
Der Manga-Comicroman "Ghost in the Shell" von Masamune Shirow erschien 1989 und gilt als einer der bahnbrechendsten und bedeutendsten Vertreter seiner Art. Noch berühmter und wichtiger ist für Cineasten indes die Anime-Verfilmung von 1995. Der Film von Mamoru Oshii war zusammen mit "Akira" nicht nur dafür verantwortlich, dem japanischen Zeichentrick-Genre in der westlichen Welt zum (kleinen) Durchbruch zu verhelfen. Sein immenser popkultureller Einfluss zeigt sich vor allem daran, dass er die zentrale Inspirationsquelle für den SciFi-Meilenstein der Jahrtausendwende war: "Matrix" ist in seiner Geschichte und vor allem in seinem visuellen Stil mehr als nur geprägt von "Ghost in the Shell". Und das war vielleicht irgendwie das Problem von Steven Spielberg. Der hatte sich zwar die Rechte an dem Film für ein amerikanisches Remake gesichert. Doch spätestens nach "Matrix" musste man sich definitiv fragen, ob so ein Film wirklich Sinn machen würde.
Nun, fast zwei Jahrzehnte später, kommt die US-Version "Ghost in the Shell" nun doch noch in die Kinos, von Spielbergs Produktionsfirma Dreamworks, aber nicht unter der Regie des Großmeisters, sondern unter der des Engländers Rupert Sanders. Ein im Mantra "Was zählt, ist die Oberfläche" bestens ausgebildeter Ex-Werbefilmer, der mit "Snow White & the Huntsman" sein Hollywood-Debüt hatte geben dürfen. Wenig verwunderlich, dass in der Hand solch eines Regisseurs der Stoff auch noch den letzten Tiefgang verliert, den das neu aufgelegte Drehbuch von "Ghost in the Shell" nicht ohnehin schon abgeschliffen hat.
In der nahen Zukunft ist es vollkommen normal geworden, seinen Körper durch kybernetische Ersatz-Körperteile zu vervollkommnen, so dass fast kein Mensch mehr mit seinem echten biologischen Selbst durchs Leben geht. In dieser Welt wird Major (Scarlett Johansson) erschaffen, der erste vollständig kybernetische Körper (die "shell") mit einem per Gehirntransplantat installierten menschlichen Geist (der "Ghost"). Major hat jede Erinnerung an ihr früheres Leben verloren, ein Mensch ohne Identität, geschaffen, um als Super-Polizistin auf Verbrecherjagd zu gehen. "Für mich ist sie eine Waffe. Sie ist die Zukunft meiner Firma" sagt der Chef des Unternehmens, das Major entwickelt hat, in der ersten Szene, und sogleich weiß man, wer hier der Böse ist und das es offensichtlich darum gehen wird, die miesen Machenschaften eines skrupellosen Konzerns (bzw. seines Anführers) aufzudecken.
Das erschließt sich für Major natürlich erst nach und nach, während sie sich in einem sehr konventionellen Krimi-Thriller-Plot einem mysteriösen Verbrecher nähert, der auf einer persönlichen Vendetta gegen Majors Mutter-Konzern zu sein scheint. Die Einfallslosigkeit der Erzählung ist in diesem Fall gerade deshalb so bedauerlich, weil diesem Film ein Werk zugrunde liegt, das eines eben ganz bestimmt nicht war: Konventionell und einfallslos. "Ghost in the Shell" (als Manga und als Anime) ist unter all seiner oberflächlichen visuellen Ästhetik und seinem verzwickten Krimi-Plot eine vielschichtige Abhandlung über Fragen der Identität: Wie sehr benötigt ein "Ich" einen eigenen Körper, um sich noch als Individuum wahrnehmen zu können? Wieviel Bedeutung trägt ein eigener Körper überhaupt noch für die eigene Identität in einer zunehmend virtuellen Welt? Kann eine Maschine ein "Ich" besitzen?
In der neuen US-Version linsen solche tiefgehenden Fragen höchstens mal kurz verschämt um die Ecke, wenn Major gerade einen ihrer wenigen Momente der Selbstreflexion hat, die das Drehbuch ihr noch zugesteht - eine in der Anlage hochkomplexe, vom eigenen Skript aber vollkommen vernachlässigte Hauptfigur. Das passt aber sehr gut ins Gesamtbild, denn eigentlich sind alle Figuren hier nur bloße Oberfläche. Rupert Sanders scheint jenseits der visuellen Ästhetik mit keinem seiner Darsteller wirklich etwas anfangen zu können. Selbst Juliette Binoche als Wissenschaftlerin und Quasi-Mutter von Major und Takeshi Kitano als Majors Vorgesetzter (und Quasi-Vaterfigur) wirken hier weniger wie echte Charaktere sondern mehr wie Funktionsträger und Repräsentanten ihres eigenen Images. Hier die europäische Charakterdarstellerin für künstlerische Credibility und thematische Gravitas. Dort die japanische Film-Ikone als Referenz an die Ursprungskultur des eigenen Stoffes. Kitanos Szenen wirken allerdings etwas befremdlich, da er alle seine Dialoge auf Japanisch spricht, aber die Antworten auf Englisch erhält. So als würden alle Anwesenden beide Sprachen verstehen, aber es aus unerfindlichen Gründen bevorzugen, nicht in derselben Sprache zu reden. Für eine Polizeitruppe wirkt das irgendwie ineffizient.
Das einzige, was am neuen "Ghost in the Shell" wirklich zu beeindrucken weiß, ist - wie es nicht anders zu erwarten war - seine Oberfläche. In erstaunlicher Ehrerbietung huldigt der Film der Ästethik seines Originals, und die namenlose Metropole, in der er spielt, ist ein wahrlich spektakuläres Setting. Mit dieser Nähe zur Stilistik des Originals präsentiert sich der Film allerdings in einer Optik, die ihre popkulturelle Hochzeit Ende des letzten Jahrtausends hatte. "Ghost in the Shell" war eines der prägenden Werke des "Cyber Punk", die Tentakeln der klassischen Anime-Monster verwandelten sich hier in Kabel und mechanische Greifarme ("Matrix", ne?). Vielleicht liegt es daran, dass in unserer Welt heutzutage alles über W-LAN funktioniert, und kaum noch ein Mensch ein Kabel braucht, um zu seinem virtuellen Ich zu werden, aber dieses Cyber Punk-Revival wirkt im Jahr 2017 seltsam anachronistisch.
So weiß "Ghost in the Shell" letztlich auf keiner Ebene wirklich zu überzeugen und wirkt allzu sehr wie eine konzept- und motivationslose Resteverwertung eines Stoffes, den man halt mal bezahlt und immer noch rumliegen hatte. Ein Remake, das niemand wirklich gebraucht hat, das die erzählerisch faszinierenden Aspekte des Originals auch noch weglässt, aber dabei jede eigene Vision oder Aussage vermissen lässt - nein, das hätte man sich wirklich sparen können.
Neuen Kommentar hinzufügen