
Apfel, Kirsch und Blueberry Pie sind wohl in jedem Pie Shop zu kriegen, aber wie sieht es aus mit "I hate my husband Pie"? Jennas Zufluchtsstätte ist die Küche, und ihre täglich neuen Kuchen-Kreationen sind der Spiegel ihrer Seele. Als Reaktion auf ihre ungewollte Schwangerschaft erfindet sie sogleich "I don't want Earl's baby Pie". Kein Wunder, denn ihr Ehemann schlägt sie nicht nur, sondern kassiert auch noch jeden Abend das Trinkgeld, das sie sich als Bäckerin und Kellnerin in Joe's Pie Shop irgendwo im Süden der USA verdient. Jennas einzige Hoffnung ist ein Backwettbewerb: Das Preisgeld würde ihr ein neues Leben ohne den ewig hupenden Kontrollfreak Earl ermöglichen. Mit der Schwangerschaft scheint ihr Schicksal jedoch besiegelt - wie soll sie jetzt von Earl wegkommen?
Adrienne Shelly, die selbst schwanger war, als sie das Drehbuch schrieb, hat es geschafft, aus einer zunächst unspektakulären und Klischee-behafteten Geschichte einen unglaublich mitreißenden Film zu machen. Der stützt sich vor allem auf ihr solides Darsteller-Ensemble und die pointenreichen Dialoge. Zugegeben, Figuren wie Earl bedienen ganz klar den Stereotyp des fiesen Ehemanns. Jedoch spielt Jeremy Sisto ("Six Feet Under") Earl mit solch unverschämtem Pathos, dass man sich genüsslich vor Abscheu im Kinosessel windet. Er ist der Buhmann, den man gerne hasst, genauso wie man Jennas Kolleginnen aus dem Pie Shop nur lieben kann.
Da ist die ehemalige Southern Belle Becky (Cheryl Hines), deren quietschiger Südstaaten-Akzent (im Originalton) ein einziger Genuss ist, besonders wenn sie ihre Kolleginnen mal wieder darauf hinweist, dass ihre "linke Brust bis nach Florida runterhängt". Perfekt ergänzt wird Becky durch Mauerblümchen Dawn (gespielt von Adrienne Shelly selbst), die ihre ganz eigenen Männerprobleme hat. Beide bewundern Jennas Backkunst und würden alles tun, um ihr den Ausstieg aus ihrem gebeutelten Dasein zu ermöglichen. Jenna selbst ist schlagfertig, kreativ und leidenschaftlich und wird grandios gespielt von Keri Russell. Sie versteht es, ihre Figur zerbrechlich und stark, bemitleidenswert und bewundernswert zugleich erscheinen zu lassen.
Männer kommen bei "Jennas Kuchen" nicht immer gut weg, jedoch sorgt das Drehbuch für einige Überraschungen. Neben Earl muss sich Jenna mit ihrem ebenfalls schmierigen, aber wunderbar pragmatischen Chef Cal herumschlagen, der die Schwangere keineswegs feuern will, ganz im Gegenteil: "Hell, as long as you can carry a pie tray and bus a table I don't care if you give birth while doing it." Anteilnahme an Jennas Schicksal nimmt auch Pie Shop-Besitzer Joe ("Matlock" Andy Griffith), schließlich sind ihre Kreationen der Höhepunkt seines Alltags, und auf diesen Genuss will er auf keinen Fall verzichten. Und dann ist da natürlich noch der trottelige Dr. Pomatter (Nathan Fillion, "Serenity"), der es als Jennas Gynäkologe nicht immer leicht hat.
Ähnlich wie in Lasse Hallströms "Chocolat" wird auch in diesem Film immer wieder verführerisch in geschmolzener Schokolade gerührt und mit anderen leckeren Zutaten hantiert. Die Kuchen-Herstellungs-Sequenzen bilden quasi das Filmgerüst, und Jennas kuriose Namen wie "Pregnant miserable self-pitying loser Pie" sorgen nicht selten für einen Lacher. Trotzdem wird es zwischendurch auch immer wieder bitterernst. Vielleicht ist es gerade die Kombination von entwaffnender Ehrlichkeit und Realismus mit einem hemmungslos unrealistischen Märchen, die diesen Film so unwiderstehlich macht.
Sinnlose Gewalt ist dabei leider nicht nur ein Thema im Film, sondern auch trauriger Endpunkt seiner eigenen Geschichte. Die Autorin, Regisseurin und Schauspielerin Adrienne Shelly hat die Premiere von "Jennas Kuchen" auf dem Sundance Filmfestival nicht mehr miterlebt. Sie wurde im Alter von 40 Jahren von einem Bauarbeiter ermordet, bei dem sie sich über Lärm in ihrer Wohnung beschwert hatte. So konnte die Filmemacherin nicht mehr erfahren, wie das Publikum auf ihren Film reagierte. Sie wäre bestimmt zufrieden gewesen.
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