Auf brennender Erde

Originaltitel
The burning plain
Land
Jahr
2008
Laufzeit
107 min
Genre
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Frank-Michael Helmke / 27. April 2011

Kaum jemand hat in den letzten zehn Jahren im Kino so wagemutig und so erfolgreich mit den Möglichkeiten des filmischen Erzählens und der Auflösung einer konventionellen, chronologischen Dramaturgie experimentiert wie Guillermo Arriaga. Dass dieser Name auch bei eingefleischten Cineasten trotzdem zumeist nur ein ratloses Schulterzucken auslöst, liegt daran, dass Arriaga bis jetzt einen Job gemacht hat, dessen Bedeutung und Stellenwert für das Gelingen eines Films in der öffentlichen Wahrnehmung traditionell völlig unter Wert verkauft wird: den des Drehbuchautoren. Selbst die Vielzahl professioneller Filmkritiker neigt dazu, sämtliche kreativen Leistungen eines Films in ihrer Gesamtheit dem Regisseur als zentral verantwortlichen Künstler zuzuschlagen, und loben Filmemacher für Dinge wie komplexe Figurenführung, treffsichere Dialoge, brillant konstruierte Konflikte und eine clevere Erzählstruktur, wenn all das schon vorhanden war, bevor der Regisseur mit seiner Arbeit überhaupt angefangen hat.
Die Lorbeeren, die Guillermo Arriaga darum eigentlich zustanden, hat vor allem sein langjähriger Weggefährte Alejandro Gonzales Inarritú geerntet. Bei diesem Namen klingelt es vermutlich schon bedeutend lauter, denn mit seinen Adaptionen von Arriagas Drehbüchern zu "Amores Perros", "21 Gramm" und "Babel" hat sich Inarritú als einer der bedeutendsten und bekanntesten Arthouse-Regisseure der Welt etabliert. Und auch der alte Haudegen Tommy Lee Jones legte mit "Three Burials" vor ein paar Jahren ein höchst bemerkenswertes Regiedebüt nach einem Arriaga-Skript vor - für welches das Lob wieder vor allem an den Mann auf dem Regiestuhl ging.
Ehre, wem Ehre gebührt, mag sich Arriaga gedacht haben, und übernahm bei "Auf brennender Erde" erstmals selbst die Regie eines Spielfilms nach eigenem Drehbuch. Zum großen, ruhmhaften Durchbruch hat es trotz beachtlicher Starbesetzung trotzdem nicht gereicht. Und das liegt nicht nur daran, dass Arriaga einfach kein so guter Regisseur wie Inarritú und Jones ist, sondern auch daran, dass "Auf brennender Erde" im außergewöhnlich hochwertigen Gesamtwerk Arriagas seine bisher schwächste Geschichte ist.

Dass diese Geschichte leider zu lange braucht, um richtig ins Rollen zu kommen, liegt bei "Auf brennender Erde" wiederum an ihren typischen "Arriaganismen". Wie in jedem seiner bisherigen Drehbücher präsentiert Arriaga auch hier verschiedene Handlungsstränge, deren Verbindung zueinander (sowie ihre genaue chronologische Abfolge) erst einmal unklar bleibt, bis dem Publikum im Laufe des Films klar wird, wie das alles zusammenpasst. So beobachtet man hier drei Geschichten, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben: Da ist die Restaurantmanagerin Sylvia (Charlize Theron), die im US-Bundesstaat Oregon an der Pazifikküste lebt und hinter ihrem bildhübschen Gesicht eine gepeinigte Seele verbirgt. Wahl- und zahllose Sex-Affären ebenso wie selbst zugefügte Verletzungen sind Sylvias so verzweifelte wie sinnlose Versuche, den Schmerz in ihrem Inneren zu betäuben. Nur: Was ist das für ein Schmerz, und wo kommt er her? In der Wüste von New Mexico beginnt die Hausfrau und Familienmutter Gina (Kim Basinger) aus leidenschaftlicher Liebe eine Affäre mit dem Immigranten Nick (Joaquim de Almeida) - eine Liaison, die tragisch enden wird, denn die beiden kommen schließlich ums Leben, als ihr Liebesnest (ein Wohnwagen mitten im Nirgendwo der Wüste) in Flammen aufgeht. Das wird bereits in der ersten Szene des Films etabliert, so dass ein weiterer Handlungsstrang zeigt, wie Ginas älteste Tochter Marianna (die für "Winter's Bone" jüngst Oscar-nominierte Jennifer Lawrence) und Nicks Sohn (JD Pardo) dieses Ereignis zu verkraften versuchen. Und dann ist da noch das kleine Mädchen Maria, das in Mexiko lebt und seinen Vater zu verlieren droht, als dieser bei einem Absturz mit seinem Sprühflugzeug schwer verletzt wird.

Arriaga macht es seinem Publikum wirklich nicht leicht, und seinem Rezensenten auch nicht. Es ist im Prinzip unmöglich darüber zu schreiben, wovon "Auf brennender Erde" eigentlich handelt, denn dafür müsste man verraten, was die eigentliche Geschichte hier ist. Die kristallisiert sich aber erst so spät heraus, dass jegliche Andeutung dazu einem üblen Spoiler gleich käme. Zugegeben: Dieses Verwirrspiel mit dem Wissensstand seines Publikums vollführt Arriaga hier einmal mehr mit höchster Kunstfertigkeit. Wenn nach über einer Stunde endlich alle Teile des Puzzles nach und nach an ihre eigentlichen Plätze rutschen und dem Zuschauer bei einem an sich völlig banalen Dialogsatz der Atem wegbleibt, weil durch diesen einen Satz auf einmal alles klar wird, was vorher ein großes Fragezeichen war, dann kommt man nicht umhin zu bewundern, wie elegant und geschickt Arriaga einmal mehr sein Skript aufgebaut hat, um genau diese Wirkung zu erzielen.
Doch leider - und das ist das zentrale Manko von Arriagas Regie-Debüt - übertreibt er es auch mit diesem Spiel. So packend die Hauptfiguren der einzelnen Erzählstränge hier gezeichnet sind, so großartig die namhaften Darsteller agieren - man kommt als Zuschauer kaum umhin, sich lange Zeit zu Konzentration und Aufmerksamkeit zwingen zu müssen, denn für gut 70 Minuten sitzt man hier in einem Episodenfilm, der keinen Zusammenhang hat und in dem auch nicht sehr viel passiert. Da man es hier mit Arriaga zu tun hat, bleibt man brav geduldig in dem Wissen, dass da noch was kommen wird, wodurch alle Fragezeichen über Figuren, Motive und Querverbindungen der Handlungsstränge doch noch erklärt werden. Doch das frustrierende Gefühl, nicht zu wissen, was hier eigentlich genau vor sich geht, dauert bei "Auf brennender Erde" entschieden zu lange. Arriaga überreizt sein Blatt, zumal die schlussendliche Auflösung zwar einen großen, aber trotzdem keinen ausreichend heftigen emotionalen Punch bereit hält, der dieses Vorgehen rechtfertigen würde.

Kurz gesagt: Wie schon bei "21 Gramm" drängt sich auch hier ganz massiv die Frage auf, ob Arriaga seiner Geschichte mit dieser Fragmentierung wirklich einen Gefallen getan hat. Wenn man am Ende von "Auf brennender Erde" das Gesehene im Kopf neu zusammensetzt und die Stränge in ihre richtige chronologische Reihenfolge bringt, dann entsteht ein Film, der zwar wesentlich konventioneller erzählt ist, aber auch ein klares Thema, einen klaren zentralen Konflikt und einen klaren dramaturgischen Bogen hat. Es ehrt Guillermo Arriaga ungemein, dass er mit seiner Arbeit derart konsequent und immer wieder in Frage stellt, ob ein Film nicht auch anders (wenn nicht sogar besser) funktionieren kann als entlang solch klarer und konventioneller Linien. Es ist aber auch Arriagas größtes Problem, dass er es sich und seinem Publikum mit dieser Konsequenz manchmal schwieriger macht, als es sein muss. "Auf brennender Erde" bietet große Schauspielerinnen mit großen Namen und verfügte über ein Budget von 20 Millionen Dollar. Doch mit einer Geschichte, die anhand ihrer Struktur unmöglich zu vermarkten ist, ließ sich der Film in den USA nicht mal an der Arthouse-Front verkaufen, und er spielte nur knapp 200.000 Dollar an den Kinokassen ein. Wenn der Film nun eineinhalb Jahre später hierzulande gezeigt wird, dürfte es nicht besser aussehen.
"Auf brennender Erde" ist ein sehr gut gemachter Film. Er hätte nur leider noch besser (und erfolgreicher) sein können, wenn er nicht so sehr versucht hätte, anders zu sein.

Bilder: Copyright

9
9/10

Schön, das dieses Meisterwerk bei uns endlich eine kinoauswertung bekommt....grandioser Streifen!!!

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