Es hat halt nur ein bisschen länger gedauert. Anlässlich des dritten „Purge“-Films hatten wir ja an dieser Stelle ein wenig herum gemault, dass der uns einst von Produzent Jason Blum im Interview in Aussicht gestellte Blick auf den Beginn der gewalttätigen Säuberungsaktionen im Vergleich zur mauen Polit-Satire wohl doch der interessantere Ansatz gewesen wäre. Aber da die Reihe nach wie vor eine ordentlich sprudelnde Cash Cow für Blumhouse Productions darstellt, wird sie uns halt jetzt serviert, die allererste „Purge“-Nacht.
Wie kam es dazu, wie lief die wohl ab und wie haben sich die Menschen verhalten als sie noch keine wirkliche Ahnung davon hatten, was ihnen bevorsteht? Das sind die offensichtlichen Fragen, die sich ohnehin schon jeder mal gestellt hat, der sich auch nur ein wenig für die Franchise interessiert. Bedauerlicherweise werden diese Fragen hier aber nur sehr beiläufig behandelt und sich stattdessen auf einzelne Figuren und Gruppen konzentriert, die so auch in jedem anderen Teil der Reihe hätten vorkommen können.
Es ist nicht das erste Mal, dass Gewalt und Rassenunruhen die Schlagzeilen in den USA bestimmen, doch mit der Partei der „Neuen Gründungsväter Amerikas“ ist eine Kraft am Werke, die radikaler vorgeht als alle Vorgänger. Ein zunächst absurd klingendes Experiment soll dafür sorgen, dass die Wählerstimmen diesen Extremisten in noch größerer Zahl zulaufen: Für eine Nacht werden sämtliche Regeln und Gesetze außer Kraft gesetzt, selbst Straftaten bis hin zu Mord bleiben ungesühnt. Die Theorie dahinter lautet, dass durch diesen einmaligen „Aggressionsabbau“ dann für den Rest des Jahres die Kriminalitätsrate deutlich sinkt. Die Probe aufs Exempel findet zunächst nur in einem lokal begrenzten Gebiet statt, nämlich dem hauptsächlich von schwarzen Einwohnern bevölkerten und von zahlreichen Bandenkriegen geplagten New Yorker Stadtteil Staten Island. Und so steht sie irgendwann an, die erste „Purge“-Nacht, bei der aber im Grunde niemand eine rechte Vorstellung davon hat, was wohl passieren wird.
„Gar nicht mal so viel“ lautet die Antwort auf diese Frage, und das gilt sowohl für den gemächlichen Beginn der „Purge“, als auch für gut die erste Hälfte des dazu gehörigen Films. Nach bekanntem Muster müssen dem Zuschauer nämlich erst mal ein halbes Dutzend Charaktere vorgestellt und vertraut gemacht werden, damit man mit denen dann später auch was anzufangen weiß und entsprechend emotional involviert ist. Ein Muster, das jedoch dazu führt, dass die Vorfreude darauf, es hier mit einem ganz besonderen Abschnitt innerhalb des Universums dieser Kinoreihe zu tun zu haben, ziemlich schnell der ernüchternden Erkenntnis weicht, dass das Ganze im Grunde doch nur ein x-beliebiges, generisch aufgebautes Szenario darstellt.
Denn während der Ursprung der Idee zur an sich wahnwitzig anmutenden Aufhebung sämtlicher zivilisatorischer Regeln überhaupt nicht näher beschrieben und die Motivation der dahinter stehenden Verantwortlichen lediglich mit wenigen kurzen Sätzen angedeutet wird, verwendet das Drehbuch gefühlt unendlich viel Zeit darauf, seine im Grunde völlig austauschbare Kerngruppe an späteren Purge-Opfern und -Tätern vorzustellen. So gut wie nichts ist dagegen zu sehen von den so einem heftigen Einschnitt doch wohl sicher voraus gehenden politischen Diskussionen und Aufregungen innerhalb der Bevölkerung.
Denn wirklich spannend sind ja nicht der zigste durchgeknallte Psychopath auf Opferjagd (der uns hier aber dennoch in Person des „Skeletor“ geliefert wird) oder diverse unbewaffnete und unvorbereitete brave Menschen auf der Flucht, sondern der Blick aufs große Ganze, auf die Beobachter von außen, die Strippenzieher. So hat „The First Purge“ seine stärksten Momente dann auch in der Phase nach Beginn der „Alles geht“-Nacht, in der nämlich zunächst einmal fast nichts passiert und es auf den Monitoren wenig zu sehen gibt außer fröhlich feiernden Menschen, die sich doch tatsächlich einfach weigern ordentlich Amok zu laufen. Da greift dann doch die Panik bei den Manipulatoren und Führungskräften (unter denen sich auch eine hier irgendwie unpassend besetzte Marisa Tomei befindet) um sich, so dass die sich gezwungen sehen, etwas nachzuhelfen, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen.
Natürlich sind die einfachen Leute auch hier von Beginn an die Schafe, auch wenn sie glauben plötzlich die große Freiheit gewonnen zu haben. Geht es den „Gründervätern“ womöglich viel mehr darum, sich unter einem Vorwand der lästigen und „unnützen“ Bevölkerungsgruppen zu entledigen? Wer mit den vorhergehenden Filmen der Reihe vertraut ist, kennt auch bereits die Antwort auf diese Fragen, so dass das Prequel auch da inhaltlich nichts wirklich Neues hinzuzufügen hat. Was bleibt ist ein handwerklich souverän inszenierter, stereotyper Mix aus Slasher- und Actionfilm, von dem man sich angesichts seiner Prämisse aber deutlich mehr versprechen konnte. Das macht „The First Purge“ daher doch zu einer ziemlichen Enttäuschung.
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