
Vergangene Woche sah ich mir aus einer Laune heraus noch einmal Damien Chazelles grandiosen "Whiplash" an - und fand danach auf einmal eine Empfehlung auf meiner Startseite von Prime Video für einen anderen Film mit Miles Teller in der Hauptrolle, von dem ich noch nie etwas gehört hatte. Kein Wunder, denn "The Spectacular Now", der ein Jahr vor Tellers Durchbruch mit "Whiplash" gedreht wurde, hat es in Deutschland nie ins Kino geschafft und erschien seinerzeit erst 2015 lediglich auf DVD in einer deutschen Fassung (es sei nur kurz erwähnt, dass dies nichts Gutes für die Qualität der Synchronisation erahnen lässt). Macht des Schicksals: Ohne diesen kleinen Anstubser für den Empfehlungs-Algorithmus wäre ich wohl nie auf diesen Film aufmerksam geworden. Aber Junge, bin ich froh, dass ich ihn jetzt gesehen habe.
Miles Teller spielt Sutter, einen Teenager in seinem letzten Highschool-Jahr, der mit Inbrunst im Hier und Jetzt lebt (daher der Titel). Als seine Freundin mit ihm Schluss macht, verarbeitet Sutter das in einem College-Bewerbungs-Essay ironisch als angeblich schwersten Schlag seines Lebens - geht daraufhin aber erstmal wieder feiern und betrinkt sich bis zum Filmriss. Am nächsten Morgen wacht er in irgendeinem Vorgarten auf und wird von seiner Zeitung-austragenden Mitschülerin Aimee (Shailene Woodley, damals zwischen ihrem viel beachteten Spielfilm-Debüt in "The Descendants" und ihrem großen Durchbruch in "Das Schicksal ist ein mieser Verräter") gefunden - im sozialen Highschool-Kosmos eine solche Außenseiterin, das Sutter nicht einmal ihren Namen kennt. Schnell beschließt Sutter, dem zurückhaltenden Mauerblümchen ein bisschen auf die Sprünge zu helfen und zu etwas guter Zeit in ihrem letzten Highschool-Jahr zu verhelfen, bevor sich ihre Wege alsbald wieder trennen werden. Doch ihre Beziehung wird intensiver als gedacht...

Auf den ersten Blick und angesichts einer oberflächlichen Beschreibung wirkt "The Spectacular Now" zunächst wie eine recht gewöhnliche Teenager-Romanze - aber "gewöhnlich" ist hieran nur, dass man tatsächlich das seltene Erlebnis hat, wirklich realistisch und authentisch wirkende Teenie-Figuren in einem Film zu sehen, keine überkandidelten, überpolierten Leinwand-Versionen davon. Oder, wie mein ewiges Idol Roger Ebert es damals schrieb, als er den Film kurz vor seinem Tod rezensierte und ihm die letzte Höchstwertung seines Lebens gab: "Here is a lovely film about two high school seniors who look, speak and feel like real 18-year-old middle-American human beings. Do you have any idea how rare that is? They aren't crippled by irony. They aren't speeded up into cartoons. Their sex lives aren't insulted by scenes that treat them cheaply [...] What an affecting film this is. It respects its characters and doesn't use them for its own shabby purposes. How deeply we care about them."
Es ist ein kleines Wunder, der knospenden Beziehung von Sutter und Aimee zuzusehen, weil sich alles hier so wahnsinnig echt anfühlt. Das ist einem feinfühligen Drehbuch zu verdanken (auf Basis eines Romans von Tim Tharp verfasst von Scott Neustadter und Michael H. Weber, die damals auch den grandiosen "(500) Days of Summer" zu Papier brachten), aber vor allem auch der herausragenden Inszenierung von James Pansoldt und dem unbeschreiblich grandiosen Schauspiel von Teller und Woodley. Es ist faszinierend zu sehen, wie Pansoldt in langen, ruhigen Zweier-Einstellungen die beiden zusammen wirken lässt, wie er ihrem Spiel miteinander Raum gibt und der Chemie zwischen ihnen nicht durch billige filmische Mittel künstlichen Anschub verleiht. Wer so wenig Schnitte, so wenig Close-Ups und so wenig Soundtrack braucht, um solch eine Atmosphäre zu erzeugen, der ist mit zwei wirklich bemerkenswerten Schauspielern gesegnet.
Daraus entstehen immer wieder kleine Momente von zurückhaltendem, wundersamem Zauber. Als Beispiel sei nur die Sexszene zwischen den beiden erwähnt, die völlig unspektakulär und realistisch daherkommt, und gerade darum so absolut außergewöhnlich ist. Ich weiß nicht, ob ich jemals eine solch zarte und glaubwürdige Umsetzung dieses Moments in einem Spielfilm gesehen habe. Oder, wie meine Frau es auf den Punkt brachte: "Genau so läuft ein erstes Mal ab, wenn zwei Menschen sich wirklich mögen."

Was aber den ganzen Film gerade innerhalb seines Genres so außergewöhnlich macht, ist die Unsicherheit beim Zuschauen, wohin genau das Ganze eigentlich steuert. Es ist großartig, wie dezent Pansoldts Inszenierung einem beim Zuschauen schleichend vermittelt, dass Sutters Alkohol-Exzess am Anfang keine zufällige Sache war, und so immer mehr ein widerstreitendes, ambivalentes Gefühl aufkommen lässt: Einerseits sieht man, wie süß diese beiden Menschen zueinander sind, und wünscht ihnen alles Glück der Erde; andererseits fürchtet man aber, dass Sutter das Leben dieses Mädchens ruinieren wird, das im Gegensatz zu ihm ein klares Bild von ihrer Zukunft und eine echte Perspektive hat - während ihm schon die Ambition fehlt, überhaupt sauber seinen Schulabschluss zu schaffen. Und so fragt man sich immer mehr: Kann diese Beziehung überdauern? Sollte sie das überhaupt?
In seinem letzten Drittel spitzt "The Spectacular Now" seine Zeichnung von Sutter und seinen inneren Konflikten in einer Art und Weise zu, die ein bisschen küchenpsychologisch wirkt und - zumindest im Vergleich zu allem, was man vorher gesehen hat - auch ein bisschen platt. Nichtsdestotrotz bleiben Regie und Schauspiel (bis hinunter in alle wichtigen und edel besetzten Nebenrollen) auf herausragendem Niveau, und auch hier gibt es immer noch außergewöhnliche Momente - wohl nie hat die einfache Aufforderung an jemanden in einer Bar, bitte die Rechnung zu bezahlen, solch eine herzzerreißende Wirkung erzielt.
Coming-of-Age-Geschichten waren früher einmal mein heimliches Lieblingsgenre, ausgehend aus der Zeit, als ich selbst noch ein junger Mensch war - und, wie wohl jeder in diesem Alter, auf der Suche nach Geschichten, in denen man sich, seine Gefühle und seine Lebenswelt verstanden fühlt. Ich habe nur selten Filme entdeckt, die das wirklich geleistet haben. Ich bin mittlerweile näher an der 50 als an der 40, und ich dachte eigentlich, ich hätte meine Schwärmerei für dieses Genre schon lange hinter mir gelassen. Aber offensichtlich lag das nur daran, dass mir sehr lange kein Film wie dieser mehr begegnet ist. Einer, der mit vollem Herzen versteht wie es ist, an der Schwelle zwischen einer sorglosen, endlos erscheinenden Jugend und dem Aufbruch ins echte Leben zu stehen - und wie schwer es fallen kann, diese Schwelle wirklich zu übertreten. Dass ich das nochmal erleben durfte... Selten war ich einem Algorithmus so dankbar wie gestern Abend.
"The Spectacular Now" ist noch bis Ende Januar im Inklusiv-Angebot von Amazons Prime Video verfügbar. Ansonsten ist der Film derzeit nur aus Rest- oder Gebrauchtbeständen auf DVD und Blu-Ray erhältlich.
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