Filmszene-Jahresrückblick 2017: Erstaunlich geil

von Frank-Michael Helmke / 25. Dezember 2017

Wir haben an dieser Stelle in den letzten Jahren nicht sonderlich viele positive Worte gefunden, der traditionelle Jahresrückblick war zuletzt meist eine erneute Bestandsaufnahme der Malaise des Kinos, eine hadernde Analyse über die immer weiter zunehmende Reduzierung des Kino-Programms auf Superhelden, Animationskomödien und Sequels/Remakes, die kaum noch Platz für andere, originelle Filme lassen. Unseren Jahresrücklick 2016 hatten wir dementsprechend dann auch mit einer ziemlich düsteren Prognose für 2017 beendet. 

Nun sind wieder zwölf Monate vergangen, doch auch wenn sich an den grundsätzlich unschönen Symptomen der programmatischen Einseitigkeit im Kino nicht viel geändert hat - hierzulande als auch in den USA finden sich unter den 20 erfolgreichsten Filmen des Jahres jeweils nur vier wirklich neue Stoffe, die nicht zu irgendeiner Franchise gehören oder bereits Bekanntes neu auflegen - so muss man überraschenderweise doch konstatieren: 2017 war als Kinojahr eigentlich ziemlich geil. 

Das ging schon gleich zu Jahresanfang gut los, als sich die diesjährigen Oscar-Anwärter einer nach dem anderen die Ehre gaben und man eine doch recht erstaunliche Bandbreite an Filmen sehen konnte, die mit der Oscar-Prestige-Einheitsware aus Romanadaptionen und/oder Historiendramen, auf die sich die großen Hollywood-Studios in den letzten Jahren immer mehr versteift haben, nur wenig zu tun hatten. Die drei herausragenden Werke dieser Oscar-Saison - "Moonlight", "La La Land" und "Manchester by the Sea" - wären allein schon in der Lage gewesen, ein deutliches Ausrufezeichen hinter dieses Filmjahr zu setzen. Doch es ging erfreulicherweise auch bemerkenswert weiter. 

Der Comic-Superhelden-Boom blieb auch 2017 ungebrochen, und der Platzhirsch heißt hier nach wie vor Marvel. Die drei diesjährigen Erweiterungen des "Marvel Cinematic Universe", namentlich "Guardians of the Galaxy Vol. 2", "Spider-Man: Homecoming", und "Thor: Tag der Entscheidung" belegen in den amerikanischen Jahres-Kinocharts die Plätze 3, 5 und 7. Die wahren Lorbeeren verdienten sich dieses Jahr aber zwei andere Vertreter des Genres. Zum einen der definitiv letzte Kino-Auftritt von Hugh Jackman als Wolverine, der unter der Regie von James Mangold in "Logan" einen richtig starken Abgang hinlegte und aufzeigte, wie dramatisch stark und inhaltlich erwachsen ein Superhelden-Film auch sein kann, wenn man ganz bewusst auf die jugendfreundliche Altersfreigabe pfeift. Und zum anderen natürlich "Wonder Woman". Nicht nur, dass Warner Bros. in ihrem Bestreben, sich Marvel-mäßig ein eigenes Comic-Kino-Universum aufzubauen, ihren ersten wirklich überzeugenden Film ablieferten und den ersten echten Mega-Erfolg feierten (in den USA überflügelte "Wonder Woman" die gesamte Marvel-Konkurrenz und mauserte sich zum zweiterfolgreichsten Film des Jahres). Man kann auch kaum genug hervorheben, wie es Patty Jenkins gelungen ist, zum ersten Mal eine weibliche Superheldin in diesem sehr männlich dominierten Genre als eigenständige, gleichwertige Hauptfigur zu etablieren. "Wonder Woman" ist tatsächlich ein feministisches Meisterwerk, aber ohne dabei auch nur eine Minute penetrant mit dem emanzipatorischen Zeigefinger zu wackeln. 

Natürlich hatte Hollywood auch dieses Jahr wieder eine ganze Reihe an Franchise-Filmen am Start, die nicht mehr als Mittelmaß waren und mit der ewigen Wiederholung des Immergleichen allenfalls belegten, dass ihre jeweiligen Reihen besser längst beendet worden wären. Warum die Welt unbedingt noch einen fünften "Pirates of the Caribbean" über sich ergehen lassen musste, wissen auch nur die Buchhaltung der Disney Studios und der Steuerberater von Johnny Depp. Und angesichts der vergleichsweise enttäuschenden Einspielergebnisse von "Transformers: The Last Knight" besteht die Hoffnung, dass bei dieser Reihe bald endgültig Schicht im Schacht sein wird. Die Raser von "Fast & Furious" ließen indes auch beim achten Abenteuer an der Kinokasse nicht nach und werden uns wohl noch einige Jahre erhalten bleiben. Zwischen all diesem hirnfreien Action-Quatsch gab es aber immerhin noch den dritten Teil der klügsten Franchise der letzten Jahre zu bewundern, "Planet der Affen: Survival". Die inhaltliche Vielschichtigkeit dieser Prequel-Reihe blieb auch zum Abschluss ein besonderes Schmankerl unter Hollywoods Mega-Produktionen, so dass man fast ein wenig hofft, dass es trotz Trilogie-Abschluss hier vielleicht doch noch weiter geht. 

Die außergewöhnlichste Mammut-Produktion aus der Sequel/Remake-Sparte Hollywoods war dieses Jahr jedoch fraglos "Blade Runner 2049". Ein Film, der so kompromisslos seine eigene Linie durchzog, ohne sich dabei auch nur einen Deut um seine Vermarktbarkeit zu scheren, dass seine bloße Existenz innerhalb von Hollywoods dominierender Produktions- und Geschäftslogik eigentlich schon einem Wunder gleicht. Für Filmfreunde und Anhänger des Originals war Denis Villeneuves herausragendes Sequel das vielleicht größte Highlight dieses Kinojahres. Dass der Film an der Kinokasse relativ enttäuschte und in den USA nicht mal die 100-Millionen-Marke knackte, war dabei ein Verlustgeschäft mit Ansage. Anspruch und Filmkunst rechnen sich einfach nur bis zu einer relativ bescheidenen Budgethöhe. 

Die einzige Ausnahme dafür war dieses Jahr mal wieder Christopher Nolan, der nach wie vor der einzige Regisseur auf der Welt zu sein scheint, der mühelos immense Produktionsbudgets für inhaltlich komplexe Filme freigegeben bekommt, und damit dann auch noch beeindruckende Summen einspielt. Sein "Dunkirk" erwies sich einmal mehr als technisch und handwerklich herausragender Geniestreich, der zudem auch noch innerhalb seines Kriegsfilm-Genres mit ungewöhnlichen erzählerischen Ansätzen zu faszinieren wusste. Dass man auch mit deutlich bescheideneren Budgets immer noch grandiose Genre-Filme herstellen kann, die dann auch ihren verdienten Lohn an der Kinokasse bekommen, zeigten dieses Jahr indes zwei andere Werke. Der so wundervoll filmverrückte Edgar Wright lieferte mit "Baby Driver" den wohl mitreißendsten Film des Jahres ab, der mit seinem zu grandiosem Soundtrack aufgeführten Autoverfolgungsjagd-Ballett auf seine ganz eigene Art ebenso sehr einem klassischen Hollywood-Kino huldigte, wie es zu Jahresbeginn "La La Land" getan hatte. Und dann war da natürlich noch Jordan Peeles "Get Out", der fraglos originellste, cleverste und hintersinnigste Grusel/Horror-Film seit einer halben Ewigkeit. Wie hier beißende Gesellschaftssatire, hintergründige Komödie und mit großem Spaß abgefeierte Genre-Standards zusammengerührt wurden, das war vielleicht die größte und schönste Genre-Überraschung dieses Kinojahres. Den Namen Jordan Peele sollte man sich als Filmfan ab jetzt auf jeden Fall merken. 

Man nehme dazu noch absolut großartige Filme wie Kathryn Bigelows meisterhaftes Doku-Drama "Detroit", den einmal mehr wundervoll erzählten neuesten Pixar-Film "Coco", Darren Aronofskys herrlich durchgeknallten "mother!" oder David MacKenzies Indie-Krimi-Kleinod "Hell or High Water", und man hat ein Kinojahr, über das man wahrlich nicht meckern kann. In der Tat hatten manche von uns durchaus Schwierigkeiten sich zu entscheiden, welche Filme wir in unsere jeweilige Jahres-Top Ten aufnehmen wollen und welche es dann doch nicht ganz schaffen würden. Wenn man in dieser Hinsicht am Jahresende die Qual der Wahl hat, dann kann man wirklich zufrieden feststellen: So darf das nächstes Jahr gerne weitergehen.

Dass einige Filmszene-Redakteure trotzdem keine vollständige Bestenliste zusammenbekommen haben, ist nicht der Qualität des Kinojahres geschuldet, sondern dass wir alle es immer seltener ins Kino schaffen. Eine Tatsache, die 2018 auch ihre Konsequenzen auf die Gestaltung und Ausrichtung unseres kleinen Film-Magazins hier haben wird. Doch dazu werden wir Euch, liebe Leser, noch zu gegebener Zeit näher informieren. Jetzt wünschen wir Euch erst einmal schöne Weihnachten und ein frohes neues Jahr!

 

Die Tops und Flops im Kinojahr 2017 aus Sicht unserer einzelnen Redakteure

Frank-Michael Helmke

Top Ten
La La Land
Moonlight
Blade Runner 2049
Dunkirk
Manchster by the Sea
Coco
Get Out
Baby Driver
Hell or High Water
Wonder Woman
 
Flop Five
Ghost in the Shell
Die Mumie
Die Schöne und das Biest
Victoria & Abdul
Bullyparade - Der Film

Volker Robrahn

Top Ten
Blade Runner 2049
Manchester by the Sea
Baby Driver
Dunkirk
La La Land
Wonder Woman
The Lego Batman Movie
Kong: Skull Island
Elle
Valerian
 
Flop Five
Die Mumie
Fack ju Göhte 3
Assassin's Creed
The Circle
Unter deutschen Betten

Matthias Kastl

Top Ten
Blade Runner 2049
Manchester by the Sea
Logan
Hell or High Water
Dunkirk
La La Land
Planet der Affen: Survival
Lion
Moonlight
Get Out
 
Flop Five
 
 
 
 
 

Maximilian Schröter

Top Ten
Manchester by the Sea
Blade Runner 2049
Mein Leben als Zucchini
Moonlight
Sieben Minuten nach Mitternacht
Tiger Girl
Lion
Logan
Hacksaw Ridge
Train to Busan
 
Flop Five
Die Mumie
The Great Wall
Baywatch
Die Schöne und das Biest
Justice League

Johannes Miesen

Top Ten
La La Land
Manchester by the Sea
Moonlight
Get Out
Hell or High Water
Lion
Dunkirk
Water Woman
Die Verführten
Spider-Man: Homecoming
 
Flop Five
Blade Runner 2049
Baby Driver
Star Wars: Die letzten Jedi
Alien Covenant
Pirates of the Caribbean 5

Simon Staake

Top Ten
Moonlight
Blade Runner 2049
Hell or High Water
Manchester by the Sea
Planet der Affen: Survival
La La Land
Get Out
Logan
Es
Life
 
Flop Five
Alien: Covenant
Live by Night
 
 
 

Margarete Prowe

Top Ten
The Square
Liebe auf Sibirisch
Wonder Woman
Star Wars: Die letzten Jedi
Valerian
King Arthur: Legend of the Sword
Guardians of the Galaxy Vol. 2
 
 
 
 
Flop Five
Suburbicon
Atomic Blonde
 
 
 

 


Obwohl ich nicht alle aufgezählten Filme gut fand, teile ich die Einschätzung, dass 2017 ein sehr starkes Filmjahr war.

Zwei weitere Filmperlen des Jahres, die oben nicht genannt werden (wohl weil sie hierzulande skandalöserweise gar keine oder nur eine limitierte Kinoauswertung erhalten haben), wären noch "Der unsichtbare Gast" und "Die Erfindung der Wahrheit".

Ansonsten gefallen mir die Listen der Redakteure gut. Nur die Flop-Liste von Johannes Miesen sorgt mit den Titeln "Blade Runner 20149" und "Baby Driver" für Stirnrunzeln, aber jemandem, der das Meisterwerk "La La Land" auf den verdienten ersten Platz bei den Tops setzt, kann man letztlich nicht böse sein.

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Absolut d'accord mit eurer Einschätzung und meine Top 10 sieht sehr ähnlich aus.

Für mich ist "Get Out" der Film des Jahres, da er wie kein zweiter gesellschaftliche Relevanz und Unterhaltung kombiniert hat.
Mittlerweile 5x auf Bluray gesehen und ich kann jedem den Audiokommentar empfehlen.

La La Land, Moonlight, Manchester by the Sea und Dunkirk waren allesamt herausragend und wären in den meisten Jahren auf Platz 1 oder 2 gewesen.

Baby Driver, IT, Logan, John Wick: Chapter 2, Arrival, Guardians of the Galaxy Vol. 2, Train to Busan, Nocturnal Animals streiten sich dann um die restlichen Top 10 Plätze.

Den neuen Spiderman und Wonder Woman fand ich gut aber nicht gut genug für die Top 10.

Wenn man dann noch Blade Runner und den Abschluss der (bisher) großartigen Affen-Trilogie nimmt, die ich beide noch nicht gesehen habe, war 2017 ein überragendes Filmjahr mit überraschend wenigen Flops - Michael Fassbender (Assassins Creed und The Snowman waren leider richtig mies und Alien ziemlich mittelmäßig...) mal ausgenommen.

Vielen Dank Filmszene, vielen Dank Hollywood, so kann's weitergehen!

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ist kinotechnisch komplett an mir vorbeigegangen. Dank euch habe ich jetzt eine Liste, die ich abarbeiten kann :)

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