Midnight in Paris

Originaltitel
Midnight in Paris
Land
Jahr
2011
Laufzeit
95 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Simon Staake / 18. Juli 2011

Woody Allens Karriere der letzten Jahre ist so ein bisschen wie David Bowies Karriere nach den Siebzigern. Über Jahre war es ein Running Gag, jedes halbwegs akzeptable Bowie-Album nach den Nadir-Jahren in den mittleren und späten Achtzigern als "das beste Album seit Scary Monsters" zu bezeichnen, was dann mit jedem darauffolgenden Album wiederholt wurde. Ähnlich verhält es sich, wenn bei jedem zumindest nicht katastrophalen neuen Werk von Woody Allen davon geredet wird, dies sei "der beste Woody Allen seit Jahren". Wobei das angesichts von Allens Arbeitswut und der dabei in den letzten Jahren angehäuften Reihe an schwachen Streifen ("Scoop", "Cassandras Traum", "Vicky Cristina Barcelona", "Ich sehe den Mann deiner Träume") vielleicht sogar stimmt, denn zumindest der beste Film seit "Match Point", Allens London-Remake des eigenen "Verbrechen und andere Kleinigkeiten", ist "Midnight in Paris". Womit eben nicht gesagt wird, dass dieser Film jetzt eine Rückkehr zur meisterhaften Form des ehemals brillanten Allen ist, sondern inmitten der Mittelmäßigkeit, die Allens Werk jetzt seit mittlerweile mindestens einer Dekade bestimmt, ein kleiner Ausreißer nach oben. Und das ist ja erfreulich genug.

Dabei fängt "Midnight in Paris" Allen-typisch an, was mittlerweile nicht mehr als Kompliment gemeint ist. Postkarteneinstellungen der bekanntesten und romantischsten (so behauptet man) Plätze in Paris werden gezeigt, das soll wohl an den legendären Auftakt von "Manhattan" erinnern. Aber im Gegensatz zu seiner magischen Hommage an die eigene Heimatstadt bleibt das Paris, was Allen hier zeigt, dem klischierten Blick des Touristen verhaftet, nicht dem eines Stadtkenners. Nach diesem wenig Mut machenden Anfang werden uns die Protagonisten vorgestellt. Und auch hier ist man erstmal nicht sicher. Als Woody-Substitut dient hier Owen Wilson als Drehbuchautor Gil Pender, der mit seiner verlobten Inez (Rachel McAdams) in Paris ist, wo sie sowohl Inez' konservative Eltern (Kurt Fuller und Mimi Kennedy) als auch den alten Familienfreund und Kunstkenner Paul (Michael Sheen) treffen, der sich als unausstehlicher Besserwisser entpuppt. So weit, so typisch, diese Bilder der Bourgeoisie, in die sich Gil nur schwer einfügt.
Nachdem die erste Viertelstunde also alles tut, um sich problemlos ins mediokre Allensche Spätwerk einzuordnen, wird es schlagartig besser, sobald man zum Clou der Geschichte kommt, der den Film zu einem Cousin von "The Purple Rose of Cairo" macht: Entnervt und ein wenig beschwipst beschließt Gil, zu Fuß den Weg zum Hotel anzutreten. Natürlich verläuft sich der etwas verpeilte Gil, aber als die Uhr Mitternacht schlägt, hält plötzlich ein Oldtimer, um ihn mitzunehmen. An Bord: F. Scott Fitzgerald und seine Frau Zelda (Alison Pill). Jawohl, magisch wurde Gil ins Paris der 1920er Jahre transportiert und trifft dort im aufregenden Nachtleben den Kreis der Künstler jener Epoche, von Hemingway (Corey Stoll) über Picasso (Marcial Di Fonzo Bo) bis zu Gertrude Stein (Kathy Bates). Noch viel wichtiger: Er trifft auch die bezaubernde Adriana (Marion Cotillard), in die er sich mehr als nur ein bisschen verguckt. Aber kann eine Romanze in einer nur nach Mitternacht bestehenden Welt Bestand haben?

Woody Allen macht ja schon lange keine Filme mehr über Charaktere, die mit ein bisschen guten Willen als realistisch durchgehen, er macht Filme über Karikaturen. Und hier ist der Punkt, wo sich dann die guten Filme des späten Woody von den weniger guten unterscheiden: Wie geht er mit den Karikaturen um? Karikaturen, die realistisch sein sollen, aber nur klischiert sind: schlecht (siehe: "Vicky Cristina Barcelona"). Karikaturen in einem Karikatur-Universum, wie etwa "Sweet And Lowdown"? Gut. In "Midnight in Paris" gibt es beide Arten von Karikaturen nebeneinander, fast als wolle er das in "Melinda & Melinda" erforschte Konzept der Dualität erneut konzeptuell nutzen.
Hier kann man eine einfache Rechnung aufmachen: Fantasiewelt = gute Karikaturen, reale Welt = schlechte Karikaturen. Die Stars und Persönlichkeiten des Paris der 1920er Jahre werden mit Lust an der Übertreibung und dem Chargieren gespielt, sind aufgrund des Fantasy-Aspekts bzw. des magischen Realismus aber entschuldigt. Hier hat man Spaß, weil auch die Stars Spaß haben, allen voran Adrien Brody in seinem Cameo als Salvator Dali ("Rhinozeros!"). Was "Midnight in Paris" daher ein wenig schadet, ist der große tonale Unterschied zwischen den magischen Nachtepisoden und dem mondänen Tagesgeschehen. Während Gils Abenteuer im Paris der wilden Zwanziger bei aller Albernheit wirklich witzig und unterhaltsam daherkommen, werden die Tagesszenen im modernen Paris wieder mal von den krassen Klischees sabotiert. Sämtliche Gil umgebende Charaktere sind so derbe Karikaturen (der arrogante Besserwisser, das dumme reiche Mädchen, die konservativen, xenophoben Eltern), dass man zwar verstehen kann, warum es ihn in die Fantasiewelt der nächtlichen Abenteuer treibt, aber nicht, warum er überhaupt mit der fürchterlichen Inez zusammen ist.
Diese Figur der Inez ist auch ein weiteres Beispiel für einen bedenklichen Allen-Trend: Was Allen nämlich nicht mehr hinbekommt, und das ebenfalls seit mittlerweile vielen Jahren, sind realistische und vielschichtige Frauenfiguren. Dass ausgerechnet der Autor, der Diane Keaton und Mia Farrow Traumrollen auf den Leib schrieb und gerade in den Achtzigern mehr gute Frauenrollen vereinte als irgendwer sonst, dies jetzt nicht mal mehr im Ansatz hinbekommt, ist ein wenig traurig. Aber mittlerweile scheinen Frauen für Allen nicht mehr mehrdimensionale Geschöpfe zu sein, sondern werden auf Stereotypen reduziert: die schrille Schreckschraube (Inez), die naive Träumerin (Adriana), das nette Mädchen von Nebenan (Gabrielle, gespielt von Léa Seydoux).
Tiefgründig ist das alles nicht wirklich, muss es aber auch gar nicht sein. Bei den kritisierten Filmen Allens der letzten Jahre hieß es zur Verteidigung meistens, es handle sich doch nur um einen leichten Unterhaltungsfilm, da solle man nicht zu hart urteilen. Mit "Midnight in Paris" hat Allen hier nun wirklich einmal einen leichten Unterhaltungsfilm abgeliefert, der kaum mehr will, als kurzweilig einer Epoche und ihren künstlerischen Helden ein Denkmal zu bauen. Das kann er, das schafft er, damit ist man zufrieden. Fürs Erste.

"Ich glaube, ich habe eine kleine Einsicht" sagt Gil gegen Ende des Films. Diese Einsicht besagt, dass jedes Zurückwünschen in ein früheres goldenes Zeitalter letztlich illusorisch ist und bleiben muss. Einzig, glauben will man es diesem Film - der es sich in den vergangenen Epochen so gemütlich eingerichtet hat - nicht so recht. Natürlich ist das von Allen hier dargestellte Paris der 1920er sehr viel interessanter und schöner als das der Gegenwart - schließlich hat Allen es fast unglaubwürdig voll gestopft mit sämtlichen irgendwie einsetzbaren Künstlerfiguren. Und weil diese Zweiteilung nun mal so deutlich ist, erscheint diese Einsicht eher konventionellem Plotting geschuldet, denn so muss man sich auch nicht mit der Langlebigkeit oder überhaupt der Mechanik der magischen Mitternachtswelt auseinandersetzen.
Und so bleibt uns am Ende dieses charmanten und amüsanten Soufflé von einem Film auch eine kleine Erkenntnis: Das Zurückwünschen in das frühere goldene Zeitalter des Woody Allen ist illusorisch und muss es wohl bleiben. Die Zeit der Meisterwerke ist wohl endgültig vorbei. Solange er uns aber unsere Kinoabende so annehmbar wie mit "Midnight in Paris" versüßt, nehmen wir wie Gil die Gegenwart und hoffen auf das Beste für die Zukunft.

Bilder: Copyright

Großartige Rezension! Auch wenn Woody Allen nicht zu alten Höchstformen auflaufen mag, auf Herrn Staake kann man sich doch immer wieder verlassen...

Freue mich nun seeehr auf "Midnight in Paris". Danke.

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