Nach der Hochzeit

Originaltitel
Efter Bryluppet
Land
Jahr
2006
Laufzeit
119 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Patrick Wellinski / 30. Mai 2010

Seine Visitenkarte ist das markante Gesicht. Es hat Ecken und Kanten, tiefe Furchen und besonders scharfe männliche Züge. Es scheint, als ob ihm das Testosteron intravenös eingeflößt worden ist. Er ist weit weg von den milchgesichtigen Di Caprios und Damons von Hollywood, und er spielt immer wieder Personen, die vom Leben gezeichnet sind. Mads Mikkelsen ist der beste Charakterdarsteller Dänemarks, und er schafft es, seinen Figuren immer eine gewisse Menschlichkeit zu verleihen, sogar in den schwärzesten Stunden, und selbst in seiner Rolle als Bösewicht im neuen James Bond "Casino Royale".
In Susanne Biers neuem Film "Nach der Hochzeit" spielt er den in Indien wohnenden Peter Jacobson. Er hat sein Leben den indischen Waisen verschrieben und hilft ihnen wo er nur kann. Die Möglichkeit einer großzügigen Geldspende aus dem Ausland nötigt Peter zu einer Rückkehr ins verhasste Dänemark. In Kopenhagen angekommen versucht er den reichen Manager Jorgen von seinen Plänen für die Waisen zu überzeugen, aber der Geschäftsmann gibt sich äußerst reserviert. Als er Peter zur Hochzeit seiner Tochter einlädt, glaubt dieser das Geschäft unter Dach und Fach. Doch als Peter bei der Feier erscheint, ändert sich alles auf einen Schlag.

"Nach der Hochzeit" leitete in Berlin Anfang des Jahres die Filmreihe "Dänisches Kino nach Dogma 95" ein und man hätte keinen besseren Film dafür finden können. Es war ein vielbeachteter Einschnitt in das kreative Filmschaffen in Dänemark, als eine Gruppe junger Regisseure unter der Federführung von Lars von Trier und Thomas Vinterberg ihr Manifest verfassten, das mit 10 Geboten die Rückkehr zu einer minimalistischen, puristischen Filmsprache vorgeben sollte. Und tatsächlich wurden die ersten Dogma-Filme wie Lars von Triers "Idioten" und Vinterbergs "Das Fest" (an den "Nach der Hochzeit" scheinbar anknüpft) frenetisch gefeiert. Bis heute gibt es 35 Produktionen, die das offizielle Zertifikat "Dogma 95" tragen, und über 100 weitere internationale Filme, die sich ebenfalls an das Manifest hielten. Der Erfolg war so enorm, dass sogar in Hollywood arrivierte Regisseure einige der Ideen für ihre Filme übernahmen, so zum Beispiel Michael Mann in "Colleteral".
Susanne Bier versuchte sich selber als Dogma-Regisseurin und drehte den furiosen "Open Hearts" über zwei Pärchen, die es nach einem grausamen Unfall in ihrer eigenen Gefühlswelt nicht mehr aushalten und den Ausweg in der emotionalen Flucht suchen ( "Open Hearts" wird derzeit von "Garden State"-Regisseur Zach Braff als US-Remake neu verfilmt). Dieser Film bedeutete für Bier ihren internationalen Durchbruch. Sie gilt zurzeit als vielleicht aufregendste weibliche Filmemacherin in Europa. Ihre Filme, wie der 2004 erschienene "Brüder" räumten Preise auf zahlreichen Festivals ab und bestätigen die hervorragende Arbeit dieser Künstlerin.

"Nach der Hochzeit" ist die dritte Zusammenarbeit mit dem erfolgreichsten Drehbuchautoren Dänemarks Andres Thomas Jensen (u.a. "Adams Äpfel"), und es geht wieder um einen Menschen, der vor etwas geflohen ist. Diesmal nicht nur innerlich, sondern auch körperlich. Peter floh aus Dänemark, um sein unglückliches Leben hinter sich zu lassen. Den Neuanfang, den er in Indien mit den Waisenkindern begann, machte ihn zu einem zufriedeneren Menschen. Da wundert es nicht, dass er sich mit Händen und Füßen wehrt, als er wieder zurück nach Dänemark soll, um das Geld - immerhin 4 Millionen Dollar - zu besorgen.
Was ängstigt ihn so sehr? Es sind die Geister der Vergangenheit, die ihn, kaum ist er wieder in Kopenhagen angekommen, einholen. Und tatsächlich dreht Bier die Atmosphäre des Films hier um 180 Grad. Waren die sonnendurchfluteten Einstellungen Indiens noch voller Zuversicht und Hoffnung, sind die Bilder der Großstadt düster und gespenstisch. Alles glänzt in Chromfarben wenn Peter seine Hotelsuite öffnet. Breitbildfernseher, Panoramablick über die Stadt. Alles überflüssiger Tant. Schöne Bilder der hässlichen Einsamkeit, die eine Großstadt versprüht.
Die grandiosen Schauspieler, die für diesen Film besetzt wurden, tragen diese schwere Atmosphäre auf ihren Schultern. Sie legen über ihre Dialogzeilen die mysteriöse Aura von Geheimnissen. Es sind schicksalsschwere Rückschläge, die anscheinend alle mit sich herumtragen und anscheinend auch herumtragen wollen. Obwohl geredet wird, erscheint es, als würden alle irgendwie mit sich selbst Versteck spielen.
Immer wieder zeigt die Kamera Peter in seiner Suite. Gefangen in den vier Wänden. In seinem Gesicht spiegelt sich fast nichts außer blanker Angst vor der Begegnung mit seinem alten Leben, welches er hinter sich gelassen hat. Bier geht es um die Frage, ob der Mensch sich einfach wieder neu erfinden kann, ob er die ganze Last der Vergangenheit und die Schuld der vergangenen Tage einfach abstreifen und ein neues Leben beginnen kann.

"Nach der Hochzeit" ist ein treffender Titel, denn nach jener Feier wird Peter mit seiner Vergangenheit konfrontiert werden. Er war damals Alkoholiker. Seine Ehefrau Helena (Sidse Babett Knudsen) hatte mit aller Geduld versucht ihm zu helfen, doch ihre Kräfte waren irgendwann erschöpft. Peter ging nach Indien, hinterließ aber viel mehr als nur eine enttäuschte Frau. Susanne Bier zeigt immer wieder bedeutungsschwere Bilder von toten Tierkörpern. Es liegt etwas in der Luft, ein Gewitter zieht auf, und tatsächlich wird am Ende jemand gestorben sein, doch die Wolken werden sich wieder verziehen und der Sturm wird zwar vieles zerstört aber auch genug Platz für Neues gelassen haben.

Zwar sind die letzten zehn Minuten des Films zu hell, zu sauber, und werden diesem außerordentlichen Leid, dem man zuvor beigewohnt hat, nicht gerecht. Die schuldbeladenen Figuren durchlaufen eine lupenreine Katharsis, verlieren ihre Wunden. Bier lässt sie quasi neu auf die Welt kommen. Das stört den Eindruck letztendlich doch etwas.
Verzeihlich ist diese Wendung aber alle mal. Denn Bier schafft es, einige Errungenschaften der Dogma 95-Bewegung wie das pure Spiel der Darsteller und den kargen Musikeinsatz geschickt für sich zu nutzen, um mit ganz undogmatischen, messerscharfen Cinemascope-Aufnahmen eine ganz besondere Intensität und knallharte Wahrhaftigkeit zu erzeugen. Eine Wahrhaftigkeit, die dazu führt, dass "Nach der Hochzeit" ähnlich wie die bemerkenswertesten Dogma-Filme ein Werk geworden ist, dem die ganze Wucht der griechischen Tragödie innewohnt.

Bilder: Copyright

9
9/10

Habe den Film im TV sehen können. Ein Film der unter die Haut geht. Absolut Empfehlenswert.

Permalink

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.