einen „Schauspielerfilm“ und alle vier Beteiligten liefern eine klasse Performance ab. Sie lenken damit auch im wahrsten Sinne des Wortes spielend davon ab, dass wir es eben mit nicht viel mehr als vier sich unterhaltenden Menschen auf engem Raum zu tun haben. Ein wenig aufgelockert wird das alles aber durch ständige Perspektivwechsel und Kamerafahrten durch die Wohnung, deren Einrichtung und Blick aus den Fenstern das Geschehen sehr eindeutig in New York verortet, obwohl tatsächlich in Paris gedreht wurde. Umrahmt wird das Ganze dazu ebenfalls sehr hübsch und clever durch den Vor- und Nachspann, mit den einzigen Szenen die außerhalb der Wohnung spielen und die uns zeigen, was tatsächlich zwischen den betroffenen Kindern passiert.
Zugegeben, er ist vorwiegend auf Lacher angelegt und daher gar nicht so besonders tiefsinnig, dieser Blick durchs Schlüsselloch auf die Lebenslügen der vier Bildungsbürger. Er ist zudem mit gerade mal 80 Minuten Laufzeit auch recht kurz geraten. Nichtsdestotrotz wird aber eine Menge geboten, nämlich eines der vergnüglichsten Kinoerlebnisse des Jahres mit einem Quartett herausragender Darsteller. Und wenn man sich am Ende wünscht es möge doch bitte noch mindestens eine halbe Stunde so weitergehen, dann spricht das wohl für sich.
Neuen Kommentar hinzufügen