Zero Dark Thirty

Originaltitel
Zero Dark Thirty
Land
Jahr
2012
Laufzeit
156 min
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Frank-Michael Helmke / 28. Dezember 2012

Eines der erstaunlichsten Dinge über diesen Film ist, wie schnell er entstand. Zwischen der Ermordung Osama bin Ladens am 2. Mai 2011 und dem Drehbeginn von "Zero Dark Thirty" lagen nicht einmal elf Monate. Und das bei einem Film, der sich rühmen kann, die jahrzehntlange Suche nach dem meistgesuchten Terroristen der Welt nicht bloß mit reichlich "kreativer Freiheit" nachzuerzählen, sondern etwas abzuliefern, Zero Dark Thirtydas einem authentischen Tatsachenbericht so nahe kommt wie das nur möglich ist, wenn man die Tätigkeit von CIA-Agenten dokumentiert, deren wahre Identität verschleiert bleiben muss. Drehbuchautor Mark Boal hat in den Wochen und Monaten nach diesem 2. Mai 2011 nicht viel geschlafen, während er mit klassischer journalistischer Recherche und vielen intensiven Interviews der direkten Beteiligten alle komplexen Einzelheiten und entscheidenden Wendepunkte dieser größten Terroristenhatz der Geschichte zusammentrug, bis hin zu einer detailgetreuen Wiedergabe des nächtlichen Navy SEALS-Einsatzes, bei dem bin Laden schließlich zur Strecke gebracht wurde (und dessen Start-Uhrzeit in Militär-Sprech - 0:30 Uhr - diesem Film seinen Titel gibt).

Das Drehbuch, das Boal aus all diesen Informationen schließlich erschuf, wurde von Kathryn Bigelow dann ähnlich virtuos umgesetzt wie bei der letzten Zusammenarbeit der beiden - "The Hurt Locker" - die sowohl Autor als auch Regisseurin ihren ersten Oscar eingebracht hat. Ein Triumph, der sich mit "Zero Dark Thirty" durchaus wiederholen könnte, ist den beiden doch erneut ein absolut außergewöhnlicher, bemerkenswerter und durchweg fesselnder Film gelungen, ein sowohl formal als auch inhaltlich mutiges und herausforderndes Werk.

Zero Dark ThirtyDass es Boal und Bigelow dabei gelingt, ihre Zuschauer trotz der immensen Laufzeit von zweieinhalb Stunden permanent im Bann zu halten, liegt auch daran, dass die beiden nicht davor zurückschrecken, ihr Publikum zu fordern und ständige Aufmerksamkeit zu verlangen. Anstatt die Zuschauer mit einer gängigen und gut greifbaren Einführung der zeitgeschichtlichen Zusammenhänge und der zentralen Figuren an ihren Stoff heran zu führen, werfen Boal und Bigelow sie einfach mitten rein. Ohne jegliche Orientierung bezeugen die Zuschauer gleich in der ersten Szene des Films das Verhör eines Terrorverdächtigen in einem der berüchtigten Geheimlager des CIA, jener quasi rechtsfreien Räume, an denen unter der Bush-Regierung die Informationsbeschaffung per Folter betrieben wurde. Dass die "guten" Amerikaner damals sehr wohl gefoltert haben, macht "Zero Dark Thirty" in dieser ersten Szene gleich mit aller Deutlichkeit klar - und gibt dem Publikum damit erstmal gehörig etwas zu verdauen, genauso wie seiner Hauptfigur. Denn auch die CIA-Agentin Maya (Jessica Chastain) ist bei diesem Verhör dabei und noch so frisch an ihrem neuen Einsatzort, dass sie unpassenderweise ihren besten Anzug trägt. Maya muss sehr mit sich kämpfen, um ihre Erschütterung über die bezeugten Foltermethoden herunterzuschlucken und dabei zu bleiben - immerhin wird dies jetzt ihr tägliches Brot werden.

Zero Dark ThirtyMaya ist das Rückgrat von "Zero Dark Thirty", eine von einer tatsächlichen CIA-Agentin inspirierte Figur, die in den folgenden acht Jahren zwischen dieser Eröffnungsszene aus dem Jahr 2003 und der schlussendlichen Tötung bin Ladens zur entscheidenden Jägerin des berüchtigten Terroristen wird. Und Maya ist ein absolutes Spektakel von einer Filmfigur. Einerseits erfährt man als Zuschauer in den kommenden zweieinhalb Stunden absolut nichts Persönliches über diese Frau - wo sie herkommt, was in ihrem Leben bisher wichtig war, oder warum sie sich derart obsessiv in die Jagd auf bin Laden verbeißt. Andererseits kann man trotzdem den faszinierenden Wandel dieser Frau mit ansehen, die am Anfang kaum ein Folterverhör bezeugen kann, und am Ende mit knallharter, entschlossener Kälte den Navy SEALS klar macht: "Bin Laden is there. And you're gonna kill him for me." Es ist ein mittelgroßes schauspielerisches Wunder, wie die unfassbar vielseitige Jessica Chastain diese Maya zum Leben erweckt. Man muss sich nachhaltig vor Augen führen, dass diese unnachgiebig verbissene, zu allem Entschlossene Jägerin von derselben Frau gespielt wird, die ein Jahr zuvor in Terrence Malicks "The Tree of Life" noch die ätherische Verkörperung von Güte und Gnade darstellte. Mit dieser grandiosen, atemberaubenden Vorstellung ist Chastain definitiv die Top-Anwärterin auf den diesjährigen Oscar als beste Hauptdarstellerin.

Zero Dark ThirtyMan muss wie gesagt gut aufpassen in den zwei Stunden die es dauert, bis "Zero Dark Thirty" sein Finale erreicht, wenn man halbwegs nachvollziehen können will, aus welch komplexem, kleinteiligem Puzzle Maya und ihre Kollegen schließlich die Spur erarbeiteten, die sie zu bin Laden führte. Es braucht diese Zeit um angemessen zu dokumentieren, wie schwierig und mühsam diese Arbeit war, welch frustrierende und erschütternde Rückschläge damit einhergingen. Es ist die große Leistung von Kathryn Bigelow, dass das Zuschauen in dieser Zeit trotzdem nicht anstrengend und der Film nicht statisch wird, sondern die Inszenierung durchweg einen subtilen, aber entschiedenen Vorwärtsdrang vermittelt, eine Spannung und Rastlosigkeit aufrechterhält, die Mayas unstillbaren inneren Antrieb widerspiegelt: Das hier ist noch nicht zu Ende. Es geht weiter. Es muss weitergehen. Wir sind noch nicht am Ende.

Dieses Ende dann ist mit der größte Triumph von "Zero Dark Thirty" und dem unbedingten Willen von Boal und Bigelow, mit ihrem Film so nah wie irgend möglich an den Tatsachen zu bleiben. Man konnte damals im Mai 2011 ja schon so einiges lesen über bin Ladens Geheimversteck und wie die Kommandoaktion der Navy SEALS ablief. Hier nun kommt die bis ins kleinste Detail nachgestellte Dokumentation dazu. Damit auch alles stimmt, baute das Produktionsteam das Anwesen 1:1 nach und erzeugte so die Möglichkeit für einen Grad an "Echtheitsgefühl" in dieser Sequenz, Zero Dark Thirtydas schon fast beängstigend ist - so kühl, kalkuliert und sachlich agieren die Soldaten während des Einsatzes. Auf die damals kontrovers diskutierte Frage, inwieweit bei dem Einsatz versucht wurde, bin Laden lebend zu fassen, liefert "Zero Dark Thirty" übrigens eine sehr eindeutige Antwort. 

Das ist einer der Punkte, warum der Film - trotz Lobeshymnen seitens der Kritiker - in den USA etwas gespalten empfangen wurde und es Boal und Bigelow auch schwer fiel, den Film überhaupt zu finanzieren (schlussendlich mussten sie selbst eine Produktionsfirma gründen, weil sich niemand mit diesem Projekt die Finger verbrennen wollte). Denn natürlich ist "Zero Dark Thirty" trotz aller nüchternen Faktenwiedergabe ein sehr politischer Film, der ohne Beschönigung darlegt, wie die USA gerade unter der Bush-Regierung mit ihren Terrorverdächtigen umsprang. Und der unterschwellig, aber deutlich hervorhebt, dass diese Folter-Methoden letztlich zu nichts geführt haben. Die entscheidenden Durchbrüche gelingen Maya und ihren Kollegen mit einer Mischung aus klassischer Spionagetätigkeit und modernster Überwachungstechnik. 


Ebenso wie Maya für ihren unbedingten Durchhaltewillen am Ende belohnt wurde, könnte es sich auch für Bigelow und Boal gelohnt haben, dieses Projekt gegen alle Widrigkeiten durchzuziehen. Schon jetzt werden beide als heiße Kandidaten für die diesjährigen Oscars gehandelt. Der einzig naheliegende Grund, warum sie dort nicht triumphieren sollten, wäre ein Widerwille bei der Oscar-Akademie, die beiden nach "The Hurt Locker" für ihren nächsten Film gleich schon wieder auszuzeichnen. Das ist ein Grund, aber kein Argument. "Zero Dark Thirty" wäre ein würdiger Preisträger für Film, Regie, Drehbuch, Kamera und Austattung. Mindestens. Und vor allem natürlich für die beste Hauptdarstellerin. Denn es ist auch der herausragenden Leistung von Jessica Chastain zu verdanken, dass dieser Film mit seinem weltbewegenden, fast epischen Thema mit einem Moment endet, wie er intimer, emotionaler und persönlicher kaum sein könnte.

Bilder: Copyright

10
10/10

Toller Film!

Kam heute in der Sneak-Preview und ich war begeistert! Trotz langer relativ ruhiger Phasen durchweg spannend, gut gespielt, toll inszeniert, sehr realistisch und informativ. Kann ich wirklich nur empfehlen.

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@Hartmut
junge junge, ich habe ja nichts gegen das kritische Hinterfragen von vorgeblichen fakten, aber in der entfaltung deines eigenen geschichtsbildes solltest du vl auch ein wenig kritischer sein. die von dir genannte seite macht nämlich genau das - sie konstruiert ein Bild
(Zitat: "NWO Neue Weltordnung
Alle bisher aufgeführten Themen und viele weitere lassen sich in ein Plan einordnen, welcher von elitären Kräften geplant wurde und wird. Dieser Plan zieht sich durch alle relevanten für eine Umsetzung relevanten Bereiche: Politik, Wirtschaft, Massenmedien."),
das ziemlich simpel und unrealistisch ist! Jedenfalls wesentlich simpler als das von den verpönten Massenmedien verbreitete und durchaus auch vielfältige Bild. Von kritischen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mal ganz zu schweigen...
Was mich generell an diesen Verschwörungstheorien stört ist die Annahme eines "jahrhundertealten", weltumspannenden Planes, zur Kontrolle der Menschheit, ausgearbeitet von einer kleinen (oft auch jüdischen ;-)) Elite. Dabei wird der Konstruktionscharakter dieses Geschichtsbildes völlig verschleiert und nicht hinterfragt, wodurch die Erlangung eines reflektiven Geschichtsbewusstseins, dass sowohl Kontinuitäten als auch Sprünge in der Geschichtete aufzeigt und sich seines eigenen Standpunktes jederzeit bewusst ist, unmöglich wird. Das ist ärgerlich. Gefährlich wird es an der Stelle, wo einfache Feindbilder (USA - "Ami-Quatsch"!, Juden, Presse..was auch immer) konstruiert und handlungsleitend werden!
Schöne Grüße

PS: Sry, zum Film kann ich nichts sagen...

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1
1/10

wie kann man solch einen film derartig gut bewerten, bzw. behaupten, so wars wirklich mit obl?

das ist propaganda-schund wie einst pearl harbor!

und dann die islamische seebestattung (köstlich) die gibt es im islam überhaupt nicht.

obl und speziell al kaida sind cia-konstruktionen auch heute noch, in mali feind in syrien freund. der zynische westen - gibt da nen netten bericht von jürgen todenhöfer: http://www.fr-online.de/politik/al-kaida-in-mali-und-syrien-die-terror-…

es kommen aber demnächst 2 filme, die andere sichtweisen aufzeigen. harodim und september morn! gesehen hab ich die noch nicht, also keine bewertung.

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9
9/10

@tiki taka:
Wie kann man einen Film derart zerreißen, ohne ihn überhaupt gesehen zu haben? Wenn das hier wirklich "Propaganda" wäre, dann würde wohl kaum ausführlich auf die höchst kontroversen Foltermethoden eingegangen werden. Und was genau wird deiner Auffassung nach in diesem Film denn propagiert? Es gibt hier keinerlei Statement darüber, ob die USA mit ihrem Krieg gegen den Terror "im Recht" sind. Es wird schlicht rekonstruiert, wie bin Laden gefunden und getötet wurde. Oder willst du behaupten, dass das auch alles eine Inszenierung war und die Amis die ganze Zeit wussten, wo der Kerl steckte?
Und es hat auch nie jemand behauptet, dass es eine islamische Seebestattung gibt. Die Gründe, warum bin Laden auf See bestattet wurde (ansonsten in Einklang mit islamischen Bestattungsriten), sind damals bestens erläutert worden.

Du magst von der amerikanischen Politik ja halten, was du willst. Aber der Anti-USA/Propaganda-Reflex, mit dem du hier auf einen Film einhämmerst, den du offensichtlich gar nicht gesehen hast, ist schlichtweg dümmlich. Und peinlich.
Dasselbe gilt im übrigen auch für Kollege Hartmut weiter oben. Aber auf den wurde ja schon angemessen reagiert.
Wenn ihr einen echten Propaganda-Film sehen wollt, dann guckt "Act of Valor" und regt euch darüber auf.

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1
1/10

der film, also als fiktion, mag durchaus gekonnt umgesetzt sein, ansonsten bleib ich bei meiner meinung.
obl und die ganze story ist eine lüge, so denkt aber eigentlich jeder der sich eingehend mit der ganzen thematik beschäftigt hat.
daher ist ihre uninformiertheit bzw. blindes vertrauen eher peinlich.

zur seebestattung aus der süddeutschen:

Ein Beamter sagte Journalisten, man habe sichergestellt, dass der Umgang mit der Leiche "im Einklang mit islamischen Praktiken und islamischer Tradition" gestanden habe. Das sei "etwas, das wir sehr ernst nehmen, und deshalb wird das in einer angemessenen Weise gehandhabt". Damit widerspricht sich der Regierungsbeamte allerdings selbst. "Seebestattungen gibt es im Islam eigentlich nicht", sagt Sonja Hegasy vom Zentrum Moderner Orient in Berlin.

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1
1/10

ach die water boarding szenen, sorry.

sie scheinen ja auf beiden augen blind zu sein, genau hier durch die darstellung wird folter doch quasi legitimiert.

die botschaft fürs schlafende volk ist doch hier völlig klar.

wie bei den sog. humanitären interventionen oder die demokratisierung (eher ankopplung an den dollar als weltleitwährung)soll der naive zuschauer diese methoden als dienlich, hilfreich oder förderlich (der großen sache)akzeptieren.

das gejaule vom pentagon ist doch ebenfalls nur ein schauspiel um den ganzen film möglichst kritisch wirken zu lassen.

dumm sind die schachbrett-strategen (lesen sie mal the grand chessboard) sicherlich nicht.

http://www.amazon.de/gp/aw/d/0465027261

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10
10/10

Fantastischer Film - tolle Rezension Herr Helmke!! Nur wofür ziehen Sie den einen Punkt ab??

Warum Bigelow nicht für den Goldjungen nominiert wurde, kann nur am Gewinn für The hurt locker liegen. Aber dass der Film auch bei Kamera und Ausstattung übergangen wird, ist mal wieder echtg ne Frechheit....

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@ Gast:

Also Psiram ist der Nachfolger von Esowatch. Die Macher dieser Seite wurden von mehreren Personen wegen Rufmord und Ähnlichem verklagt. Das sind nun welche der übelsten Schmierfinken, die ich mir vorstellen kann. Ein kleiner Tipp: wenn man bei der Google-Suche ganz oben erscheint, ist das kein Zeichen für besondere Qualität. Und schau, ob die Kommentare emotionsgeladen oder gefühlvoll sind.

Liebe Grüße

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8
8/10

@Denkmal! Vorsicht...immer an die oberste Direktive des geistig Gesunden denken: NICHT die Nazi-Verschwörungs-Trolle füttern! Man kann auch sinnvoller seine Zeit verschwenden. Bei einem guten Film, zB. :)

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10
10/10

Reingehen!

Bin begeistert. Heise hat unrecht. Ich könnte verkürzend sagen: 1 Std. Folterszenen, 1 Std. Krimipuzzle, 1/2 Std. Actionkino. Aber alleine die Kamerabilder sind pure Kunst. Der Film erlaubt dem Zuschauer auch eigene Schlüsse zu ziehen, auch das ist sehr selten geworden bei amerikanischen Filmen. Ich gebe zu, ich bin ein Kathryn Bigelow Fan.

P.S.: Beeilt Euch mit dem Kinobesuch: im Kino waren nur 5 Leute, ich fürchte der Film läuft nicht lange in unseren Kinos.

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9
9/10

Das Spannende an Bigelows und Boals Werk ist doch, dass sie sich dem immanenten Widerspruch aussetzen, zum einen ein tief propagandistisches Thema zu wählen, ohne aus der Propaganda, und sei die künstlerische Form noch so gut gewählt, herauszukommen; dass beide – sich dieser Unmöglichkeit des Entkommens bewusst – trotzdem diesem Thema annehmen, um es auf möglichst unpropagandistische Weise an den/die Zuschauer/in zu bringen. Die Frage nach dem Sinn, den Film überhaupt zu machen, bleibt damit natürlich vorerst unbeantwortet.
... Fetzen ...
1. Nach der Vorstellung meinte ein Freund zu mir: „ja; keine Frage; das ist Propaganda. Überleg dir mal, wie krank diese Nation sein muss, dass sie ihre Feinde nochmal auf der Leinwand umbringen muss!“ Zumindest scheint es so ...
2. Sicher, das ist nicht von der Hand zu weisen; hier findet zutiefste Selbstbestätigung einer von ihrem greifbaren Feindbild befreiten und, weil auf Konfrontation ausgerichteten, jetzt (scheinbar) orientierungslosen Nation statt (wenn man nur das Thema betrachtet, ohne auf die Form des Films zu schauen). Film wird hier zum Vehikel des eigenen Komplexes, immer im Kampf sein zu müssen, um durch Abgrenzung gerade zu wissen, wer man ist. Mag man psychologisch daraus machen, was man will! (Dass das Feindbild nicht der Islam als solcher ist, macht Bigelow eindeutig klar, mit der Betszene des CIA-Vorgesetzten; ihr geht es nur um die Verfolgung eines Symbols (und das Bin Laden eines ist, macht gerade die Darstellung des Netzwerkes deutlich), dessen Tötung scheinbare Erlösung versprechen soll (um die Black Box des 11. Septembers durchsichtig zu machen (vgl. die geniale Inszenierung des Anfangs)); womit es ihr nicht um Pauschalisierungen und vereinseitigende Erklärungen geht – d. h. in ihrem Grundtenor nicht um Propaganda geht, sondern um ein konkretes Fallbeispiel im Krieg Gegen den Terror – wenn auch einem zu großen Beispiel; oder, um den ganzen Wahnsinn, d. h. die unwirkliche Wirklichkeit dessen darzustellen, gerade das einzig angemessene?).
3. Zum anderen, und das ist wesentlicher, weil es ein Film ist, d. h. ein bewusst gestaltetes Kunstwerk, wird die von der Machart losgekoppelte, scheinbare Progagande des Kampfes (und damit ein grundfaschistoides Thema) gekleidet in Bilder und Gesten des Scheiterns – nicht nur in der letzten Einstellung. Sicher Zero Dark Thirty ist weniger zynisch als Hurt Locker; das ist vielleicht seine größte Schwäche, und doch zugleich seine Stärke. Zu sehr versucht er nachzustellen, wie es hätte gewesen sein können; doch zeigt sich in der Detailversessenheit die ganze Ambivalenz von Wirklichkeit. Zum Ende wird es quasi-dokumentarisch; zugleich: brilliant inszeniertes Spannungskino, das auch hier immer ethische Ambivalenz bewahrt (vgl. die Darstellung der Familie, worin nichts Respektloses zum Ausdruck kommt)! – Im Übrigen zur Ambivalenz: alle Gegenpropaganda der intellektuellen Feuilletonisten, die dem Film Rechtfertigung der Folter vorwerfen, würde ich nur sagen: die Frage besteht nur oberflächlich darin, dass die Darstellung der Folter und ihres Erfolgs zunächst eine reaktionäre Haltung Bigelows widerspiegelt; vielmehr waren die Szenen – und das lässt sich nur mit genauem Blick tun – in ihrer Darstellung, Haltung der Macher, Verortung im Gesamtfilm und als Ausprägung gesellschaftlichen Handelns (nicht nur Amerikas, dessen sollte man sich bewusst sein) zutiefst ambivalente Szenen, über die weder ein plattes: „da wird gerechtfertigt“, noch ein ebenso dümmliches: „da wird angeprangert“ gesagt werden kann. Vielmehr sollten die Szenen in die komplexen Fragestellungen des Films eingebetet werden. Z. B. wäre es überlegenswert, was ein Film, der so drastisch die Folter darstellt, zudem von einer Nation im Kampf erzählt (und die Folter ist ein Teil davon) und auf subtile Weise immer wieder das Thema des Gekauftwerdens (durch Geld) einstreut, was solch ein Film über den Zustand vorhandener (und nicht nur individual-ethischer) Gesinnung in moderner Globalisierung und der Konstruktion von (politischer) Welt sagt? D. h. u. a.: Wer ist wer und welchen Sinn machen Methoden in Form von Folter dann noch? Ambivalenzen und Differenzierung als Erklärungmuster sind die Folge; Antworten nur Perspektiven; Vereinseitigungen Propaganda – und genau in diesem Sinne widersetzt sich Bigelow jeglichen Vorwurfs der Propaganda; sie widersetzt sich den Antworten; stellt nur die Fragen; zeigt, was an der Oberfläche liegt (z. B. der Erfolg der Folter) ist niemals eindeutig (als Erfolg abzutun); aber wie gesagt: ihr Film ist durch sein Thema selbst ein Widerspruch.
4. Zurück dazu, dass der Feind nochmal auf der Leinwand, erneut und detailgetreu umgebracht werden muss. Irgendwie erinnert es mich an Werner Herzogs Dokumentation „The White Diamond“, wo er sagt: „In Pictures we trust“. Bilder erzählen uns die Wahrheit, erzählen uns, was wirklich ist, machen uns zu eben jenen, die die Bilder ernst nehmen und ihnen Glauben schenken, selbst wenn die Bilder (faktische) Unwahrheit erzählen. Die Wahrheit des Kinos, ob nun fiktives oder dokumentarisches, liegt eben gerade im Bild und nicht in Fakten; liegt in der unmittelbaren Erfahrung des vom Künstler Präsentierten. Bigelows Film ist eine makabere Bestätigung, dass die Bilder gebraucht werden, um durch die Erfahrung der Bilder versichert zu sein. Was gezeigt wird, ist verobjektiviert, ist ausgesprochen, wird von uns weg genommen, kann abgelegt werden, belastet nicht mehr. Kino wird zu einem Verdrängungsmechanismus, der dies paradox durch Vergegenwärtigung macht. In diesem Sinne ist dieser Film ein Statement zur derzeitigen Situation Amerikas, aber zugleich auch ein Fragen, ob dies angemessen ist. Statt Verdrängung, nur Vergegenwärtigung, schreit der Film. Daher, so mein Eindruck, die detailversessene Inszenierung und (mögliche) Rekonstruktion. Genauer soll hingeschaut werden; Auseinandersetzung ist gefordert; mit dem Versuch dem Ablegen der Vorurteile; dem Ablegen aller Propaganda; der Herauschälung der Ambivalenz von Wirklichkeit. Dass Bigelow sich aber klar auf die Seite der Amerikaner positioniert, unterläuft diesen Anspruch; deshalb kommt sie nicht aus der Propaganda heraus. Ihr Film ist das Gegenteil eines propagandistischen Machwerks, aber die Entscheidung für eine (politische) Seite, wenn auch in aller Ambivalenz dargestellt, ist Vereinseitigung im Sinne der Perspektive, der Blickrichtung. Damit ist der Film politischer, als er selbst es wahr haben will. Dass er sich dies nicht eingesteht, ist einerseits zwar nicht unaufrichtig, aber mutlos, andererseits bezieht er daraus gerade seine Uneindeutigkeit und damit seine rückwirkende Kraft auf den Zuschauer: er fordert auf zur Auseinandersetzung.

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1
1/10

Unverständlich, wie man mit so einem gefährlichen Halbwissen und Propagandaschnipseln einen Streifen wie diesen mit 9 Augen bewerten kann. 2 Daumen runter!

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7
7/10

Die Fakten waren bekannt und die Kontroversen rund um Folter, Spionagemethoden und US-Patriotismus lassen sich erfahrungsgemäß schwer in einem Hollywood-Film aufarbeiten. Insofern habe ich da auch gar nicht viel erwartet. Zudem fallen mir außer Geld auch keine Gründe ein, warum es diesen Film überhaupt geben muss. Folgerichtig ist der Film daher auch sehr zurückhaltend und beschreibend, als erklärend oder Stellung nehmend. Das Hauptaugenmerk liegt auf die Agentin Maya und der Schaffung einer beklemmenden und verstörenden Atmosphäre. Das gelingt, wenngleich die Person Maya bis zum Ende unnahbar und ihre Innerstes nicht erkennbar bleibt. Das Ende ist bekannt und überrascht doch. Anstatt eines berauschenden Actionfinales, ist die Erstürmung des Anwesens durch die Spezialeinheiten sachlich und tatsächlich bedrückend. Nimmt man die Fakten als gegeben hin, bleiben viele Fragen über Bin Laden, die Anschläge und seine letzten Monate. Insgesamt eine tolle Jessica Chastain und Kathryn Bigelow, die es immer wieder schafft, eine fesselnde Atmosphäre zu schaffen.

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