Ob Filme von Sofia Coppola lediglich von Langeweile handeln oder diese gleich direkt auf das Publikum übertragen, ist regelmäßig Gegenstand von Diskussionen unter Cineasten, auch innerhalb der Filmszene-Redaktion. Während die einen mit „Marie Antoinette“ und „The Bling Ring“ wenig Spaß hatten, waren andere von „Somewhere“ schwer begeistert. Der Autor dieser Zeilen verortet sich zwar eher im Pro-Coppola-Lager, wartet jedoch nach „Lost in Translation“ nun schon seit mehr als 13 Jahren auf ein neues echtes Kunststück der 46-jährigen Regisseurin. An diesem Zustand ändert auch ihre Romanverfilmung „Die Verführten“ nichts.
Darin spielt Nicole Kidman die Leiterin eines kleinen Mädcheninternats, welches inmitten des amerikanischen Bürgerkriegs den einzigen Schauplatz in diesem Film darstellt. Eines Tages entdeckt eine Schülerin beim Pilzesammeln den verwundeten Soldaten John McBurney (Colin Farrell) und bringt diesen mit nach Hause. Da es sich um einen Kämpfer der verfeindeten Nordstaaten handelt, wissen die Frauen zunächst nicht, wie sie mit ihm umgehen sollen – entschließen sich dann jedoch dazu, ihn in einem meist abgeschlossenen Zimmer gesund zu pflegen. Während der Heilungsprozess gut verläuft, entwickeln sich zwischen McBurney und mehreren Frauen erotische Gefühle – neben der Internatsleiterin betrifft dies auch die Lehrerin Edwina (Kirsten Dunst) und die jugendliche Schülerin Alicia (Elle Fanning). Diese Entwicklungen wiederum reißen neue, größere Wunden auf.
Bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes hat Sofia Coppola den Preis für die beste Regie erhalten – übrigens erst als zweite Frau überhaupt. Wenn es neben den überzeugenden Leistungen der Schauspielerinnen und des einen Schauspielers eines gibt, was in diesem Film über jeden Zweifel erhaben ist, dann ist es tatsächlich seine Inszenierung. Von der langsamen Kamerafahrt in der ersten Minute an gelingt es Coppola, ein so prägnantes Gefühl für die schwül-drückende Südstaaten-Atmosphäre zu erzeugen, als würde man tatsächlich für 90 Minuten in das Jahr 1864 zurückkehren. Die authentischen Produktionswerte wie Kleidung und Ausstattung des Hauses sowie die durchs Bild ziehenden Nebelschwaden und das sehr atmosphärisch und in den Abendstunden nur spärlich eingesetzte Licht der Kerzen sind dabei natürlich behilflich.
Beeindruckend gestaltet sich aber auch das Zusammenspiel der Charaktere und hierbei insbesondere das lust- und leidvolle Verhältnis der einzigen männlichen Figur zu diversen weiblichen. Dieses wird gar nicht so sehr über die Dialoge gestaltet, sondern vielmehr über die mehrdeutigen Blicke, die insbesondere die Frauen auf den verwundeten Soldaten, aber zunehmend auch auf die potentiellen Konkurrentinnen werfen. Ein Beispiel: Gleich zu Beginn des Films, als McBurney kurz auf der Terrasse abgelegt wird, zupft er – geistig mehr ab- als anwesend – am Kleid von Alicia; die Kamera wechselt für einen Moment in seine Perspektive und zeigt ein weibliches Gesicht, das zwischen Abscheu, Mitleid und sexueller Begierde zahlreiche Interpretationen zulässt. Wenn McBurney später im Film gemeinsam mit allen drei potentiellen Liebes- und Sexualpartnerinnen im selben Raum ist und die Blicke im Sekundentakt durchs Bild fliegen, fällt es schwer, überall gleichzeitig hinzuschauen, um keine Andeutung zu verpassen. Gleichzeitig darf man darüber spekulieren, wer es hier denn eigentlich ernst meint und wer der beziehungsweise dem einen oder anderen lediglich aus Kalkül schöne Augen und Komplimente macht.
Irgendwann kommt es schließlich zu einer dramatischen Wendung, die dieses Kammerspiel und die Konflikte in seinem Figurenkarussell in eine völlig andere Richtung lenkt, wobei allerdings kaum die Rede davon sein kann, dass sich die Situation bis dahin wirklich zugespitzt hätte – es handelt sich ja schließlich um einen Film von Sofia Coppola. Ihre Vorliebe für dezente Andeutungen und eine über-subtile Erzählweise hat stets ihren eigenen Reiz, bedeutet aber auch in diesem Film, dass die Story eigentlich zu keinem Zeitpunkt so richtig zwingend wird und man sich schon ein wenig nach etwas mehr Zuspitzung sehnt. Von Überraschungen ist weit und breit auch nichts zu sehen. Beides ist nicht allzu schlimm, führt aber dazu, dass der Film über die gesamte Dauer ein wenig vor sich hin plätschert – wenn auch sehr stimmungsvoll und mit Blick auf die zwischenmenschlichen Beziehungen sehr aufschlussreich.
Obwohl „Die Verführten“ kein herausragender Film ist, bietet er jede Menge Interpretationsspielraum, was seine Aussagen über das Verhältnis der Geschlechter zueinander und seine feministischen Untertöne betrifft. Diskutieren kann man über "Die Verführten" also durchaus (vor allem jene, die noch die erste Verfilmung des Stoffes von 1971 mit Clint Eastwood in der männlichen Hauptrolle kennen), und dank der Regie-Auszeichnung in Cannes wird der Film auf jeden Fall jetzt schon als so "wichtig" gehandelt, dass man im nächsten Frühjahr zur Oscar-Verleihung eventuell noch einmal verstärkt von ihm hören wird.
Originaltitel
The Beguiled
Land
Jahr
2017
Laufzeit
93 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
Bilder: Copyright
Universal Pictures
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