Es ist nun schon fast 30 Jahre her, seit dem die Regisseurin und Drehbuchautorin Jane Campion mit „Das Piano“ für Furore sorgte und neben der Goldenen Palme von Cannes auch noch den Oscar für das beste Originaldrehbuch abstaubte. So richtig anknüpfen konnte sie an diesen Erfolg aber nicht mehr, auch wenn ihr mit der Krimiserie „Top of the Lake“ vor einigen Jahren wieder ein Achtungserfolg gelang. Ihr letzter Spielfilm liegt aber lange zurück (2009) und so konnte man schon so seine Zweifel haben, ob sie noch einmal zu alter Stärke zurückfinden würde. Diese Bedenken wischt Campion mit dem Western-Drama „The Power of the Dog“, das einen kritischen Blick auf toxische Männlichkeitsideale wirft, aber sowas von locker beiseite. Zusammen mit den starken Hauptdarstellern ist es dabei vor allem Campions meisterhafte Inszenierung, die das Herz von Cineasten höherschlagen lässt – auch wenn das Drehbuch ein paar kleinere Schwächen aufweist.
Gar keine Schwäche zu zeigen ist das Credo von Phil Burbank (Benedict Cumberbatch), der sich Anfang des 20. Jahrhunderts in Montana gemeinsam mit seinem Bruder George (Jesse Plemons) um die Ranch der Familie kümmert. Während Phil dabei das “Idealbild“ eines harten Cowboys verkörpert, legt sein Bruder eher Wert auf ein kultiviertes Leben. Die Spannungen im Haus steigen exponentiell an, als George eines Tages die Witwe Rose Gordon (Kirsten Dunst) heiratet. Sowohl für die schüchterne Rose als auch für deren sehr introvertierten Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee) hat Phil nämlich nur Verachtung übrig. Nicht wirklich gute Voraussetzungen für ein harmonisches Zusammenleben.
Mit „Das Piano“ gelang Campion 1993 ein virtuoses Charakterdrama, das vor allem für sein tiefgründiges Porträt einer sich von ihrem Peiniger emanzipierenden Frau gefeiert wurde. Auch in „The Power of the Dog“ tritt dieses Motiv wieder auf, wenn sich Rose den perfiden Anfeindungen des Alphatiers Phil ausgesetzt sieht. Doch je länger der Film dauert, desto mehr verschiebt sich der Fokus des Films auf einer anderes Duell, nämlich das zwischen Phil und dem jungen Peter. Auf der einen Seite der toughe Cowboy, für den ein richtiger Mann immer hart am Arbeiten und mindestens genauso hart im Nehmen ist. Auf der anderen Seite der sensible Jüngling, der einen großen Bogen um körperliche Arbeit macht und stattdessen lieber niedliche Blumendeko für das Restaurant seiner Mutter bastelt.
Der Konflikt ist hier natürlich vorprogrammiert. Das Faszinierende an „The Power of the Dog“ ist aber, wie Campion damit umgeht und geschickt mit den Erwartungen und Klischees spielt, mit denen man als Publikum diesem Szenario erstmal begegnet. Was mit einer Schwarz-Weiß-Zeichnung der Figuren zu beginnen scheint, ergibt schon bald ein farbenprächtiges und spannendes Porträt komplexer Charaktere, bei dem unsere Einschätzung der Protagonisten, vor allem ihrer Stärken und Schwächen, gehörig durcheinandergewirbelt wird. Das erinnert dann doch wieder ein wenig an „Das Piano“, wo ja auch die scheinbar schwächste Figur sich als deutlich stärker entpuppte als man anfangs geglaubt hatte.
So gelingen dem Film immer wieder wundervolle kleine Szenen, in denen den Charakteren neue spannende Mosaikstücke hinzugefügt werden, die uns als Zuschauer manchmal ein Lächeln entlocken und manchmal einen kleinen Schauer über den Rücken jagen. Das ist wiederum natürlich ein Traum für jeden Darsteller, wobei vor allem Cumberbatch und Smit-McPhee von ihren besonders komplexen Rollen profitieren. Wie Cumberbatch hier gekonnt immer wieder aufblitzen lässt, dass hinter seiner Figur eben mehr als nur ein Arschloch steckt, ist dabei schlicht grandios und wird ihm mit Sicherheit die zweite Oscar-Nominierung einbringen. Und doch wollen wir hier mal besonders Kodi Smit-McPhee loben, der es tatsächlich schafft dem extrem charismatischen und dominant aufspielenden Cumberbatch das Wasser zu reichen. Alleine durch kleine Gesten und Blicke gelingt es Smit-McPhee immer wieder eindrucksvoll deutlich zu machen, dass seine Figur deutlich tiefgründiger ist als es manche Szenen auf den ersten Blick erscheinen lassen.
So stark die Leistungen der beiden Hauptdarsteller aber auch sind, das größte Lob verdient sich die andere Seite der Kamera. „The Power of the Dog“ ist von Anfang bis Ende absolut meisterhaft inszeniert. Jedes Bild, und damit meine ich wirklich jedes Bild, ist hier ein Leckerbissen. Was Campion zusammen mit ihrer Kamerafrau Ari Wegner hier gerade in Sachen Bildgestaltung gelingt, ist wirklich ganz großes Kino. Die Art und Weise wie Blickwinkel gewählt und Figuren positioniert werden, verleiht vielen Szenen schon ein unglaubliche Grundspannung bevor überhaupt irgendein Wort gefallen ist. Was dann auch zu einer der stärksten Szenen des ganzen Filmjahres führt. Hierbei liefern sich Benedict Cumerbatch und Kirstin Dunst eine Art musikalisches Psychoduell, bei dem einem als Filmfan angesichts der packenden Intensität geradezu das Herz aufgeht. Es ist eine dieser Szenen, die einen daran erinnern, warum man sich einst in dieses Medium verliebt hat.
Das trotz all dieser Lobeshymnen der Film doch nicht das große Meisterwerk geworden ist, liegt dann aber am Drehbuch. So hat zum Beispiel die Beziehung zwischen dem ungleichen Brüderpaar Phil und George schon ein kleines Glaubwürdigkeitsproblem. Angesichts der Tatsache, dass George weder Lust hat, mit seinem Bruder groß zu reden, noch wirklich handwerkliche Arbeit zu verrichten, wirken die gemeinsamen Ausritte und manche Szenen oft eher dramaturgisch erzwungen als wirklich intrinsisch motiviert. Deutlich problematischer ist später aber ein entscheidender Wandel im Umgang von Phil mit Peter. Dieser Wandel macht zwar prinzipiell Sinn, kommt aber in der Umsetzung viel zu abrupt daher. Es fühlt sich irgendwie so an, als ob Campion hier einfach ein paar Kapitel der Buchvorlage übersprungen hätte.
Vielleicht ist das ja aber auch einfach der Tatsache geschuldet, dass man heutzutage durch serielle Erzählungen einfach gewöhnt ist solche Wendungen viel detaillierter und ausführlicher präsentiert zu bekommen. Das ist für Spielfilme, die das in zwei Stunden nicht leisten können, natürlich ein Problem. Und so hat man bei „The Power of the Dog“ eben das Gefühl, dass im zweiten Drittel so ein wenig das nötige Story-Fundament fehlt, damit der Film seine komplette emotionale Wucht entfalten kann.
Damit wir uns aber nicht falsch verstehen, „The Power of the Dog“ ist vor allem dank seiner Inszenierung und der großartigen Darsteller immer noch ein starker Film geworden und ein absolutes Must-See dieses ja bisher eher mauen Filmjahres. Lange Zeit hatte man ja den Eindruck, das der Erfolg von „Das Piano“ für Jane Campion eine zu große Bürde war. Dieses Bild ist nun aber eindrucksvoll widerlegt und dürfte bei der nächsten Oscar-Verleihung endgültig ad acta gelegt werden. Willkommen zurück, Jane Campion.
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