Das Seeungeheuer

Originaltitel
The Sea Beast
Land
Jahr
2022
Laufzeit
115 min
Release Date
Streaming
Bewertung
7
7/10
von Matthias Kastl / 20. Juli 2022

Nach 25 Jahren in der Animationsabteilung von Disney hat sich Regisseur Chris Williams („Bolt“, „Baymax“, „Vaiana“), genau wie seine Figuren in „Das Seeungeheuer“, für ein neues großes Abenteuer entschieden. Der Wechsel des Arbeitgebers hat glücklicherweise keine Auswirkungen auf die Optik des Films, denn auch unter der Schirmherrschaft von Netflix gelingen Williams und seinem Team wunderschöne Bilder, die in der absoluten Animations-Oberklasse mitspielen. Mit jeder Menge Schwung, charmanten Figuren und gelungenem Humor kann der Film lange Zeit dabei sehr erfolgreich seine doch sehr vertraut wirkende Story kaschieren, bevor dem Animationsabenteuer in der zweiten Hälfte dann ein klein wenig die kreative Puste ausgeht.

Ohne nachzulassen geht dagegen Jacob Holland Zeit seines Lebens seiner Hauptbeschäftigung nach: mit dem legendären Schiff "Inevitable" Seemonster jagen. Ein Traum scheint für ihn in Erfüllung zu gehen, als sein griesgrämiger Vorgesetzter Captain Crow seinen Ruhestand ankündigt und Jacob zum neuen Captain befördern möchte. Vorher will Crow aber noch ein legendäres Seemonster erledigen, das ihm einst (Moby Dick lässt grüßen) eine schwere Verletzung zufügte. Doch die gefährliche Jagd hält für beide schon bald eine ganz unerwartete Herausforderung bereit. Das genauso junge wie vorlaute Mädchen Maisie hat sich nämlich an Bord geschmuggelt und beginnt schon bald eine ziemlich abstruse These in den Raum zu werfen: Was, wenn diese Seemonster gar nicht so böse sind?

Bereits im Animationsfilm „Vaiana“, bei dem Williams als Co-Regisseur tätig war, schickte man ja ein junges aufgewecktes Mädchen mit einem eher klassischen und etwas selbstverliebten Helden auf Abenteuerfahrt über das Meer. Mit der Beziehung zwischen Jacob und Maisie, die das emotionale Grundgerüst des Films bildet, greift man diese Dynamik hier in ähnlicher Form wieder auf – kombiniert diese aber im weiteren Verlauf noch mit einer ordentlichen Portion „Drachenzähmen leicht gemacht“. Viele Aspekte und Charaktere der Story wirken so sehr vertraut, vom genauso süßen wie vorlauten Kind über den gutaussehenden und selbstverliebten Helden bis hin zum kleinen tierischen Begleiter, der hauptsächlich durch niedliche Tollpatschigkeit dem Publikum ans Herz wachsen soll.

Glücklicherweise gelingt genau dies aber den meisten Figuren hier ziemlich schnell. Vor allem die beiden Hauptfiguren funktionieren exzellent, denn gerade zu Beginn präsentiert der Film den Zuschauern liebevoll inszenierte und wirklich witzige Wortgefechte zwischen den so ungleichen Protagonisten. Doch der Film bietet in seiner ersten halben Stunde noch mehr. Auch wenn die Figur des Jacob auf ersten Blick sehr klischeehaft konstruiert zu sein scheint, schimmert in einigen Momenten doch auch eine interessante Verletzlichkeit bei ihm durch. Und gerade der Konflikt mit Captain Crow ist zu Beginn deutlich komplexer angelegt als gedacht, da auch Crow in dem einen oder anderen Moment eher nachdenklichere Facetten zeigt und nicht einfach nur auf die Rolle des eindimensionalen Griesgrams und Kapitän-Ahab-Wiedergänger reduziert wird.

Eine weitere große Stärke des Films ist seine Inszenierung. Vor allem in der ersten Hälfte braust „Das Seeungeheuer“ mit einer wundervollen Leichtigkeit durch die Handlung. Dafür setzt man genauso energiegeladene wie elegant wirkende Kamerafahrten ein, die aber nie zu aufdringlich wirken und genau das richtige Tempo an den Tag legen, um dem Film einen wundervollen Flow zu verleihen. Optisch sieht „Das Seeungeheuer“ dazu ebenfalls großartig aus, ob nun in den spektakulären Gefechten auf hoher See oder bei den Szenen in der prächtigen Palastanlage des Königreiches.   

In der zweiten Hälfte verliert der Film dann aber leider etwas an Fahrt. Das liegt vor allem an der Story, welche mit fortlaufender Dauer deutlich stärker auf Autopilot und reines Entertainment schaltet und die interessanten moralischen Grauzonen mancher Figuren lieber etwas glattpoliert. Stattdessen kracht und rumst es jetzt öfters und manche Gags wirken deutlich aufgesetzter und nicht mehr ganz so liebevoll in die Handlung integriert wie vorher. Das würde bei der immer noch tollen Inszenierung und Optik vermutlich gar nicht so arg ins Gewicht fallen, wenn man sich nicht gleichzeitig auch etwas zu viel Zeit für die zu vertraut wirkenden Plotpoints nehmen würde.

So bewegt sich der Film am Ende etwas zu gemächlich auf sein nicht gerade überraschendes Ziel zu – auch wenn er immer noch genug Charme mitbringt, um durchaus souverän die Ziellinie zu passieren. Angesichts des starken Beginns zwar etwas schade, doch am Ende darf man trotzdem von einem gelungen Ausflug von Chris Williams abseits des Disney-Universums sprechen. Und vielleicht wird Williams nächster Film ja den Mut haben weniger vertraute Pfade zu beschreiten – schließlich ist es das ja, was den Reiz eines richtig guten Abenteuers ausmacht.

Bilder: Copyright

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