Im Winter 1964 sitzt ein älterer Herr, mit der Zigarre in der Hand, an einem Stammtisch – umgeben von einer Gruppe junger Menschen, zahlreichen Biergläsern und gleich mehreren Fernsehkameras. Es ist die Fernsehsendung “Heute Abend Kellerclub“ und Generalstaatsanwalt Fritz Bauer diskutiert mit viel Herzblut die Probleme Nachkriegsdeutschlands mit der Vergangenheitsbewältigung der NS-Zeit. Es ist eine faszinierende Sendung und so wundert es nicht, dass Regisseur und Drehbuchautor Lars Kraume für sein Polit-Drama “Der Staat gegen Fritz Bauer“ in einer Szene ebenfalls darauf zurückgreift und den Kellerclub für ein paar Minuten wiederauferstehen lässt. Wer das Original sieht (hier zu finden) kann sich auf jeden Fall nur schwer Bauers Mix aus Eloquenz, leidenschaftlichem Kampfeswillen und grantelndem Schwaben-Charme entziehen.
Doch der Titel der Sendung birgt auch eine unfreiwillige Ironie, die das traurige Schicksal von Fritz Bauer nur leider zu treffend beschreibt. Denn genau hier unten im Keller hätten viele politische Weggenossen Bauer und dessen Wunsch nach einer lückenlosen Aufklärung der Nazi-Verbrechen nur zu gerne weggesperrt. Der so gut wie aussichtslose Kampf des Sohnes jüdischer Eltern gegen die von Alt-Nazis durchsetzte Politik und Wirtschaft im Nachkriegsdeutschland ist ein beschämendes Kapitel der deutschen Geschichte – und bietet genau deswegen faszinierenden Stoff für einen interessanten Kinoabend. Glücklicherweise hat man mit Lars Kraume genau den Richtigen auf diese Geschichte angesetzt, denn wie hier mit fast traumwandlerischer Sicherheit ein derart souveränes Polit-Drama abgeliefert wird, das erlebt man im deutschen Kino nun wahrlich nicht allzu oft. “Der Staat gegen Fritz Bauer“ ist nicht nur lehrreich, sondern vor allem auch unterhaltsam - mit einer Story, die ohne ein Gramm Fett zuviel daherkommt und zu einem richtig kurzweiligen und nachdenklich stimmenden Ausflug in die eigene Geschichte wird.
Den Fokus legen Kraume und sein Co-Autor Olivier Guez dabei auf Fritz Bauers Jagd nach dem berüchtigten SS-Obersturmbandführer Adolf Eichmann. Zwölf Jahre nach Kriegsende erhält Bauer (Burghart Klaußner, „Good Bye, Lenin!“, „Das weiße Band“) Hinweise auf einen möglichen Aufenthaltsort des Nazi-Verbrechers in Argentinien – doch der wahre Gegner lauert in den eigenen Reihen. Aus Bauers Büro verschwinden auf merkwürdige Art und Weise Akten, und sowohl der Oberstaatsanwalt Ulrich Kreidler (Sebastian Blomberg) als auch das BKA in Person von Paul Gebhardt (Jörg Schüttauf) behindern Bauers Ermittlungen. Lediglich der junge Staatsanwalt Karl Angermann (Ronald Zehrfeld) scheint vertrauenswürdig zu sein, und so wendet sich Bauer an ihn um zumindest einen Verbündeten im Kampf gegen die alten Seilschaften der Nazi-Zeit an der Seite zu haben.
Mit dem Heldentum tuen wir Deutsche uns ja bekanntlich etwas schwer. Mit dem Blick auf die eigene Geschichte verwundert es nicht, dass deutsche Helden oft nur dann ohne Diskussionen auf der großen Leinwand akzeptiert werden, wenn die moralische Rollenverteilung so eindeutig gelagert ist wie es in der Zeit des Nationalsozialismus („Elser“, „Sophie Scholl“) der Fall war. Natürlich definiert auch „Der Staat gegen Fritz Bauer“ seine Hauptfigur über den Kampf gegen den Nationalsozialismus. Aber es ist in gewisser Weise erfrischend, dass dies hier in einer Zeit passiert, die im deutschen Kino lange eher stiefmütterlich behandelt wurde. Die Versäumnisse bei der Wiederaufarbeitung des Nationalsozialismus im Nachkriegsdeutschland sind kein ruhmreiches Kapitel dieses Landes und es ist an der Zeit, dass auch hier deutsche Filmemacher den Finger in die Wunde legen. Schon letztes Jahr hatte die Figur des Fritz Bauer ja einen gelungenen Auftritt auf deutschen Leinwänden, wenn auch nur als Nebenfigur im thematisch ähnlich gelagerten “Das Labyrinth des Schweigens“. Nun bekommt er also endlich seinen eigenen Film.
So ist Fritz Bauer dann auch Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, der moralische Kompass an dessen Seite der Zuschauer durch den Sumpf der Nazi-Altlasten des Landes watet. Burghart Klaußner gelingt es dabei sehr schnell auch eine emotionale Verbindung seiner Figur zum Zuschauer zu schaffen. Sein Fritz Bauer ist scharfzüngig und schlagfertig, leidenschaftlich und aufbrausend – besitzt aber gleichzeitig eine fast liebevoll-väterliche Ausstrahlung, der man sich nur schwer entziehen kann. Klaußner versteht es geschickt, der Figur genau die nötige Menschlichkeit und Verletzlichkeit zu verleihen, damit diese nicht Gefahr läuft in die Rolle des eindimensionalen verbissenen alten Mannes zu verfallen. Mit anderen Worten, eine Hauptfigur mit der man sich, trotz einiger Marotten und des manchmal sehr polternden Auftretens, doch sehr schnell identifizieren kann.
Das man Bauer noch einen jungen Anwalt zur Seite stellt mag auf den ersten Blick unnötig wirken, ist aber ein geschickter Schachzug. Denn während Bauer eher der Typ Eigenbrötler ist, bekommt man durch Angermann und dessen bedeutend größeres soziales Umfeld auch einen Einblick in die Haltung anderer Teile der Gesellschaft. Der charismatische Ronald Zehrfeld schafft es dabei schnell, seine Figur vielleicht nicht als ebenbürtige, aber doch zumindest sympathische und nutzvolle Ergänzung zu Bauer zu etablieren. Dazu gibt es noch eine weitere private Gemeinsamkeit der beiden, deren Einarbeitung in die Geschichte manch anderer Filmemacher wohl nicht so elegant und unaufgeregt hinbekommen hätte wie hier.
Letztendlich ist der faszinierendste Aspekt aber dann doch die politische Komponente der Geschichte, und wo wir gerade bei eleganten Lösungen der Filmemacher waren, hier gibt es gleich das nächste große Lob. Wie souverän hier der politische Kontext mal nebenbei veranschaulicht wird, ohne dass der Film in trockenen Faktenbergen versinkt, ist schon wirklich beeindruckend. Da wird auf die Rolle des BKA, der Staatsanwaltschaft, des Mossad oder gar der CIA eingegangen, ohne dass der Film merkbar an Tempo verliert, sondern stattdessen konsequent seine Geschichte weiterverfolgen kann. Natürlich geht der Film in den einzelnen Punkten nicht immer wirklich in die Tiefe, aber ausnahmsweise ist Oberflächlichkeit hier einmal ein Pluspunkt, weil stattdessen die Zusammenhänge und Rollen der unterschiedlichen Parteien sehr gut dargestellt werden.
Wenn selbst der israelische Mossad, an den sich Bauer mangels deutscher Unterstützung im Falle Eichmann wendet, sich aufgrund von ausstehenden Waffenlieferungen der deutschen Regierung nur zögerlich an der Suche nach dem NS-Verbrecher beteiligen will, kann man sich in etwa vorstellen wie frustrierend die Arbeit von Bauer wirklich gewesen ist.
Man merkt einfach, dass Regisseur und Co-Autor Lars Kraume („Die kommenden Tage“, „KDD-Dauerdienst“) sich in diesem Genre pudelwohl fühlt. Er inszeniert “Der Staat gegen Fritz Bauer“ als geradliniges und effizientes Kammerspiel, das mit einer souveränen Leichtigkeit durch dieses schwere Thema rauscht und genau in den richtigen Momenten wohldosierten Humor einsetzt um den Zuschauer in all dem frustrierenden Nazi-Sumpf nicht komplett die Hoffnung verlieren zu lassen. Vielleicht ist das dann auch das größte Kompliment, welches man dem Film machen kann. Ein derart anspruchsvolles Thema auf intelligente Weise sowohl unterhaltsam als auch lehrreich gestalten zu können, so dass selbst Polit-Muffel glänzend unterhalten werden, ist ein Spagat an dem schon viele gescheitert sind. Wenn es etwas kritisch zu bemängeln gibt, dann dass der Film an einigen Stellen seiner Hauptfigur doch manchmal etwas zu pathetische Worte in den Mund legt. Bezeichnend dafür ist der letzte Satz des Films, wo man mit dem Holzhammer noch einmal eine Botschaft an den Mann bringen möchte, die derart offen doch gar nicht ausgesprochen werden müsste. Über die moralische Integrität von Fritz Bauer und dessen Ziele bestehen nämlich von Anfang an keinerlei Zweifel und so wirkt es manchmal einfach etwas zu viel, wenn Bauer diese dann noch einmal offen und manchmal etwas ungelenk vor einem ausbreitet.
Es ist am Ende aber dann doch ein starkes Stück deutsches Kino was wir hier geliefert bekommen. Der Film regt zum Nachdenken an und macht neugierig auf eine der faszinierendsten politischen Figuren der deutschen Nachkriegsgeschichte – und das alles auf beeindruckend kurzweilige Art und Weise. Fritz Bauer mag zu Lebzeiten nicht die Gerechtigkeit erfahren haben, für die er selbst Zeit seines Lebens gekämpft hat. Aber es ist immerhin ein kleiner Trost, dass das deutsche Kino ihn derart überzeugend zu würdigen weiß. Es gibt sie nämlich doch, die deutschen Helden.
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