„A Most Wanted Man“ ist der mittlerweile dritte Spielfilm des zuvor in erster Linie als Fotograf bekannt gewordenen Anton Corbijn und erhält knapp zwei Jahre nach Abschluss der Dreharbeiten nun eine ungewollte Bedeutung als das Werk mit der letzten Hauptrolle von Philip Seymour Hoffman. Und dessen eindrucksvolle Performance verdeutlicht noch einmal den Verlust, den das Kino nach dessen frühen Tod verkraften muss. Doch auch abseits der herausragenden Darstellung ihres Hauptdarstellers überzeugt die neueste John Le Carré-Adaption mit ihrer genauso präzisen wie ernüchternden Schilderung der modernen Geheimdienstarbeit.
Nachdem ein früherer Einsatz aus dem Ruder gelaufen ist, leitet Günther Bachmann (Philip Seymour Hofmann) nun ein kleines Team von Geheimdienst-Mitarbeitern in Hamburg. Als der Flüchtling Issa Karpov (Grigoriy Dobrygin) ohne gültige Papiere im Hamburger Hafen auftaucht, weckt dies nicht nur Bachmanns Interesse. Der über Russland und die Türkei eingereiste, mutmaßliche Terrorist taucht in der islamischen Gemeinde unter. Unterstützung erhält Karpov von der sozial engagierten „Anwältin für Menschenrechte“ Annabel Richter (Rachel McAdams). Die vermittelt ihm auch den Kontakt zum Bankier Thomas Brue (Willem Dafoe), denn dessen Haus verwaltet anscheinend ein stattliches Vermögen, auf das Karpov Anspruch erhebt. Woher dieses Geld stammt und was der Verdächtige damit vorhat ist die große Frage, und Bachmann muss sein ganzes taktisches Geschick aufwenden, um ein vorzeitiges Eingreifen der nervösen Kollegen vom deutschen Verfassungsschutz und vor allem des bereits lauernden CIA unter dem Kommando von Martha Sullivan (Robin Wright) abzuwenden.
Es ist ein mühsames Geschäft der kleinen, wohldurchdachten Schritte, das die Ermittler und Beobachter betreiben, und so wird hier einiges an Geduld und Aufmerksamkeit auch vom Zuschauer gefordert. Wenn man dann noch bedenkt, dass der trotz aller schlechten Erfahrungen immer noch hochmotivierte Bachmann mit seinen Idealen und Ideen stets auch gegen die Widerstände in den eigenen Reihen kämpfen muss, dann manifestiert sich schon so etwas wie ein nihilistischer Grundton bei der Schilderung dieser Welt. Den verstärkt Corbijn noch mit den Bildern, die er wählt. Sachlich-unterkühlt wäre wohl eine passende Beschreibung und da erinnert der „Most Wanted Man“ dann auch stark an die letzte Le Carré-Adaption „Dame, König, As, Spion“ – bei beiden Filmen wäre „beige“ vermutlich der Farbton, der einem als Erstes in den Sinn kommt. Im Vergleich gibt es hier sogar noch weniger an Actionszenen, doch das bedeutet nicht, dass sich deshalb keine Spannung aufbauen will, ganz im Gegenteil. Denn die Geschichte ist so glaubwürdig wie wohldurchdacht und erzeugt dabei eine durchgehend bedrückende, angespannte Atmosphäre, der man sich als Betrachter kaum entziehen kann.
Es sind jedoch auch die Leistungen der Darsteller, die dafür sorgen, dass man interessiert teilnimmt am Geschehen, sei es am Schicksal des getriebenen Karpov, aber eben auch an der Situation des verunsicherten Bankers von Willem Dafoe, der recht unfreiwillig ins Geschehen gezogen wird und wie praktisch alle anderen Charaktere sich einer eindeutig positiven oder negativen Zuordnung entzieht. Während die Besetzung einiger wirklich kleiner Nebenrollen durch prominente deutsche Namen wie Daniel Brühl oder Kostja Ullman eher unnötig wirkt, stellt die etwas zu naive „Gutmenschen“-Figur von Rachel McAdams den einzigen kleinen Schwachpunkt im ansonsten vorzüglichen Ensemble dar.
Ein weiterer Hauptdarsteller in Corbijns Film ist aber der Drehort Hamburg, der zwar bereits für unzählige heimelige TV-Krimiserien herhalten musste, im internationalen Kino aber nur selten zu sehen ist. Die zu Beginn des Films geäußerte These, dass man in Hamburg seit dem 11. September 2001 besonders sensibiliert auf potentielle terroristische Aktivitäten achte, denn schließlich lebten einige der damaligen Attentäter zuvor in der Hansestadt, hält zwar vermutlich keiner genaueren Überprüfung stand, ist aber immerhin als Theorie nachvollziehbar. Erfreulich (aber vom Meisterfotografen eigentlich auch nicht anders zu erwarten), dass Corbijn dabei nicht auf die abgegriffenen Touristenmotive setzt, sondern ganz eigene Locations findet, vom klobig abweisenden Bürobau über düstere Tunnel- und Untergrundstrecken bis zu verlassenen Pfaden an den äußersten Ausläufern des Hafengeländes. Nicht immer schön, aber stets interessant sind die Bilder dieser Stadt, und diese ambivalente Darstellung spiegelt sich auf perfekte Art in dem Dialog wieder, den Günther Bachmann mit der CIA-Agentin führt, während er von Zigaretten, Kaffee und Alkohol umnebelt wird. Ob es denn eigentlich schlimm sei, dass man ihn nach Hamburg strafversetzt habe, fragt die Dame, worauf Bachmann/Hoffmann lächelnd antwortet „Kommt darauf an, ob man Hamburg mag“ - und die Auflösung dieser Frage schuldig bleibt.
„A most wanted man“ erzählt mit Liebe zum Detail und hochfokussiert eine bemerkenswert realistisch anmutende Geschichte über die Bedrohungen unserer Zeit, aber auch über den Irrsinn, mit dem die „bedrohte“ Welt dank der ihr eigenen Logik (Stichwort „Präventivschlag“) darauf reagiert. Der gesunde Menschenverstand bleibt dabei dann genauso oft auf der Strecke wie Moral und Menschlichkeit. Einen der dagegen unermüdlich ankämpft portraitiert in diesem starken Film einmal mehr der begnadete Schauspieler Philip Seymour Hofmann. Das aber leider zum unwiderruflich letzten Mal – er wird uns fehlen.
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