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Was lasse ich einem
Meisterwerk folgen? Muss sich ein Regisseur diese Frage
stellen, schwingt
er ein doppelseitiges Schwert: Auf der einen Seite hat er
einen, vielleicht
den Höhepunkt des Schaffens erreicht, andererseits gilt es
jetzt
seinen Geniestatus zu untermauern und die haushohen
Erwartungen der
Fans nicht zu enttäuschen. Und hier liegt die Crux des
Ganzen:
Diese Erwartungen sind nicht zu erfüllen. Also lässt man
dem Opus magnum ein kleineres Werk mit geringerer Ambition
folgen.
Tarantino hat das getan, ließ dem genialischen und in Sachen
Coolness, Style oder Wortwitz nicht mehr zu überbietenden
"Pulp
Fiction" den wesentlich bescheideneren "Jackie Brown"
folgen, eine als Gaunerkomödie verkleidete Studie über
alternde
Hollywoodstars. Fincher hat das getan, lies dem vielleicht
explosivsten
(und im Hollywoodsystem auch subversivsten) Film der 90er, "Fight
Club" den stromlinienförmigen Thriller "Panic
Room" folgen. Und nun ist Christopher Nolan dran, der
Regisseur,
der uns mit "Memento" den
insgesamt wohl besten Film des letzten Jahres und einen
Instant-Klassiker
bescherte. "Insomnia" wird als Prestigeobjekt vermarktet,
was bei drei Oscar-Gewinnern als Hauptdarstellern auch nicht
verwundert.
Die erste Enttäuschung gleich zu Beginn: Aus der
talentierten Hillary Swank wird hier so gut wie nichts
gemacht. Ihre
Rolle ist winzig und allzu stereotyp, Swank wird zum window
dressing
degradiert. In "Insomnia" geht es nur um das Psychoduell
zwischen Al Pacino und Robin Williams.
Pacino ist Will Dormer, der alternde Polizeiveteran aus L.A., den es zusammen mit seinem Kollegen Hep (Martin Donovan) ins von der Welt quasi abgeschnittene Nest Nightmute, Alaska verschlägt, um der dortigen Polizei bei der Untersuchung eines Mordfalls zu helfen. Dormer hat Probleme. Sein jüngerer Kollege ist bereit, einen Deal mit den Polizisten für Innere Angelegenheiten zu machen, ein Deal der Dormers Karriereaus bedeutet. Der Trip nach Alaska ist da nur Aufschub, die Spannung zwischen beiden Männern enorm. Ebenfalls wenig enthusiastisch ist Dormer über die Tatsache, dass ihm der übereifrige Neuling Ellie Burr (Swank) zur Seite gestellt wird. Das schlimmste ist jedoch seine Schlaflosigkeit, hervorgerufen durch die in diesen nördlichen Gefilden für Monate nicht untergehende Sonne. Immerhin geht die Untersuchung zügig voran und bald sind die Polizisten in der Lage, dem Mörder eine Falle zu stellen.
Wer von diesem Film vollkommen überrascht werden will,
sollte
jetzt aufhören zu lesen. Der folgende Absatz über die
Storyentwicklung ist nicht spoilerfrei, aber notwendig um
den Zuschauer
darauf vorzubereiten, worum es hier geht. Bereits nach dem
Trailer
weiß man, wer der Mörder ist, es gibt hier also nicht
das beliebte Whodunnit (und wer dies hier ernsthaft
erwartet, wird
enttäuscht und sollte dem Film fernbleiben). Stattdessen wird
das Psychoduell der beiden Hauptdarsteller vorbereitet.
Die Falle
schnappt nur halbwegs zu, der Mörder kann fliehen und bei
einer
Schießerei im Nebel wird Hep erschossen. Von seinem
eigenen
Partner Dormer. Ganz sicher ein Unfall. Oder vielleicht
doch die
unterbewusste Eliminierung eines unbequemen Mitwissers?
Auftritt
Walter Finch (Williams), der von Dormer gejagte Killer und
einzige
Zeuge des von Dormer vertuschten Mordes des eigenen
Partners. Finch
schlägt Dormer einen Deal vor. Sag ich nichts, sagst Du
nichts.
Ein Unfall kann doch jedem mal passieren. Als sich Dormer
auf den
Deal einlässt, beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen
dem
intelligenten Killer Finch und dem schuldbewussten,
schlaflosen
Dormer. Zudem wird Ellie darauf angesetzt, die Schießerei
im Nebel zu untersuchen ...
Wer sich diesen Film anschaut darf zwei Sachen erwarten:
(1) ein
Duell zweier großer Schauspieler und (2) einen
durchdachten
Thriller. Und zumindest bei Punkt 1 gewinnt "Insomnia"
auf der ganzen Linie. Für die Rolle des ausgemergelten
Cops
passt wohl keiner besser als Al Pacino, dessen
abgewracktes Äußeres
in diesem Film vollkommen zu seinem Vorteil gereift. Müde
und
alt sah er auch in "An jedem verdammten
Sonntag" und "The Insider"
schon aus, aber hier wirkt er so, als hätte sein Charakter
anstatt einiger Tage die letzten Jahre durchgehend nicht
geschlafen.
Diesem Charakter angemessen hält sich Pacino wohltuend
zurück,
anstatt zu oft in Getöse und Geschrei zu verfallen (wie
beispielsweise
in "Heat") und sein Schleichen und Schlurfen und das
Gucken
aus eingefallenen Augen sind wesentlich effektiver als
seine üblichen
Manierismen.
Die wahre Offenbarung ist aber Robin Williams. Seit dessen
traditionelle
Komödienrolle spätestens mit dem "Patch Adams"-Kitsch
in der Sackgasse gelandet ist, sieht sich Herr Williams
nach anderem
Material um, um die Kredibilität aufzubügeln. Und siehe,
er entdeckt den Filmbösewicht für sich. Während aber
"Death
to Smoochy", Schritt
eins im Fachwechsel, böse daneben ging, ist seine Leistung
hier schlichtweg herausragend. Demnächst gibt es ihn
nochmals
als Psychopathen in "One Hour Photo" und nehmen wir seine
Leistung hier als Maßstab, darf man sich schon mal
ordentlich
freuen. Williams offenes, freundliches und zutiefst
sympathisches
Gesicht gibt die perfekte Fassade für ein diabolisches
Inneres
ab. Zudem ist sein Walter Finch nicht der handelsübliche
Psychopath
aus einem 08/15-Streifen. Ganz im Gegenteil: Williams
schafft es,
seiner Figur derart viel Glaubwürdigkeit und Sympathie zu
verschaffen,
dass man ernsthaft gewillt ist, ihm zu glauben, der Mord
wäre
ein verzeihlicher Unfall gewesen.
Hier liegt dann auch die Brillanz von "Insomnia", in
dem geschickten Drehen und Wenden üblicher Gut/Böse
Schemata.
Während Williams' Killer immer mehr unser Vertrauen und
Verständnis
gewinnt, werden wir von Pacinos Vertuschung und Täuschung
immer
mehr abgestoßen. Finch hat recht, wenn er Dormer als einen
ihm ähnlichen Partner erkennt. Beide Männer sind wie die
zwei Gesichter eines Januskopfs, ein und derselbe Impuls
in verschiedenen Körpern. Pacino ein vermeintlich guter
Mensch
auf dem Abstieg nach unten und Williams ein vermeintlich
schlechter
Mensch, dessen Schlechtigkeit wir jedoch hinterfragen
müssen.
Auch technisch schneidet "Insomnia" sehr gut ab. Wir sehen
den ganzen Film durch ein brillant eingewobenes
Filmschnipselchen
(weiße Fasern färben sich rot), dessen Relevanz erst
zum Schluss enthüllt wird. Eines der kleinen Gimmicks von
Christopher
Nolan, die ohne Frage funktionieren. Zudem er auch bei den
Außenaufnahmen
in Alaska gutes Auge beweist, und der Film handwerklich
vorzüglich
ist.
Dennoch bringt sich "Insomnia" mit diversen Kleinigkeiten
um den Lohn, als wirklich herausragend durchzugehen. Das
fängt
mit der unsubtilen Metaphorik an, in Namensgebung (statt
Dormer
hätte man Pacino auch gleich Sleeper nennen können) und
vor allem der titelgebenden Schlaflosigkeit des Helden.
Das ständig
gleißende Licht, das Dormers Selbstzweifel und
Gewissensbisse
symbolisiert, ist da zwar wenig zweideutig, aber man hält
es
wohl trotzdem für notwendig, dies dem Zuschauer bis ins
kleinste
vor zu buchstabieren. "Gute Polizisten schlafen nicht,
weil
ihnen Teile des Puzzles fehlen", bemerkt Ellie gegenüber
Dormer, "schlechte Polizisten, weil sie ein schlechtes
Gewissen
haben". Reichlich platt und eine Szene, die erzwungen und
unnötig
ist. Am meisten hakt aber das Ende des Films. Hier wird
das vorher
so liebevoll aufgebaute, sich vermengende Gut-und-Böse
Schema,
das sich simpler Kategorisierung widersetzte, mir nichts
dir nichts
über den Haufen geworfen (zudem nur äußerst unzureichend
motiviert und erklärt
mit einem dieser ‚wichtigen' Filmmonologe, die sich
bereits
Minuten vorher ankündigen), um doch noch ein
traditionelles
Finish zu bekommen. Wer aber glaubt, das Pistolengeballere
könne
über diesen enttäuschenden Fehlschritt hinweg täuschen,
der irrt. Hier versucht man zwanghaft und mit den falschen
Mitteln
einen Klimax her zu zaubern, den dieses feine
Charakterdrama einfach
nicht hergibt. Ein Rohrkrepierer. Feiger und
inkonsequenter dann
nur noch die Schlußszenen. Hier hat man sich dem
Hollywoodregelbuch
(Sektion: Charaktere, für die es kein Zurück mehr gibt)
nach für die simpelste aller Auflösungen entschieden,
eine ärgerliche und unbefriedigende Lösung, die der
vorausgegangenen
Brillanz keineswegs gerecht wird.
Diese Kritik klingt eventuell negativer als gewollt, vermutlich weil man insgeheim doch auf ein weiteres Meisterwerk hoffte, sie sollte aber keine Zweifel an einer Tatsache aufkommen lassen: "Insomnia" ist ein guter Film. Gut, aber nicht groß. Als Charakterdrama größtenteils überzeugend, als Copthriller sich am Ende ein wenig zu sehr den Konventionen beugend, ist "Insomnia" der rare Fall, indem man sowohl enttäuscht als auch zufrieden aus dem Kino gehen darf. Enttäuscht, weil der Regisseur nach dem mutigen "Memento" eben doch nur einen konventionellen (aber guten) Thriller abgeliefert hat; zufrieden weil Nolan auch hier zeigt, was für ein Talent er ist. Da kommt in Zukunft noch was.
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