
Wer es als nicht-amerikanischer Regisseur in Hollywood schaffen will, der tut gut daran, ein Händchen für ordentliche Genre-Ware zu haben. Wer die Konventionen, die Bildsprache und die gängigen Tricks vor allem der Thriller-Gattung aus dem Effeff drauf hat, sich also als verlässlicher Regie-Handwerker auf höchstem technischen Niveau beweist, den kauft sich Hollywood auch gern mal aus dem Ausland ein. Und um klassische Genre-Dramaturgie perfekt zu beherrschen, hilft es immens, wenn man ein richtig ordentlicher Film-Geek ist und die inszenatorischen Konventionen des Hollywood-Genrekinos schon seit der Kindheit in sich aufgesaugt hat. Solch ein Regisseur ist auch der 40-jährige Schwede Daniel Espinosa, der nach "Safe House" und "Kind 44" nun schon seinen dritten Genrefilm in Hollywood inszenieren durfte, und damit vor allem eines beweist: Er weiß sehr, sehr genau, was er tut. Und es ist diese Sicherheit der Inszenierung im Umgang mit ihrer eigenen Gattung, die aus "Life" ein ziemlich effektives Kinoerlebnis macht - weil Espinosa es sehr genau versteht, so gut wie möglich über die inhärenten Schwächen seines Films hinweg zu inszenieren. Und die bestehen vor allem darin, dass das alles ein ziemlich hanebüchener Blödsinn ist.
"Life" spielt vollständig auf der internationalen Raumstation ISS, wo die dort stationierten Wissenschaftler und Astronauten eine wissenschaftliche Sensation entdecken: In Gesteinsproben, die eine unbemannte Sonde vom Mars zurückgebracht hat, finden sie einen Einzeller-Organismus - der erste Beweis für echtes Leben außerhalb der Erde. Die ekstatische Stimmung nimmt nur noch zu, als es gelingt, den Organismus wieder zum Leben zu erwecken, und mit großer Faszination studiert die sechsköpfige, multikulturell zusammengesetzte Besatzung der Raumstation das langsame Wachstum und das eigenständige Verhalten der Lebensform. Bis das Wachstum nicht mehr ganz so langsam vonstatten geht und das Verhalten mehr als nur besorgniserregend ausfällt.
Es ist mehr als offensichtlich, dass Daniel Espinosa sich bei diesem Film sehr bewusst war, dass er im Prinzip ein Remake von Ridley Scotts ewigem SciFi-Horror-Klassiker "Alien" inszeniert, denn das Grundkonstrukt ist exakt identisch: Kleine Gruppe von Menschen auf isoliertem, begrenztem Raum kriegt es mit einem feindlichen außerirdischen Organismus zu tun und muss ums nackte Überleben kämpfen. Dass Espinosa sich zur gründlichen Vorbereitung "Alien" vermutlich nochmal ein- bis zwanzigmal angeguckt hat, verraten nicht nur diverse kleine Zitate, die über den ganzen Film verteilt sind, sondern vor allem auch der Einstieg: Wie einst Ridley Scott wiegt Espinosa sein Publikum nämlich erst einmal in trügerischer Ruhe, in der ersten halben Stunde deutet nichts daraufhin, mit was für einem Film man es hier eigentlich zu tun hat. Stattdessen zelebriert Espinosa mit meditativ ruhiger Kamera die majestätische Erhabenheit des Weltraums und die dahingleitende visuelle Eleganz einer schwerelosen Handlungswelt. Gelegentlich darf man sich als Filmkenner da nicht rein zufällig an Stanley Kubricks Meilenstein "2001 - Odyssee im Weltraum" erinnern, oder wahlweise an diverse andere neuere Weltraum-Abenteuer wie etwa "Gravity", die mit ähnlicher Bildsprache eine ähnliche Atmosphäre wie hier aufgebaut haben. Gleich zur Eröffnung beeindruckt Espinosa mit einer großartig ausgearbeiteten Plansequenz, in der die Kamera minutenlang ohne sichtbaren Schnitt durch die Schwerelosigkeit der ISS schwebt und in einer einzigen, fortlaufenden Bewegung sowohl den kompletten Handlungsraum des Films fürs Publikum vermisst als auch alle Figuren und das zentrale Thema vorstellt. Sehr stilvoll und sehr hübsch anzusehen, und in ähnlicher Form geht es weiter. Bis "Life" dann schließlich einen unvermittelten Haken schlägt und sich in eben jenen fiesen kleinen "Monster Movie" im Weltraum verwandelt, der einem schon in den Trailern angepriesen wurde.
Nachdem die Dinge zur 30-Minuten-Marke auf einmal so richtig in Bewegung geraten, halten sie bis zum Ende des Films auch nicht wieder an. Geschickt nutzen die Drehbuchautoren Rhett Reese und Paul Wernick (die zuvor bereits den Überraschungshit "Deadpool" und den Kult-Klassiker "Zombieland" verfassten) die begrenzten Möglichkeiten ihres Handlungsortes, um mit immer neuen Wendungen und Variationen das Tempo und die konstante Bedrohung sehr hoch zu halten, und Espinosa versteht es sehr gut, dies dann auch entsprechend zu inszenieren. Bis zum Finale bekommt man als Zuschauer hier keine ruhige Minute mehr, das ist packend und mitreißend und Thriller-Handwerkskunst auf höchstem Niveau. Es ist zudem sehr klug, die Dinge hier in ständiger Bewegung und die Anspannung auf hohem Level zu halten, denn dann hat das Publikum weniger Gelegenheit, sonderlich viele Gedanken daran zu verschwenden, was für ein Unsinn das hier eigentlich ist.
Die unfassbaren Fähigkeiten und Eigenschaften des auf den Namen "Calvin" getauften Alien-Organismus einmal außen vor gelassen, ist es bei näherer Betrachtung schon ziemlich haarsträubend, was hier so alles passiert, und wie sich die Dummheit der angeblich so hochqualifizierten Besatzung und ständige Fehlfunktionen der eigentlich auf absolute Fehlerfreiheit geprüften Technik der ISS fortlaufend die Hand geben, um die nächste Krise heraufzubeschwören. Wenn sich da zum Beispiel Lüftungsventile in einem abgeschotteten Raum (und somit potenzielle Sicherheitslücken) plötzlich nicht mehr alle auf einmal, sondern nur jedes einzeln schließen lassen, dann kann man den Plot-Motor so deutlich knirschen hören, dass Espinosa sehr gut daran tut, die Musik laut aufzudrehen und visuell so sehr aufs Gas zu treten, dass man als Zuschauer gar nicht so richtig mitschneidet, was da gerade gesagt wurde.
"Life" ist in dieser Hinsicht auch nicht besser oder schlechter als Dutzende artverwandte Vorgänger - Sinnhaftigkeit und innere Logik sind nicht unbedingt Dinge, für die das Genre des Monster-Horrorthrillers berühmt wäre. Und darum ist es auch nicht wirklich angebracht, dem Film daraus allzu sehr einen Strick zu drehen. Ja, "Life" macht es sich stellenweise sehr einfach mit seiner Geschichte und spielt letztlich auf einer nur sehr beschränkten und schlichten dramaturgischen Klaviatur, das macht er allerdings sehr ordentlich. So wie ein Charts-tauglicher Popsong: Schlicht, schnörkellos, ohne künstlerischen Wert oder Anspruch, aber wirkungsvoll und sehr unterhaltsam.
Was man "Life" auf jeden Fall anmerkt, ist das enorme Vergnügen, das die Inszenierung dem Regisseur Espinosa bereitet hat. Von einer clever gesetzten Überraschung gleich zu Beginn der Monster-Eskalation über die ziemlich stylish in Szene gesetzten Tode in Schwerelosigkeit bis hin zu den bereits erwähnten Zitaten an große filmhistorische Vorbilder merkt man ganz genau, mit welch teuflischem Spaß Espinosa hier im bewährten Werkzeugkasten seines Genres stöbert und mit sicherer Hand nur die wirkungsvollsten Instrumente hervorholt, um sie für seinen Reißer zu verwenden. Die tricktechnisch aufwendige Produktion, das visuell makellos-keimfreie Setting und der auf Hochglanz polierte Look des Films ändern jedenfalls nichts daran, dass "Life" in seinem Grundcharakter schlicht ein kleiner, gemeiner Monster-Horror-Reißer ist. Und das mit diebischem Vergnügen. Wer für sowas empfänglich ist, wird im Kino ganz sicher ein ähnliches Vergnügen erleben.
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