Paris, je t'aime

Originaltitel
Paris, je t'aime
Land
Jahr
2006
Laufzeit
120 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Patrick Wellinski / 3. Juni 2010

Man kauft sich eine einzige Kinokarte und bekommt dafür Filme von Gus von Sant, Tom Tykwer, Wes Craven, den Coen-Brüdern, Alfonso Cuaron, Walter Salles und noch einigen mehr zu sehen. Unvorstellbar? Nein, die Kurzfilmkompilation "Paris je t'aime" macht es möglich und präsentiert 20 Filme von international anerkannten und geschätzten Regisseuren, die eigentlich nur eine einzige Vorgabe hatten: Einen Film in jeweils einem der Pariser Stadtteile zu drehen.

Obwohl jeder von ihnen nicht mehr als fünf Minuten zum Gesamtwerk beiträgt, können viele der Regisseure eindrucksvoll ihre ganz eigene Handschrift hinterlassen. Dabei wundert man sich oft, wie manche der Filmemacher geschickt mit den Klischees ihrer Arbeit spielen. Ein Beispiel: Wes Craven gilt gemeinhin als profilierter Horrorregisseur. Die wenigsten Leute würden von ihm einen leichten, lakonisch-melancholisch inszenierten Ehestreit erwarten, doch genau das behandelt Cravens Beitrag "Père-Lachaise". Vielleicht - und da ist er dann doch wieder ganz bei seinen Wurzeln angelangt - ist der Ort der Handlung wieder typisch für ihn. Das Pärchen verkracht sich nämlich auf dem Pariser Friedhof.
Bevor man "Père-Lachaise" sieht, wird man Zeuge, wie im Beitrag von Vincenzo Natali "Quartier de la Madeleine" ein amerikanischer Tourist (Elijah Wood) von einem brutalen weiblichen Vampir angegriffen wird. sich dann aber in sie verliebt. Es ist ein düsterer, in Schwarz-Weiß gedrehter Kurzfilm, der immer mal wieder rotes Blut aufleuchten lässt (eine deutliche Anleihe an "Sin City").
Es gibt Filme mit wunderschönem schwarzem Humor, wie zum Beispiel die Episode "Tuileries" der Gebrüder Coen, in der ein amerikanischer Tourist (grandios gespielt von Steve Buscemi) den Rat seines Reiseführers, niemals in der U-Bahn die Menschen direkt anzugucken, nicht befolgt und prompt die Rache der Pariser zu spüren bekommt.
Die Kurzfilme sind gespickt mit großartigen, namhaften Schauspielern, die hier oft ohne Bezahlung mitspielten. Natalie Portman spielt eine Studentin, die sich in einen Blinden verliebt. Ein falsch verstandenes Telefonat der beiden führt dazu, dass der Mann um seine Beziehung fürchtet und sich nochmal an das erste Treffen erinnert. Tom Tykwer inszeniert diese Folge mit einer künstlerischen Leichtigkeit und Finesse, wie er es vielleicht seit "Lola rennt" nicht mehr geschafft hat.

So schön und visuell einfallsreich ist "Paris je t'aime" nicht immer. Es wäre naiv zu glauben, dass jeder Kurzfilm großartig geworden ist. Man bemerkt sofort, dass die Regisseure - so einfallsreich ihre Ansätze auch sind - meistens "nur" mit den gängigen Paris-Klischees spielen. Da kommt die Figur des amerikanischen Touristen dann besonders oft vor. Es ist ebenfalls auffällig, dass es keinen animierten Film gibt. Dabei wollte Regisseur Sylvian Chomet genau das abliefern. Aber er scheiterte an den zu hohen Produktionskosten und so musste der Macher von "Das große Rennen von Belleville" seinen ersten nicht-animierten Film drehen. Seine Episode "Tour Eiffel" schildert die aberwitzige und zutiefst berührende Liebesgeschichte zweier Pantomimen. Fünf Minuten, die man gesehen haben muss.
Da wirkt der Kurzfilm von Walter Salles mit dem Titel "Loin du 16ème" schon realistischer. Es ist ein präziser Blick auf eine Frau (wirklich umwerfend gespielt von Catalina Sondino Moreno), die nur "schwarz" arbeiten kann und noch ein Kind versorgen muss. Salles schaut auf die Untersicht der Metropole, ganz abseits der Touristen und frisch Verliebten. Es gibt Menschen, die auf der Straße nicht weiter auffallen, wenn sie neben uns im Bus oder an der Ampel stehen. Aber ihr Alltag ist um vieles gefährlicher und riskanter als unserer. Vielleicht ist diese beeindruckende Episode nur ein Vorgeschmack für einen ganzen Spielfilm. Genug Potential hat sie auf alle Fälle. Und ist das nicht das Beste was man über einen Kurzfilm sagen kann?
Es gibt sicherlich auch weniger gelungene Beispiele in "Paris je t'aime". Die ziemlich mühsam konstruierten Episoden der französischen Regisseure fallen da besonders negativ auf. Wahrscheinlich ist doch ein Blick aus einer gewissen Distanz nötig, um Paris in neuen Facetten zu zeigen.
Nick Nolte besucht eine viel jüngere Frau. Bob Hoskins ist auf der Suche nach seinem zweiten Frühling in einem Pariser Bordell. Willem Dafoe irrt als Cowboy durch die Straßen und spendet auf eine gruselige Art und Weise einer trauernden Mutter Trost. Das sind nur einige der tollen Eindrücke, die man in dieser Kurzfilmsammlung geboten bekommt. Und wenn Alexander Payne (der übrigens einen furiosen Gastauftritt in der Craven-Episode als toter Oscar Wilde hat) den Reisebericht einer Amerikanerin zeigt, die nicht mehr wirklich schlank und auch nicht mehr wirklich schön ist, und sie in einem Licht erscheinen lässt wie es vielleicht nur er kann, dann erkennt nicht nur sie, dass man zuerst das Leben lieben lernen muss, um dann sich und damit auch eine Stadt wie Paris lieben zu können.

Und wie soll man diese Kurzfilmkompilation nun bewerten? Es gibt Episoden, die verdienen ohne jeden Zweifel neun Augen, vielleicht sogar mehr. Dann gibt es aber auch Beiträge, die deutlich unter der Schmerzgrenze residieren und es schaffen, aus fünf Minuten gefühlte fünf Stunden zu machen. Diese sind aber zum Glück in der Minderzahl, und wenn von 20 Kurzfilmen vier nicht ganz die Brillanz der anderen halten können, verdienen sich vier Fünftel von "Paris je t'aime" trotzdem eine klare Empfehlung und damit acht Augen.

Bilder: Copyright

8
8/10

Solche Kurzfilm-Filme haben immer ein Problem: man überlegt zwangsläufig, welcher Kurzfilm nun der beste war, welcher der schlechteste usw. Da nie alles auf gleichem Niveau ist, bleibt zur Gesamtbewertung immer nur ein Mittelwert - und der ist hier aber durchaus hoch. Es gibt einige Enttäuschungen, für mich vor allem Gus van Sant, einiges so 'lala' (die letzte Episode mit der amerikanischen Touristin) und ein paar echte Highlights, vor allem die Episode von T. Tykwer und die oben beschriebene von Walter Salles. Gerade letzterer zeigt, wie man mit minimalem Erzählen ein komplexes gesellschaftliches Problem (Immigranten, Schwarzarbeit, Ober-/Unterschicht, Vororte/Innenstadt) in kürzester Zeit bewegend rüberbringen kann.
Fazit: Wirklich sehenswert.

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