Wer ist Hanna? Ehrlich gesagt, die Antwort darauf ist nicht wirklich wichtig. Denn die Geschichte rund um die mysteriöse Identität eines geradezu übermenschlich wirkenden Mädchens in Joe Wrights ("Abbitte") neuem Thriller ist nun nicht gerade neu und strotzt auch nicht wirklich vor Überraschungen. Aber dank einer ungewöhnlichen, stellenweise eher an Arthouse als Mainstream erinnernden Inszenierung haucht der Brite dem leider so oft auf Auto-Pilot eingestelltem Thriller-Genre eine gehörige Portion Leben ein. Von kleineren Schwächen mal abgesehen ist "Wer ist Hanna?" einfach auf so erfrischende Weise anders, dass man viele Hollywoodproduzenten am liebsten an den Haaren in das Kino zerren möchte: Seht ihr, so wird das gemacht.
Anschauungsunterricht erhält auch die Protagonistin dieses Films, die 16jährige Hanna (Saoirse Ronan). Und was für welchen, unterzieht Vater Erik (Eric Bana) sie in der finnischen Wildnis doch schon seit Jahren einem äußerst brutalen Survival-Training. Insbesondere die dort gelernten Nahkampftechniken werden sich bald als äußerst nützlich herausstellen, hat es doch die skrupellose Regierungsbeamtin Marissa Wiegler (Cate Blanchett) aus mysteriösen Gründen auf Hannas Leben abgesehen.
Bereits nach den ersten Minuten wird einem klar, dass Jean Reno in "Leon - der Profi" Natalie Portman einst wohl nur einen Anfängerkurs im Töten erteilt hat. Unsere gute Hanna ist nämlich von einem ganz anderen Kaliber - eine hochintelligente Kampfmaschine, gegen die selbst die kräftigsten Muskelpakete das Nachsehen haben. Und so ist dann auch schon von Anfang an klar, dass hier ja irgendwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Die Spannung bezüglich dieses Geheimnisses hält sich dann aber ehrlich gesagt in Grenzen, was vor allem daran liegt, dass hier schon ziemlich früh ziemlich eindeutige Hinweise gesät werden. Überhaupt ist die Geschichte an sich relativ vorhersehbar und überraschungsarm. Nicht wirklich gute Vorraussetzungen für einen Thriller - sollte man meinen.
Aber manchmal kann eben auch eine richtig kreative Verpackung für ein Freudenfest sorgen. Denn die Überraschungen, welche dem Film auf der Storyebene meist fehlen, hat man sich einfach für alles andere aufgehoben. Geradezu traumhaft sind so zum Beispiel die Bilder, die man uns zu Anfang in der finnischen Wildnis präsentiert. Wie aus dem Märchen, eine Symbolik die im Film übrigens noch öfters eine Rolle spielt. Was dann aber anschließend in einer unterirdischen Regierungseinrichtung passiert, hat mit Märchen nicht mehr viel am Hut, sondern erinnert schon eher an ein abgedrehtes Musikvideo. Zum minimalistischen Soundtrack der Chemical Brothers, die damit übrigens den kompletten Film ausstatten durften, kämpft sich Hanna hier ihren Weg in die Freiheit.
Das Verrückte daran: Auch wenn diese Sequenz dank des ungewöhnlichen Soundtracks und manch abgedrehten Kameraeffektes ein gewisses "MTV-Feeling" versprüht, lässt sie doch die Herzen des "altmodischen" Kinofans höher schlagen. Denn im Gegensatz zu der modernen Gepflogenheit, bei Actionszenen möglichst viel Verwirrung und wenig Übersicht zu schaffen, ist diese Sequenz ein geradezu grandios inszeniertes Katz- und Mausspiel zwischen Hanna und ihren Verfolgern, bei dem man nie die Orientierung verliert und ein aufs andere Mal überrascht wird. Bravo Herr Regisseur, endlich mal jemand, der mit Köpfchen und Kreativität eine Verfolgungsjagd angeht.
Seht mal her, es geht also, man kann eine Inszenierung "hip" wirken lassen ohne uns mit zehn Schnitten pro Sekunde zu bombardieren. Überhaupt sind alle Actionszenen mit einer Klarheit und Übersicht inszeniert, dass es eine wahre Freude ist. Da hört man nicht nur, sondern sieht auch tatsächlich jeden Schlag deutlich. Natürlich kann der gute Mr. Wright, wie schon bei "Abbitte" oder auch "Stolz und Vorurteil", auch hier wieder nicht auf seine obligatorische lange Kamerafahrt verzichten. Doch wo diese in "Abbitte" geradezu um Anerkennung geschrien hat, ist sie diesmal deutlich subtiler und effizienter integriert.
Nicht ganz so subtil, aber trotzdem effizient, ist die immer wieder aufgegriffene Märchen-Symbolik. Schließlich ist ja die ganze Geschichte auch schon an sich sehr unwirklich und dessen scheinen sich die Macher mehr als bewusst zu sein - so sind einige Figuren ganz absichtlich in Richtung Karikatur angelegt. Ob der übertriebene Putzfimmel der vollkommen emotionslosen Marissa oder ein stets unfassbar schlecht gekleideter Killer - dem Film mangelt es eindeutig nicht an Selbstironie. Wer sich die letzten Jahre nur von Mainstream-Thrillern ernährt hat, der wird hier aber mehr als einmal irritiert auf das so merkwürdig wirkende Geschehen auf der Leinwand blicken.
Ja, das ist schon eine ganz eigene Atmosphäre, die sich der Film hier aufbaut. Bauen kann "Wer ist Hanna?" dabei auch auf die starke Präsenz seiner Hauptdarstellerin, die Regisseur Wright direkt von "Abbitte" mit herüber genommen hat. Bereits in diesem Alter zwei so unterschiedliche Rollen in der Vita stehen zu haben, da kann man Saoirse Ronan nur beglückwünschen. Eric Bana und Cate Blanchett machen ihre Sache zwar ebenfalls überzeugend, allerdings schlüpfen die beiden hier auch in für sie relativ vertraute Figuren.
Bei all dem Lob, alles gelingt "Wer ist Hanna?" aber auch wieder nicht. Die britische Familie, die Hanna während ihrer Reise trifft, hätte nicht ganz so abgedreht ausfallen müssen. Deren Hippie-Mentalität ist einfach ein klein bisschen zu überdreht und das raubt den Szenen, in denen Hannas Sehnsucht nach einer intakten Familie zu Tage treten soll, leider etwas die Kraft. Auch lässt sich nicht leugnen, dass der Film sein Niveau der wirklich grandiosen ersten halben Stunde nicht wirklich halten kann und gegen Ende eindeutig etwas an Tempo verliert.
Trotzdem, bevor jetzt im Sommer wieder das laute Getöse an den Kinokassen losgeht, sollte man die Gelegenheit nutzen um noch mal frische Genre-Luft zu tanken - in Form eines etwas anderen Action-Thrillers.
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