Noch einmal mit Gefühl: Zum allerletzten Mal lässt sich Hugh Jackman Koteletten verpassen und mit CGI-Adamantiumknochen in der Postproduktion versehen. Nach siebzehn Jahren soll also nun Schluss sein mit Jackmans Paraderolle und es ist nicht so recht vorstellbar, wer danach eigentlich in seine Fußstapfen treten soll. Dass Jackman damals nur die Rolle der kanadischen Waffe X bekam, weil der eigentlich angeheuerte Dougray Scott (“wer?” sagt jetzt... so ziemlich jeder) aufgrund von Drehverzögerungen am Set von “Mission Impossible 2” hängenblieb, ist einer dieser Treppenwitze der Filmgeschichte. Ein anderer: Dass damals ein Großteil der Comicfans das Casting von Jackman verteufelten. Der sei doch viel zu groß, viel zu sportlich, viel zu wenig kanadisch usw. Aber von der ersten Sekunde an war Jackman James Howlett alias Logan alias Waffe X alias The Wolverine. Und wenn dies tatsächlich das letzte Mal ist, und es sieht verdammt danach aus, so tritt Logan dann als Held seiner sehr durchwachsenen Solo-Filmreihe zumindest mit einem absoluten Highlight ab, mit dem wohl besten ihn involvierenden Film überhaupt.
Es ist das Jahr 2029 und Mutanten sind so gut wie ausgestorben. Wortwörtlich. Seit über zwanzig Jahren ist kein neuer Mutant geboren worden, die alten Mutanten wurden von der Regierung eliminiert oder sie leben im Untergrund. So wie eben Logan (Hugh Jackman), der seinen Lebensunterhalt mehr schlecht als recht als Limousinenfahrer in Texas verdient und sich ansonsten in einer maroden alten Fabrik in Mexiko zusammen mit dem Albino-Mutanten Caliban (Stephen Merchant) um den mittlerweile über 90-jährigen ehemaligen Professor X, Charles Xavier (Patrick Stewart) kümmert. Dieser ist mittlerweile senil und kann seine geistigen Kräfte nicht mehr unter Kontrolle halten. Nur dank Drogen kann Logan seinen alten Lehrmeister davon abhalten, mit ungezielten Ausbrüchen seiner telepathischen Kräfte große Schäden anzurichten. Logan selbst ist ein Schatten seiner selbst, dessen Selbstheilungskräfte nachlassen und der sich wieder dem Suff hingegeben hat. Als er von dem schmierigen Pierce (Boyd Holbrook) angesprochen wird, der von ihm den Aufenthaltsort eines kleinen Mädchens wissen will, ahnt Logan, dass sich Ärger zusammenbraut. Tatsächlich hat er bald Laura (Dafne Keen) vor sich – und Pierce und sein Team von Söldnern auf den Fersen. Gegen seinen Willen muss Logan also noch mal die Adamantiumkrallen ausfahren, um sich, den Professor und das mysteriöse Kind auf einer Verfolgungsjagd quer durchs Land zu beschützen...
Um besser zu verstehen, was “Logan” alles richtig macht, muss man sich vielleicht mal kurz angucken, was die Vorgängerfilme mit ihm alles falsch gemacht haben: Sie haben ihn oft unnütz mit dutzenden von neuen (und manchmal – wie im ersten Solofilm – bekloppten) Mutanten umzingelt. Auf der Jagd nach dem Taschengeld der Teenager wurde zugunsten des PG 13-Ratings aus der eigentlich animalischen, die Blutlust nur mühsam unterdrückenden Bestie hinter dem Menschen ein Papiertiger, der zwar noch Oneliner raushaute, seine Adamantiumkrallen aber immer weniger. Und wenn doch mal, dann klinisch rein und völlig blutlos. Waffe X? Oder doch mehr Waffe Meister Proper?
Damit ist hier jetzt Schluss. Und Schluss gemacht hat damit ausgerechnet der Regisseur, der bei Logans letztem Abenteuer “Wolverine: Weg des Kriegers” zwar einen recht guten Job machte, sich aber auch nicht unbedingt als Auteur im Stile eines Christopher Nolan empfahl. Was ist also dieses Mal anders, so dass die Qualitätskurve steil nach oben steigt? Vor allem zwei Dinge: Zum einen hat Mangold selbst die Geschichte ersonnen und (mit Co-Autoren) geschrieben, war also deutlich involvierter im Inhalt als beim letzten Mal, wo ein Film, der allen irgendwie gefallen sollte und es dann keinem so richtig tat, von diversen Autoren zusammengebaut wurde. Und damit gibt es hier eine inhaltliche und stilistische Stringenz, die den anderen "Wolverine”-Soloabenteuern und auch dem einen oder anderen “X-Men”-Film komplett abgeht.
Der andere, mindestens genau so wichtige Punkt: Endlich wird die Bestie von der Leine gelassen. “Logan” ist der erste Film aus Fox' gesamter Mutantensaga, der in den USA mit einem R-Rating versehen wurde. Wenn Logan als allererstes Wort erstmal ein herzhaftes “Fuck” murmelt und er dann Sekunden später ein paar extrem schwer von Begriff erscheinenden Autodiebe per Krallen um Arm, Bein, Blut und Leben erleichtert, ist die Marschroute hier eindeutig vorgegeben: Es wird (CGI-)Blut fließen, und das in ziemlichen Mengen. Sagen wir das mal so: Hier wird einem zum ersten Mal und deutlich gezeigt, was passiert, wenn Köpfe und andere Körperteile auf Adamantiumkrallen treffen. Und für einen immer noch Superheldenfilm hat dieser Streifen mehr abgetrennte Köpfe zu bieten als die meisten Horrorfilme.
Von der ein wenig hochgeschraubten Gewalt soll sich aber bitte keiner ablenken lassen, denn diese steht nicht nur für sich selbst, sondern im Dienste einer düsteren Geschichte, die man eben nicht blut- und gewaltlos abwickeln kann. Der mittlerweile seinem Lebensende deutlich näher stehende Logan philosophiert hier mehrmals über die Leben, die er genommen hat, und manchmal fühlt man sich ein wenig an Clint Eastwoods Abhandlung über Gewalt, “Erbarmungslos” erinnert.
Was übrigens alles andere als ein Zufall ist: James Mangold hat vor ein paar Jahren ein ziemlich gutes Westernremake gedreht (“Todeszug nach Yuma”) und lässt in einer Schlüsselszene Xavier und Laura den Westernklassiker “Mein großer Freund Shane” schauen und später dessen Moral zitieren: Egal, ob es sich um böse Menschen gehandelt hat, das Töten hinterlässt immer Spuren auf dem eigenen Charakter, die man nicht abschütteln kann. Dies war eigentlich schon immer das Thema des inmitten der bunteren, leichteren anderen X-Men-Charaktere ziemlich brüterischen Logan. Aber selten wurde es so konsequent herausgearbeitet und an seine logischen Grenzen gebracht wie hier.
Und stilistisch wie konzeptuell hat Mangold hier den Superheldenfilm als modernen Western adaptiert. Was natürlich perfekt zu dem wortkargen Einzelgänger im Zentrum des Films passt. Man merkt es sowohl Machern als auch Darstellern an, dass sie nach den doch ziemlich verkorksten anderen Filmen der Reihe zum Abschluss von Jackmans Tour als Wolverine hier wirklich alles in die Waagschale geworfen haben, um der Figur gerecht zu werden. Und weil dies so fabelhaft geklappt hat, kann man nur hoffen, dass man bei Fox aufgepasst und aus Sonys Fehlgriff mit deren ungewollten wie wenig geliebten “Spiderman”-Reboots gelernt hat. Auch wenn es wohl Wunschdenken bleibt: nach diesem wirklich extrem gelungenen Abschluss sollte man jetzt von dieser Figur erstmal ein paar Jahre die Finger lassen.
“Logan” ist ein düsteres Actiondrama, das mit dem üblichen “Helden in mehr oder minder bunten Kostümen bekämpfen galaktischen Obermotz zur Rettung der Erde” (gerade im letzten X-Men-Film “Apocalypse” durchexerziert) so gut wie nichts mehr gemein hat, sondern sich eher wie ein brutaler Neowestern gibt (komplett mit Farm und Kampf um Wasserversorgung), der eben nur zufällig auch ziemlich viel mit Mutanten und ihren Fähigkeiten zu tun hat. Zu diesem relativ realistischen und darin an Bryan Singers erste beiden “X-Men”-Filme erinnernden Ansatz passt dann, dass neben einer später auftauchenden Überraschung die Rolle des Bösewichts mit dem physisch eher unbeeindruckenden Boyd Holbrook besetzt ist, der dafür (zumindest in der Originalfassung) allein mit seinem bedrohlichen Südstaatenakzent mehr reißt als so manch anderer fader Bösewicht im in der Richtung nicht immer super aufgestellten Marvel Cinematic Universe.
Auch wenn man “Logan” direkt mit dem anderen Film der Reihe, der sich mit einer dystopischen Zukunft befasst, “X-Men: Zukunft ist Vergangenheit”, vergleicht, gewinnt diese Version einer negativen Zukunft durch ihre Zurückhaltung. Anstatt einer (vom “Terminator” geklauten) Welt in Trümmern erinnert die Zukunft hier eher ein bisschen an Cormac McCarthy und auch ein bisschen an den ersten “Mad Max”. Dazu passend inszeniert Mangold die erste große Actionsequenz und Verfolgungsjagd wie direkt aus “Mad Max 2 – Der Vollstrecker”, in der die auch wild ausehende und “Reavers” genannte Kopfgeldjägerbande Logans Auto mit Motorrädern und Kampfjeeps angreift.
Wenn man “Logan” bzw. genauer gesagt James Mangold überhaupt irgendwo einen Vorwurf machen kann, dann den des verschleppten Tempos. Schon “Todeszug nach Yuma” streckte seine schmale Story auf zwei Stunden und auch “Wolverine: Weg des Kriegers” schleppte sich unnötig über die Zweistundengrenze. “Logan” schlägt mit 136 Minuten zu Gute und auch wenn man den ruhigen, zielsicheren Stil zu schätzen weiß, lässt sich nicht leugnen, dass sich der Film im Mittelteil etwas zieht und man sicherlich ohne großen Substanzverlust mit etwas kompakterem Schnitt unter zwei Stunden hätte landen können, was dem Film sicherlich gut getan hätte.
Aber dies ist wirklich nur eine Kleinigkeit in einem ansonsten sehr guten Film, der ein Kapitel der “X-Men”-Saga so gelungen abschließt, wie man es vorher kaum für möglich gehalten hätte. Am Ende hat die beliebteste Figur des Mutantenuniversums den Abschied bekommen, den sie verdient, und dann ist alles gesagt, und nur der greise Johny Cash darf, soll, ach was, muss den Epilog singen: Some Are Born And Some Are Dying, It's Alpha And Omega's Kingdom Come.
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