
„Hier geht es nicht um uns“, entfährt es Dr. Allen Grant (Sam Neill) im dritten Akt von „Jurassic World: Ein neues Zeitalter“ beim Anblick kämpfender Dinosaurier. Bezogen auf alle menschlichen Figuren dieses mittlerweile sechsten „Jurassic Park“-Teils hat er damit sicherlich recht, trotzdem möchte man ergänzen: „Hier geht es um gar nichts.“
Dementsprechend macht eine klassische Inhaltsangabe wenig Sinn und kann daher abgekürzt werden: Das zerknirschte Paar Bryce Dallas Howard und Chris Pratt (die Figuren haben Namen, aber nur die aller wenigsten dürften sich beim Abspann noch an sie erinnern) und ihre geklonte Ziehtochter Isabelle Sermon treffen aufgrund fadenscheinigster Gründe auf Laura Dern, Jeff Goldblum und Sam Neill (die Veteranen aus dem allerersten „Jurassic Park“) sowie einen Haufen vergessenswerter neuer Figuren (Omar Sy, DeWanda Wise) und geraten permanent in noch fadenscheinigere Situationen, in denen sie immer wieder vor Dinosauriern weglaufen müssen, aber nie in echte Bedrängnis geraten.

Die extreme Einfallslosigkeit und Faulheit von „Dominion“ (so der Originaltitel) fängt schon beim Ausgangsszenario an. Der direkte Vorgänger „Jurassic World: Das gefallene Königreich“ (2018) endete auf äußerst konstruierte Weise in einer Situation, auf die die Reihe eigentlich schon seit dem „T-Rex in der Stadt“-Finale von Spielbergs erster Fortsetzung „Vergessene Welt: Jurassic Park“ (1997) hinarbeitete – eine von Dinosauriern bevölkerte Erde, die in ständigem Konflikt mit der menschlichen Bevölkerung stehen. Diese Ausgangslage wird nun in einem recht uneleganten, einleitenden TV-Bericht noch einmal aufgegriffen, nur um danach vollständig über Bord geschmissen zu werden. Mit Ausnahme einer kurzen Dino-Schwarzmarkt-Szene auf Malta, die aussieht wie von Guillermo Del Toro nach einer leichten Gehirnerschütterung inszeniert, spielt nämlich nahezu der gesamte Film in einer abgeschiedenen Forschungsanlage samt eingezäunter Wald- und Freiflächen. Das Ganze wirkt dabei fast ein bisschen wie… na ja, man könnte sagen wie eine Art Park mit Dinosauriern, und erinnert dabei verdächtig an… alle anderen Teile der Reihe.
Mit Ausnahme vielleicht von besagtem Vorgänger „Fallen Kingdom“. Der war mit Sicherheit auch kein Meisterwerk, wirkt aber im Vergleich zum neuen Teil so monumental perfekt wie Steven Spielbergs unsterblicher „Jurassic Park“ von 1993. Mit seinem Dinos-im-Spukschloss-Ansatz hat er zumindest für etwas frischen Wind auf den fossilen Knochen gesorgt und konnte zudem mit einigen schick-effektiven Suspense-Szenen vom spanischen Regie Talent J. A. Bayona („Sieben Minuten nach Mitternacht“, „Das Waisenhaus“) aufwarten.
Sicher, blasse Figuren, ständige Wiederholungen und eine löchrige Geschichte waren auch dort vorhanden, wie in fast allen Teilen einer Filmreihe, die ohnehin nur einen einzigen uneingeschränkt großartigen Teil beinhaltet. Aber noch nie war man so weit davon entfernt wie hier.
Das Drehbuch ist eine absolute Katastrophe und übernimmt sich völlig mit einer Vielzahl verschiedener Handlungsstränge, die ohne jede klare Linie zu einem zähflüssigen Plot-Brei verrührt werden. Quälend lange zweieinhalb Stunden lang hetzen eindimensionale, langweilige Figuren, deren Motivationen sich ohne jeden erkennbaren Grund ständig ändern, pausenlos durch eine Reihe von Zufällen und überraschungsfreien Klischee-Stationen, die es in der Jurassic-Saga schon dutzende Male besser zu sehen gab.

Das könnte natürlich trotzdem unterhaltsam sein, wenn es mit dem angebrachten Tonfall einer augenzwinkernd-ironischen Nonsens-Achterbahn, wie etwa der letztjährige „Godzilla vs. Kong“ erzählt wäre, der sich seiner Naivität und seines abstrusen Plots komplett bewusst war und gerade darum ein sehr spaßiges nonstop Action-Feuerwerk bot. Leider sind Drehbuchautorin Emily Carmichael („Pacific Rim 2“) und Co-Autor und Regisseur Colin Trevorrow von der Wahnvorstellung beseelt, irgendetwas gehaltvolles zum Thema Gentechnologie und Wissenschaftsethik zu erzählen, und schrecken sogar vor biblischen Metaphern und esoterischen Kalendersprüchen nicht zurück.
Dabei haben sie überhaupt keine Ahnung, was sie eigentlich erzählen wollen und kreieren sogar einen Plot, der trotz massenweiser menschlicher Opfer im Kern aussagt, dass das Klonen einer ausgestorbenen Spezies unterm Strich dann doch ne ganz gute Idee war. Nur eines von vielen verwirrten Plot-Elementen, das beweist, wie wenig die Beiden die DNA der Jurassic-Reihe verstanden haben. Dass sie uns zum Abschluss allerdings nochmal genau das gleiche Ende wie „Fallen Kingdom“ als neue Entwicklung verkaufen wollen, grenzt schon an dramaturgische Narkolepsie.
Dafür dürfen wir uns zum x-ten Mal einen comichaft-überzogenen, extrem bösen, gewissenlosen Wissenschaftler beim Unbelehrbar-sein anschauen, wofür man diesmal den Charakter Lewis Dodgson ausgegraben hat, der im Original eine einzige Szene hatte, die treffenderweise auch noch von Hacker-Verräter Nedry (Wayne Knight) mit „Wir haben Dodgson hier! Keine Sau interessiert sich dafür“ kommentiert wurde. Dem adipösen Vorzeige-Nerd kann man nur zustimmen, vor allem da der neue Dodgson, Campell Scott, mit einer völlig aufgelösten Performance die Grenze zur Parodie eindeutig überschreitet. Traurigerweise reiht sich der wiederbelebte Neuzugang damit aber nur konsequent in die durchgehend schwache Darsteller-Riege ein.
Gerade Bryce Dallas Howard und Chris Pratt sind wahrscheinlich die uncharismatischsten Charaktere, die je eine eigene Trilogie anführen durften, und haben weniger Chemie als Laura Dern und Jeff Goldblum - und die sind ein Ex-Paar, die die Nähe zueinander in der von Corona-Lockdowns geplagten Produktion gerüchtehalber kaum ertragen konnten (ein Umstand, der in Judd Apatows ebenso misslungener Hollywood-Satire „The Bubble“ vor zwei Monaten auf Netflix aufs Korn genommen wurde).

In den wenigen Momenten, in denen Chris Pratt hinter seiner ununterbrochenen „Sprich-zur-Hand-Dino“-Geste hervorlugen muss, um wirre und forcierte familiäre Konflikte durchzukauen, gibt sich der Film vollständig der Lächerlichkeit preis. Die Dialoge sind ein neuer Tiefpunkt im aktuellen Blockbusterkino und so schlecht, dass man sich den sprechenden Velociraptor („Allen!“) aus „Jurassic Park III“ (2001) zurückwünscht. Sämtliche Figuren reden permanent in gestelzten, unnatürlichen Expositions- und Informationssätzen und das so unverblümt und hilflos, dass zumindest in der Pressevorführung einige Male über diese zur Schau gestellte Inkompetenz gelacht wurde. Das war auch bitter nötig, denn mit Ausnahme eines Charakters, auf den wir noch zu sprechen kommen werden, landet der intendierte und sehr zögerliche Humor so gut wie gar nicht.
Der wirkt nämlich so steif, uninspiriert und künstlich, wie der gesamte Film, was zu großen Teilen auf die Kappe von Colin Treverrow geht. Seine Regie passt sich seiner schwachen Leistung als Co-Autor nahtlos an und wirkt wie bei einer deutschen Vorabendserie mit einem Budget von 165 Millionen Dollar. Treverrow filmt zusammen mit Kameramann John Schwartzmann („Armageddon“, „Pearl Harbor“) so gut wie alle Szenen vollkommen lieblos ausschließlich in Close-Ups herunter. Sein Gespür für Atmosphäre, visuelle Dynamik, Zwischentöne, epische Kamerafahrten oder magische Momente geht gegen null. Der Schnitt ist auffallend holprig und versagt beim Fluss einzelner Szenen ebenso wie beim dramaturgischen Aufbau des großen Ganzen. Das einsame Action-Highlight des Films, eine gelungen-temporeiche Velociraptor-Motorrad-Verfolgungsjagd durch Maltas Hauptstadt, bricht so überdeutlich mit Treverrows sedierter Filmsprache, dass man sie ganz klar dem Können von Second Unit-Regie und Action-Choreographie zusprechen möchte.
Womit wir bei der Action sind und dem Grund, aus dem die allermeisten Menschen Kinotickets für dieses Debakel erwerben werden. Denn natürlich rechnet in einem Film, in dem der allergrößte Dinosaurier „Giganotosaurus“ und die böse Pharma-Firma „Biosyn“ heißt, niemand ernsthaft mit tiefgründigen Dialogen oder einer innovativen Story. Die Erwartungen an massenweise Dinosaurier in spektakulären Szenen werden dagegen sehr hoch sein und zumindest was die Quantität angeht werden sie auch erfüllt. Egal ob in der Luft, unter Wasser oder an Land, der Film wartet mit einer riesigen Armada aus computergenerierten Urzeit-Echsen auf, darunter einige Neuzugänge, die mit neuen Features wie bunten Federn oder Blindheit hinter den planlosen Protagonisten her stampfen.

„Daran gewöhnt man sich nie“ äußert eine erneut Triceratops-streichelnde Laura Dern dann auch folgerichtig über das unerschöpfliche Überwältigungspotenzial der ausgestorbenen Reptilien, doch leider muss ihr zumindest dieser Rezensent deutlich widersprechen. Doch. Man gewöhnt sich daran. Das ununterbrochene Dino-Bombardement nutzt sich sogar sehr schnell ab, da die dilettantische Inszenierung es niemals schafft, den Tieren epische Größe, eine erhabene Aura oder fieses Bedrohungspotenzial zu verleihen. Stattdessen werden die Viecher mittlerweile einfach würdelos mit der bloßen Hand am Kragen gepackt und aus dem Bild gewürgt. Oder von Kreativ-Legastheniker Treverrow in dem exakt gleichen (!) stumpfen Showdown wie in seinem eigenen Reboot-Starter „Jurassic World“ (2015) verheizt. Das war mit Sicherheit nicht das magische Gefühl, das John Hammond (Richard Attenborough) 1993 im Sinn hatte.
Trotzdem gibt es natürlich einen Dinosaurier-Exkrement-großen Haufen Referenzen an eben jenes unerreichbare Original, und es werden im Minutentakt sinnentleert Anspielungen auf Rasierschaumdosen, Stromausfall-Notfall-Knöpfe oder Ian Malcoms Tendenz zum zu weit geöffneten Hemd abgefeuert. Michael Giacchinos uninspirierter Score darf auch ein, zweimal ganz leicht das legendäre John Williams Thema andudeln, was aber tatsächlich kaum auffällt. Ohne diese absolute Nostalgie-Verpflichtung kommt 2022 scheinbar kein Blockbuster mehr aus, weswegen die Ermüdung darüber kaum noch erwähnenswert ist. Der übertriebene Fan-Service nervt auch in „Dominion“, aber dieses Machwerk hat deutlich größere Probleme.

Die drei Augen gibt es dementsprechend auch nur für die schon angesprochene schweißtreibende innerstädtische Raptor-Jagd, eine wirklich spannende, wenn auch sehr kurze Suspense-Szene, in der sich Bryce Dallas Howard vor einem „Don´t Breathe“-Saurus verstecken und auf Tauchstation gehen muss, und die zumindest teilweise erheiternde Performance von Jeff Goldblum. Der muss zwar genauso einen dialogischen Dünnschiss von sich geben wie alle anderen, schafft es dabei aber trotzdem, seinen natürlichen Swagger auszustrahlen und die einzigen Lacher für sich zu verbuchen.
Außerdem sieht er verglichen mit seinen Altersgenossen aus, als hätte er die letzten zwei Jahrzehnte in Bernstein konserviert verbracht. Darum gebührt ihm auch das letzte Wort aus einem entlarvenden Meta-Dialog gegen Ende, dem sich diese Rezension zu 100% anschließt: „Du warst in Jurassic World? Ich bin kein Fan.“
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