
Peter Jackson lässt sich mittlerweile Zeit. Nachdem "King Kong" der "Herr der Ringe"-Trilogie als lang gehegter Kindheitstraum noch stante pede folgte, dauerte es nun fast vier Jahre für das Nachfolgeprojekt, für das sich Jackson eines ganz besonderen, auf den ersten Blick für ihn auch ungewöhnlichen Stoffs angenommen hat. Alice Sebolds Roman "The Lovely Bones" (der schon als Buch den eher flachen deutschen Titel "In meinem Himmel" trug, dieser ist also ausnahmsweise nicht auf den Mist des Filmverleihs gewachsen) erzählt in der Stimme der 14-jährigen Susie Salmon (im Film dargestellt von Ronan Saoirse, nach "Abbitte" erneut bemerkenswert) den eigenen Sexualmord und die Ereignisse danach, etwa wie die Familienmitglieder trauern und Susie selbst aus dem Jenseits beobachtet, wie sich ihr Vater (Mark Wahlberg) und ihre Mutter (Rachel Weisz) in der Trauer entzweien und ihr Mörder (furchteinflößend trotz einiger Klischees: der hier kaum zu erkennende Stanley Tucci) schon sein nächstes Opfer aussucht.
Schwierige Kost also, die sich Jackson da vorgenommen hat, und an der er leider scheitert. Dieses Scheitern hat viele Gründe, einer der wichtigsten ist aber, dass Jackson offenbar in seiner Version von "In meinem Himmel" etwas ganz anderes wollte als Frau Sebold. Diese verarbeitete hier wie schon in ihrem Romandebüt "Lucky" ("Glück gehabt") die am eigenen Leib erlebte brutale Vergewaltigung während der Studentenzeit. Wenn man dies weiß und dann im Film feststellt, dass diese Vergewaltigung weder gezeigt noch überhaupt angedeutet wird, vermutlich um die milde Altersfreigabe nicht zu gefährden, ahnt man schon, dass Buch und Film hier doch deutlich unterschiedliche Wege gehen. Das Problem dabei: Das Drehbuch von Jackson und seinen üblichen Mitstreiterinnen, Ehefrau Fran Walsh und Philippa Boyens, bringt mit diesen Veränderungen keine Verbesserungen ein, vielmehr bleibt vieles unvollkommenes Stückwerk, was sich in sich abwechselnden, dabei aber stilistisch und tonal diametral gegenüberstehenden Sequenzen niederschlägt.
Die Tonalität des Films ist eine einzige Katastrophe. Jackson hat die dubiose Errungenschaft geleistet, einen Film über den brutalen Mord an einem Teenager zu machen, dem es fast vollständig an Emotionen fehlt. Statt philosophischem Nachdenken über Leben und Sterben zeigt er das Jenseits als einen farbenfrohen, kitschigen Abenteuerspielplatz. Das Aufziehen der Geschichte als eine Art übernatürlicher Krimi funktioniert noch am Besten, aber das ist schmales Lob. Und als wären die miteinander kaum kompatiblen Stimmungen und Darstellungen von Jenseits und Diesseits nicht schon unterschiedlich genug, entblödet sich Jackson nicht, eine völlig unpassende Comedypause einzulegen, wenn die trinkfeste Oma Salmon (Susan Sarandon) zu Besuch kommt, um der trauernden Familie auf die Beine zu helfen. Dass Susan Sarandon hier als comic relief ordentlich Spaß haben darf, ist schön für sie und wäre es in einem anderen Kontext auch für uns Zuschauer. Aber eine fröhlich zu ""Long Cool Woman in a Black Dress" vor sich hin hoppelnde Montage, in der die angeblich hilfreiche Oma das verbrannte Essen mit Wasser aus der Blumenvase löscht und nach Fehlbedienung der Waschmaschine einen ganzen Raum unter Seifenschaum setzt, hat - auch wenn sie so auch in der Vorlage auftaucht - in diesem Film schlichtweg nichts zu suchen. Jackson hat so viel verändert, aber ausgerechnet dieses unpassende Element musste er behalten.
Apropos unpassend: Gehässig gesprochen könnte man schon auf die Idee kommen, dass ein brutaler Mord nach Vergewaltigung doch eigentlich gar nicht so schlimm ist, [Achtung Spoiler!] wenn man sich denn in Geisterform doch noch den nicht geschafften ersten Kuss abholen kann, Mama und Papa sich dann doch wieder verstehen und man mit seinen neuen Freundinnen aus dem Club der "vom selben fiesen Killer Ermordeten" durch ein schön bunt-lauschiges Jenseits flanieren kann [Spoiler Ende]. Dass einem dieser böse Gedanke kommt, hat viel mit den widersprüchlichen Signalen zu tun, die Peter Jackson hier sendet. Der alles erschlagende Kitsch der Jenseitssequenzen und vor allem das nicht unbedingt im positiven Sinne denkwürdige Ende, das einem eine falsche Erlösung vorgaukelt, die zwar für die Teenagerprotagonistin Sinn macht, aber nicht für den Zuschauer. Dass etwa die Susie des Buches ihrem Mörder vergibt, weil sie in seine Kindheit reisen und seinen eigenen Missbrauch miterleben kann, fällt hier vollkommen weg. Stattdessen folgt der Film ein wenig dem "Ghost"-Prinzip, Susie will mit ihrer Familie in Kontakt treten, um den Mörder zu entlarven.
Anstatt der freien Assoziation des Buches begibt sich Jackson also auf ausgewiesene Genrepfade, würzt dazu die Jagd auf George Harvey, den Mädchenmörder, mit klassischen Spannungsmomenten. Aber auch in diesem Sinne bleibt "In meinem Himmel" unausgegoren, denn wenn Jackson schon das Hauptaugenmerk auf die Krimiaspekte legt, sollte die Auflösung der Story doch mehr mit den in diese Richtung unternommenen Aktionen im Film verbunden werden. Viel Aufbau, wenig Auflösung, könnte man sagen, stattdessen wird das Publikum mit einer halbgaren Pointe abgespeist, die wohl ironisch sein soll, aber eher albern anmutet.
Immerhin: Gerade die Thrillerelemente, die Jackson im Gegensatz zur Vorlage ausbaut, sind zumindest spannend, wenn auch konventionell umgesetzt. Susies Jenseitsreisen versinken dagegen in Pathos, das ebenfalls manchmal unfreiwillig komisch wirkt. Und sie sind der beste Beweis, dass Jackson sich schon immer für seine Effekte mehr interessiert hat als für seine Figuren. Böse Zungen sagen dies ja gerne dem Kollegen James Cameron nach und diese Diskussion wurde angesichts von "Avatar" wieder angefacht, aber Cameron ist zumindest immer effektiv in der Nutzung seiner Figuren, so schablonenhaft sie auch gezeichnet sein mögen. Diese Effektivität geht Jackson dagegen völlig ab, zumindest hier.
Wer sich also zurecht fragt, ob Jackson nun der richtige Mann ist für eine intime Meditation über Leben und Tod und wie Menschen damit umgehen, dem beweist er hier eindeutig: Ist er nicht. Sein Desinteresse an Zwischenmenschlichem und an Zwischentönen wird überdeutlich. Und wer hier dann "Heavenly Creatures" als Kronzeugenargument für die sensible Prägung des Regisseurs und sein somit durchaus vorhandenes Potenzial für diese Art Geschichte anbringen möchte, dem sei gesagt: Kritisch gesehen ist Jackson dort doch fast ganz ähnlich vorgegangen, die Szenen in der realen Welt standen in einem krassen Missverhältnis zu den Fantasyszenen, denen seine ganze Aufmerksamkeit galt. Deswegen müssen wir es so hart konstatieren: Peter Jackson ist nicht der große, persönliche Erzähler, als der er sich selbst gerne sehen würde. Er ist ein Regisseur für Spezialeffektfilme. Das reicht nicht für kompliziertes, feine Nuancen forderndes Material wie "In meinem Himmel". Stattdessen ertränkt Jackson alle Nuancen in wahlweise Sentimentalität und Kitsch oder Thrillerstereotypen, deren Akzeptanz sich der Film schlichtweg nicht verdient.
Dementsprechend macht auch die Erklärung für den Originaltitel des Romans (und Films) auf den Film bezogen keinen Sinn mehr: Am Ende erklärt Susie, nachdem sie das Schicksal der von ihrem Tod Betroffenen geschildert hat: "These were the lovely bones that had grown around my absence: the connections - sometimes tenuous, sometimes made at great cost, but often magnificent, after I was gone". Einzig: Genau dies unterschlägt uns Jackson, diese "lovely bones", diese Verbindungen zwischen Menschen. Die Beziehungen der anderen Figuren bleiben merkwürdig konturlos oder gar nicht existent. Gerade die gemeinsame Trauer bleibt völlig auf der Strecke, stattdessen wählt Jackson Bilder, die Susies Aussage konträr gegenüberstehen: Der Vater vergräbt sich im Hobbykeller und Detektivarbeit, die Mutter verschwindet, die Schwester scheint ihre Trauer im Sport abzureagieren. Alle sind eine eigene Insel, bleiben allein.
Als die Schwester sich dann verliebt oder das Ehepaar sich erst entzweit, dann wieder verträgt, muss man das so hinnehmen, nachvollziehen kann man es kaum, denn Jackson findet nicht nur die falschen Bilder, sondern auch keinen Zugang. So können auch Rachel Weisz und Mark Wahlberg (im ständigen Kampf gegen ein lächerliches Toupet) ihre Sache nur so gut machen, wie es eben geht, und das ist nicht so sehr. Der Film gibt ihnen trotz Überlänge schlichtweg nicht den Raum oder die Möglichkeit, Trauerprozesse wirklich zu zeigen oder gar spürbar zu machen. Die Trauer wird in den naheliegendsten, plakativsten Szenen kurz abgehandelt, stattdessen kann es Jackson kaum erwarten, schnell zum nächsten großen CGI-Fest in Susies Himmel zu kommen oder aber den düsteren Machenschaften von Herrn Harvey zu folgen.
So wird das Vorangehen der Zeit überhaupt nicht deutlich - schließlich vergehen im Laufe der Geschichte mehrere Jahre - und manche Szenen lassen einen komplett ratlos zurück. Wenn etwa Mutter Abigail ihren Mann und ihre Familie verlässt, um ihre Trauer zu verarbeiten, fragt man sich: Was hab ich da verpasst? Ganze Sequenzen scheinen hier zu fehlen, während sich im Gegensatz dazu manche Jenseitssequenz ins Belanglose und scheinbar Endlose zieht. Auch als Abigail dann plötzlich zurück kommt, muss man sich fragen: Warum jetzt? Was hat sich geändert? All diese Antworten unterschlägt Jackson einem, ach was, er stellt nicht mal diese Fragen. Und das, obwohl es Zeit und Raum genug gegeben hätte, da es eigentlich keinen triftigen Grund dafür gibt, warum "In meinem Himmel" statt angemessenen anderthalb über zwei Stunden laufen muss. Daher muss man wohl konstatieren: Es interessiert Jackson schlichtweg nicht.
"In meinem Himmel" verdeutlicht wie durch eine Lupe die Schwächen des Peter Jackson, die auch in vorherigen Filmen mal mehr, mal weniger deutlich vorhanden waren: Der Hang zu Klischees, sowohl inhaltlicher als auch visueller Art; die zeitweise arg große Vorliebe für Kitsch und der ausholende, bisweilen enervierend langsame Erzählgestus, der noch jeden seiner Filme zumindest von der Laufzeit her in Richtung Epos drängte. Und am allerschlimmsten: Die mangelnde Fähigkeit, menschliche Beziehungen und Emotionen ohne Gimmicks und Spektakel darzustellen. Die so schönen wie falschen Bilder, die er hier zusammen getragen hat, sollte man - wer sich denn von dem inhaltlichen und strukturellen Chaos wirklich nicht abschrecken lässt - dann schon im Kino sehen, zumindest eher als auf DVD. Aber ohne Herz und Hirn bleiben sie genau das, und nur das: Schöne, falsche Bilder.
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