Kometenhafter Erfolg kann für einen Künstler Segen, aber auch Fluch sein. 2006 erschien Florian Henckel von Donnersmarck wie aus dem Nichts mit "Das Leben der Anderen" auf dem Kino-Parkett, gewann mit seinem Debütfilm so ziemlich jeden Preis, den man sich nur vorstellen kann, bis hin zum Oscar für den besten fremdsprachigen Film, und war aus dem Stand zu einem Filmemacher mit Weltruhm geworden. Es war ein unglaublicher Triumph - aber auch ein massives Problem für den Künstler, denn was kann man, was will man darauf folgen lassen? Was will man noch erzählen, was hat man eigentlich noch zu sagen?
Henckel von Donnersmarck schien darauf keine Antwort zu haben. Natürlich lockte ihn damals sofort Hollywood, doch jahrelang fand der Regisseur keinen Stoff, der ihn genügend reizte, bis er sich schließlich für das Remake "The Tourist" entschied - eine starbesetzte Verlegenheitslösung, so optisch hübsch wie uninspiriert, offenkundig nur entstanden mit dem Gedanken, jetzt aber mal langsam irgendwas machen zu müssen. Es war jedenfalls kein Film, der einen bleibenden Eindruck hinterließ, wie man es sich von diesem Regisseur erhofft hatte. Und so ging Henckel von Donnersmarck erneut auf ziellose Themensuche. Und verschwand wieder von der Bildfläche. Acht Jahre später und zwölf Jahre nach "Das Leben der Anderen" kommt nun sein dritter Film - und nach drei Stunden Laufzeit ist noch das interessanteste, was man sich zu diesem Werk fragen kann, ein ziemlich ratloses "Und was sollte das jetzt?".
Mitte August, drei Wochen vor der offiziellen Weltpremiere bei den Filmfestspielen von Venedig, erschien Henckel von Donnersmarck persönlich bei der Pressevorführung in Berlin (so etwas geschieht außerhalb von Filmfestivals eigentlich nie) und erklärte den anwesenden Journalisten vor Beginn des Films, wie es zu diesem Werk gekommen war und dass er im Prinzip ein Biopic über Deutschlands erfolgreichsten Nachkriegs-Künstler, den Maler Gerhard Richter gedreht hat. Das war von daher eine ganz hilfreiche Information, weil das in den Pressematerialien zum Film nirgendwo erwähnt wird, und im Film auch alle Namen der real existierenden Personen geändert wurden. Wenn man nicht also zufällig ein versierter Kunstkenner und -historiker ist, könnte man das hier glatt für einen rein fiktionalen Film halten. Ist es aber nicht.
"Werk ohne Autor" erzählt sogar ziemlich detailgetreu die Lebensgeschichte Gerhard Richters, von seiner Kindheit in Nazi-Deutschland in einem Vorort von Dresden, durch den Zweiten Weltkrieg, über seine Zeit an der Kunsthochschule und seinen Aufstieg zum vielversprechendsten Talent in der restriktiven Kunst-Szene der jungen DDR, in der "Sozialer Realismus" der einzig akzeptierte Stil war; hin zur Flucht in den Westen und den Neuanfang an der legendären Kunstakademie in Düsseldorf, wo sich in den 1960er Jahren alles tummelte, was später zu Rang und Namen in der Kunstwelt kam, bis zu Richters großem Durchbruch mit einer Serie von fotorealistischen Bildern.
Das klingt nicht spannend? Ist es auch nicht. Sofern man nicht zu der recht überschaubaren Gruppe von Menschen gehört, die sich brennend für diesen renommierten Künstler interessieren, gibt es nichts an Richters Geschichte, das so außergewöhnlich oder in besonderem Sinne dramatisch wäre, dass es tatsächlich einen packenden Film hergeben könnte (die "dramatische" Flucht aus der DDR, kurz vor dem Bau der Mauer 1961, besteht aus einer simplen und ereignislosen S-Bahn-Fahrt vom Ostteil Berlins in den Westteil). Nur ein historisches Detail macht die ganze Sache aus dramaturgischer Sicht überhaupt interessant - und war Henckel von Donnersmarcks ursprüngliche Inspiration, diesen Film zu machen. Durch Recherchen zu einer neuen Richter-Biographie kam vor vier Jahren eine verblüffende und sehr tragische Verknüpfung ans Licht: Der Künstler hatte als kleiner Junge eine Tante, die an Schizophrenie litt und aufgrund der Euthanasie-Gesetze der Nazis und ihrem Wahn zur Reinhaltung der deutschen Rasse zwangssterilisiert und schließlich als "unwertes Leben" umgebracht wurde. Mitverantwortlich für die Durchführung dieser Greueltaten war ein Arzt und SS-Offizier, der Jahre später nach Kriegsende zu Richters Schwiegervater wurde - ohne dass der eine oder der andere je etwas von dieser Verbindung ihrer Vorgeschichte geahnt hätte.
Mit veränderten Namen der beteiligten Personen erzählt "Werk ohne Autor" in seiner ersten Stunde genau dies: Wie der Frauenarzt Professor Carl Seeband (Sebastian Koch) im Dienste der SS für den Tod der Tante des kleinen Kurt Barnert sorgt, wie die Schrecken des Weltkriegs Barnerts Familie heimsuchen und wie es Seeband nach Kriegsende gelingt, trotz schlimmster Verbrechen unbescholten davonzukommen und sich im Nachkriegsdeutschland als weiterhin hochangesehener Arzt ein neues Leben aufzubauen. In der zweiten Stunde kommt dann der nun erwachsene Kurt Barnert (Tom Schilling) an die Kunsthochschule und verliebt sich dort in Seebands Tochter Ellie (Paula Beer), sehr zum Missfallen des Vaters, der den Künstler nicht als angemessenen Partner für seine Tochter empfindet, es aber auch nicht schafft, die beiden auseinanderzubringen.
Das ist, im Kern, eigentlich alles, was in den ersten zwei Stunden dieses Films passiert. Während man zunächst ein Drittes-Reich-Drama serviert bekommt, das mit seiner Tragik und dem filmisch noch eher wenig aufbereiteten Thema der Rassenreinheits- und Euthanasie-Gesetze zumindest ansatzweise zu packen weiß, wandelt sich "Werk ohne Autor" in seinem zweiten Drittel zu einer eher leichtfüßigen Nachkriegs-Liebesgeschichte, die indes sehr behäbig erzählt ist und zunehmende Längen entwickelt, während sie unschlüssig zwischen verschiedensten Tonalitäten hin und her changiert. Das ist aber noch gar nichts im Vergleich zur dritten Stunde, in der man sich historisch in die Aufbruchszeit der 60er Jahre begibt, der Film sich allerdings nur noch dafür interessiert, Kurt Barnert bei seiner künstlerischen Selbstfindung an der Akademie in Düsseldorf zu begleiten. Weite Teile dieser dritten Stunde vergehen damit, dass man Tom Schilling in endlosen Montagen beim Malen zuschaut, während auf quälend kleinschrittige Weise die Entstehung jenes Malstils nachgestellt wird, mit dem Richter dann erstmals zu großer Berühmtheit gelangte.
Das Schlimme an diesem letzten Drittel ist nicht nur, dass es unfassbar öde und eintönig ist - das ist fast noch das geringste Problem. Das wirklich Schlimme daran ist, dass es scheint, als hätte der Film unterwegs halb vergessen, was er eigentlich am Anfang erzählt hat. Irgendwann sitzt man nur noch da und hat seinen Frieden damit gemacht, dass der Film gar kein Interesse daran hat, die Untaten des bösen Schwiegervaters wirklich auffliegen zu lassen, und betet nur noch, dass die Qual bald irgendwie ein Ende findet. Warum Henckel von Donnersmarck sich zu dem Kunstgriff entschieden hat, nicht die echten Namen seiner Figuren zu verwenden, erschließt sich jedenfalls bis zum Ende nicht. Eine Verdichtung der Wahrheit im Sinne der Dramaturgie, die er sich damit theoretisch ermöglicht hätte, findet hier zumindest nicht wirklich statt.
Die große, ironische Tragödie dieses Films ist, dass hier der sich immer noch auf seiner eigenen Selbstfindung befindliche Künstler hinter der Kamera so darauf fokussiert ist, die künstlerische Selbstfindung des Künstlers vor der Kamera zu zeigen, dass er dabei vollkommen übersieht, wo hier eigentlich die interessante Geschichte gewartet hätte. Von den drei Hauptfiguren von "Werk ohne Autor" ist Kurt Barnert genau genommen nämlich die langweiligste. Carl Seeband als unentdeckter Täter, der auch nach dem Untergang des dritten Reiches dessen Ideologie in sich weiterträgt und der in heimlicher Angst leben muss, doch noch entlarvt zu werden - ansatzweise interessant. Das Verhältnis zwischen Seeband und seiner Tochter Ellie, gerade angesichts dessen, was er seiner Tochter in ihrem vermeintlich eigenen Interesse antut - Stoff für einen starken Konflikt, der aber niemals ausgespielt wird. Tatsächlich ist Paula Beer enorm zu bedauern: Es gelingt ihr hier zwar, immer wieder durchscheinen zu lassen, was für eine grandiose Schauspielerin sie ist (wer die absolut herausragende deutsche TV-Serie "Bad Banks" mit Beer in der Hauptrolle noch nicht gesehen hat, sollte das unbedingt nachholen), ihr Regisseur schien sich allerdings mehr für ihre nackten Brüste interessiert zu haben. Die Darstellerin muss einen Gutteil ihrer Leinwandzeit in repetitiven Bettszenen oben ohne verbringen, in einem Ausmaß, das in Zeiten von #Metoo und Diskussionen über sexuelle Ausbeutung in der Filmbranche mindestens unangenehm aufstößt.
Statt das starke Drama in diesen beiden Figuren auszuleuchten, lässt Henckel von Donnersmarck sie im letzten Drittel des Films weitestgehend links liegen und kümmert sich eigentlich nur noch um Barnert, dessen größter eigener Konflikt darin besteht, dass er fraglos ein begnadeter Maler ist, aber einfach nicht sein wahres künstlerisches Ich findet. Das ist nichts weiter als ein elitäres Luxusproblem und in dramaturgischer Hinsicht von fast vollkommener Belanglosigkeit. Henckel von Donnersmarck, eben selbst auf der Suche danach, was er der Welt als Künstler eigentlich noch sagen will, sieht das aber offensichtlich anders. Den ganzen Film hindurch lässt er seine Figuren immer wieder bedeutungsschwanger darüber schwadronieren, was die Aufgabe der Kunst ist, dass es darum geht "das Richtige, das Wahre" zu zeigen. Und im Kopf des Regisseurs inszeniert er hier sicherlich eine Ode an die Macht der Kunst, erzählt er eine höchst relevante und tiefschürfende Geschichte darüber, dass der wahre Geist der Kreativität durch nichts zu bändigen ist, und dass es letztlich die Kunst ist, die eine profane Enthüllung von Schuld transzendiert und in ihrer ganz eigenen Weise die Wahrheit ans Licht bringt.
Tatsächlich jedoch ist "Werk ohne Autor" nichts weiter als elitäres und über weite Strecken inhaltsleeres Gewichse, das sich mit selbstverliebter Arroganz für so ein wichtiges Epos hält, dass es eine Spielzeit von drei Stunden angemessen findet, dabei aber einfach nur unfassbar langweilt und seinem Publikum genau gar nichts zu geben hat. Es ist fast schon peinlich, wie sehr sich dieser Film fälschlicherweise für große Kunst hält - und wie sehr offenbar alle Beteiligten das auch geglaubt haben. Dass unter anderem mit dem begnadeten Komponisten Max Richter und dem mehrfach Oscar-nominierten Kameramann Caleb Deschanel wahre Meister ihres Fachs mitgewirkt haben und auch hier handwerklich vortreffliche Arbeit leisten, ist umso trauriger, weil es solch eine Verschwendung von Talent darstellt. Von den enormen Summen, die aus diversen Filmfördertöpfen in dieses Projekt geflossen sind, ganz zu schweigen. Es ist zu erwarten, dass all das schöne Geld abgeschrieben werden muss - denn mal ehrlich: Eine drei Stunden lange, intellektuell völlig abgehobene Künstler-Biographie, die eines ihrer wenigen Verkaufsargumente (nämlich: dass es eben eine Richter-Biographie ist) auch noch selbst verschleiert - wer zum Teufel will sich das denn schon ansehen?
Am Ende seiner kleinen Einführung vor dem Film appellierte Henckel von Donnersmarck in Berlin an die Journalisten, dass es "Filme wie dieser" immer schwerer hätten gemacht zu werden, und ihr Erfolg maßgeblich von der Unterstützung durch die Presse abhänge. Es klang ein bisschen wie eine versteckte Aufforderung, doch bitte wohlwollend zu sein und den Film hochzujubeln. Sorry, geht nicht. Wenn ein Film wie dieser nicht noch einmal gemacht werden kann, ist das definitiv kein Verlust.
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