Ein toter Autor, der posthum weltweit berühmt wird; ein Erbschaftskrieg um unvollendete Manuskripte; der Tote war ein Experte der Neonaziszene, der auch von Scotland Yard zu Rate gezogen wurde. Das reale Leben liest sich fast so spannend wie die Geschichten des schwedischen Schriftstellers und Journalisten. Stieg Larsson, dessen Millenium-Trilogie (im Deutschen unschön betitelt als die schwer auseinanderzuhaltenden "Verblendung", "Verdammnis" und "Vergebung") mittlerweile wohl fast jeder schon in der Buchhandlung bemerkt hat, starb 2004 an einem Herzinfarkt und konnte nur die ersten drei Teile einer auf zehn Teile ausgerichteten Buchreihe beenden. Ein wahres Drama für die Leser, da die Komplexität der Geschichte von Teil zu Teil zunahm und am Ende so viele Fragen offen bleiben mussten. Inwiefern aus Larssons Aufzeichnungen weitere Bücher gemacht werden, wer die Rechte an seinem Vermächtnis hat und wer eigentlich wofür verantwortlich war, sind Fragen, die die Presse seit Monaten genüsslich durchkaut. Die Filme sind da eine willkommene Abwechslung vom Kleinkrieg um Rechte und mögliche Fortsetzungen. Nachdem die Verfilmung des ersten Teils der Trilogie, "Verblendung", sowohl unvorbelastete Zuschauer als auch die Leser der Romane in ihren Bann schlug, kommt nun der nächste Teil, "Verdammnis", der wieder solide filmische Handwerkskunst zeigt, aber an einer großen Schwäche leidet: dem undankbaren Platz des zweiten Films von dreien. Die Handlung der Bücher spannt sich elegant und hochspannend bis zum dritten Teil, auf dessen Start das deutsche Kino-Publikum jedoch noch bis zum 3. Juni warten muss. Während "Verblendung" noch gut für sich allein stehen konnte, da er vorrangig wie ein "Whodunit" aufgebaut war, so übt Stieg Larsson in "Verdammnis" und dem dritten Teil in einem großen Handlungsbogen Kritik auf allen Ebenen der schwedischen Gesellschaft: hier werden osteuropäische Frauen wie Sklavinnen gehalten, Politiker sind korrupt, fast jeder ist käuflich und der gemeine Bürger kann sich nicht einmal auf die Institutionen verlassen.
Dem aus "Verdammnis" bekannten Journalisten und Mitherausgeber der kritischen Zeitung "Millenium", Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist) bietet ein junger Kollege eine heiße Story an: russische Mädchen werden in Schweden zur Prostitution gezwungen und von hochrangigen Politikern aufgesucht. Doch als der Journalist und seine Freundin tot aufgefunden werden, fällt der Tatverdacht auf Lisbeth Salander (Noome Rapace), eine junge Hackerin, die Mikael vor einigen Monaten bei einem Kriminalfall half. Diese wird nun in ganz Schweden gesucht, ihre aus Akten bekannte Vergangenheit medial ausgeschlachtet ("Irre lesbische Prostituierte auf Massenmordtrip!") und Mikael ist der einzige, der an ihre Unschuld glaubt und für sie kämpft. Dabei erfährt er mehr über Lisbeths entsetzliche Vergangenheit und beginnt ihre Unnahbarkeit zu verstehen. Gleichzeitig muss sich Lisbeth den Dämonen stellen, die sie seit ihrer Kindheit verfolgen.
Wie auch in "Verblendung" ist Noomi Rapace als Lisbeth wieder der Blickfang des Films, doch nun ist sie in den Mittelpunkt der Geschichte gerückt, die sie auch problemlos tragen kann. Lisbeth ist die wohl interessanteste Frauenrolle der jüngeren Thrillergeschichte und Rapace spielt diese wunderbar unangepasst und eindringlich. Michael Nyqvist ist gewohnt gut, kann jedoch gegen Rapace nur bedingt glänzen. Es ist angenehm, dass hier weniger Wiederholungen eingesetzt werden (das Foto der verschwundenen Harriet wurde in "Verblendung" gefühlt nach jeder Szene eingeblendet) und die Handlung um einiges schneller voranschreitet. Die Atmosphäre ist weniger dicht, dafür steigt die Spannung schnell auf Fingernagelkauniveau. Gleichzeitig gibt es einige unsauber umgesetzte Stellen, an denen schon das Buch Schwächen zeigte: Wendungen, die schon dort unrealistisch erscheinen und mühsam im Text erklärt werden mussten, wirken hier noch um einiges realitätsferner. Trotzdem ist "Verdammnis" ein ordentlicher Thriller mit guten Schauspielern, Spannung und finsterer Geschichte. Die größte Schwäche ist tatsächlich, dass es sich hier um einen undankbaren mittleren Teil handelt, der bei buchgetreuer Umsetzung schlicht nicht als eigenständiges Werk funktionieren konnte.
Die Spannung der realen Geschichte geht übrigens weiter: Wem die schwedische Verfilmung der Trilogie nicht mundet, der bekommt in den nächsten Jahren ein vielleicht verdaulicheres Mahl: Sony hat sich vor kurzem die Rechte gesichert und plant eine Hollywoodverfilmung - und Schauspielerinnen wie Natalie Portman sollen Schlange stehen, um Lisbeth zu spielen.
|
Neuen Kommentar hinzufügen