The Hours - Von Ewigkeit zu Ewigkeit

Originaltitel
The Hours
Land
Jahr
2002
Laufzeit
114 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Simon Staake / 1. Juni 2010

"The Hours" erzählt drei nur indirekt miteinander verbundene Frauenschicksale in drei verschiedenen Zeiten und Orten. Als Achse dieser drei Geschichten funktioniert der Roman "Mrs. Dalloway" von Virginia Woolf. Diese (Nicole Kidman) schlägt sich in ihrem englischen Landsitz 1923 mit dem Eröffnungssatz des Romans herum, vor allem aber mit ihren widrigen Lebensumständen. Denn nach zwei Selbstmordversuchen in London wird Woolf nun von ihrem Mann Leonard (Stephen Dillane) hier von der Außenwelt abgeschirmt, und selbst ihre Schwester Vanessa (Miranda Richardson) behandelt sie "wie eine Verrückte". Im Los Angeles der 50er Jahre liest Laura Brown (Julianne Moore) "Mrs. Dalloway" und dieses Buch öffnet ihr in vielerlei Hinsicht die Augen. Die in ihrer Ehe zutiefst unglückliche Frau bekommt durch ein Gespräch mit ihrer Freundin Kitty (Toni Colette) den Impuls, etwas an ihrem aussichtslos erscheinenden Leben zu verändern. Währenddessen bzw. 50 Jahre später bereitet sich Clarissa Vaugham (Meryl Streep), die mit Mrs. Dalloway den Vornamen teilt, auf eine Party zu Ehren ihres Freundes Richard (Ed Harris) vor, einem an AIDS sterbenden Schriftsteller, der sie nur spöttisch "Mrs. Dalloway" ruft, erst recht jetzt, wo sie sich wie diese Romanfigur als Gastgeberin profilieren möchte. Jedoch ist, wie sich im Verlauf dieses einen Tages herausstellen wird, auch Clarissas Leben ein verlorenes Leben…

Die gute Nachricht zuerst: Handwerklich ist dieser Film ein kleines Meisterstück. Ob Kostüme, Kulissen, Kameraführung oder Musik, alles ist hier erlesen. Besonders großes Lob gebührt dem vorher mit "Billy Elliott" sehr positiv aufgefallenen Regisseur Stephen Daldry und seinem Editor Peter Boyle für die Montage dieses Films. Wie hier mittels Gesten oder sich entsprechenden Bildkompositionen Verbindungen und Übergänge zwischen den drei Damen und ihren drei Erzählsträngen geschaffen werden, das ist einfach große Klasse. Und auch der z.B. von Steven Soderbergh in "Traffic" ähnlich genutzte Kniff, die verschiedenen Erzählstränge in verschiedene Farben zu tauchen (England in sehr natürlichem Licht, L.A. in stilisierten, sonnenvergilbten Farben; New York in kälteren Tönen) funktioniert famos. Kurzum: im technischen Bereich wurde auch auf kleinste Details geachtet und alles richtig gemacht.

Die schlechte Nachricht: Inhaltlich kommt der Film nicht an die exzellente Form heran. Hauptproblem ist und bleibt die Geschichte selbst. Man kann und sollte dem Film zugute halten, dass er sich eines schwierigen Themas annimmt und auch erzählerisch sehr ambitioniert zu Werke geht. Trotzdem bleibt zu konstatieren, dass beides eben nur bedingt gelungen ist. Das Problem deutete sich schon mit der Wahl der Vorlage an, denn der Roman von Michael Cunningham ist zwar preisgekrönt, aber in Struktur und Form nicht wirklich Hollywoodkompatibel. Da sich nahezu alles im Inneren der Figuren abspielt, musste man sich fürs Drehbuch etwas ausdenken. Die schwerfälligen und unfilmischen Lösungen Off-Kommentar und Flashback wurden dankenswerter gleich ausgeschlossen, aber der Versuch, das dramatische Innenleben zu externalisieren, scheitert mehr als dass er gelingt.

Als schwierigster Fall erweist sich hier die Julianne Moore-Storyline: Ihre wortkarge Figur wirkt zu Anfang so neurotisch und zerfahren, dass man erstmal eine zeitlang braucht, um zu erkennen, dass diese Laura Brown nicht geistig zurückgeblieben ist. Später ist man für die Schweigsamkeit und die fehlenden Erklärungen allerdings fast dankbar, denn so wird ihr von Depression und Verzweiflung geprägter Alltag filmisch gelungen dargestellt, mit beizeiten tollen Einzelaufnahmen, darunter mit der Szene im Hotelzimmer das eindrucksvollste Bild des gesamten Films. Einerseits ist dieser Erzählstrang Beweis für die Magie, die mittels ökonomischem filmischem Erzählen erreicht werden kann, andererseits bleibt ihre Figur dadurch dem Zuschauer so fern, dass sich letztlich ein wenig Schulterzucken einstellt. Das wirkt beizeiten nämlich so, als hätte man Dustin Hoffmans Autisten den kompletten "Rain Man" allein bestreiten lassen.

Wenigstens wird hier nicht heillos zerredet, wie in der Meryl Streep-Episode, dem am wenigsten gelungenen Teil dieses Triptychons. Dort kommt man uns dann mit der Art von konfessionellem Betroffenheitsdrama, das zu befürchten war, mit relativ gezwungen wirkenden emotionalen Zusammenbrüchen und Geständnissen. Dass Schauspieler von der Klasse einer Meryl Streep oder eines Ed Harris sowas mit links machen, versteht sich von selbst, hilft aber auch nicht wirklich. Denn so geht es quasi per Autopilot durch diese Episode. Immerhin stiehlt Harris als Sterbenskranker in seinen zwei Szenen den drei Damen fast die Show. Denn auch die limitierte Bandbreite seines Charakters (verbittert und verzweifelt) hält einen Harris nicht auf, da hat er schon wesentlich schlimmeres hinter sich. Ob sein Charakter als zweiter gequälter Künstler in der Gesamtgeschichte nicht ein bisschen viel ist, lassen wir mal dahingestellt.

Die Nicole Kidman-Episode schwankt irgendwo zwischen diesen beiden beschriebenen Polen, bleibt aber trotz großer (und durchaus beeindruckender) Dialoge wie dem zwischen Virginia und ihrem Mann am Bahnsteig zu holzschnittartig, und so richtig hängen bleibt eigentlich recht wenig.

Hier haben wir das inhaltliche Problem auf den Punkt gebracht: "The Hours" vermisst den gewünschten emotionalen Effekt aufs Publikum und bewegt kaum, und ist daher letztlich wesentlich belangloser, als er es sein möchte. Was in Verteidigung des Films vermutlich in den Geschichten selbst begründet ist. Denn dass die Entfremdung und Isolation der Charaktere mehr oder weniger gelungen eingefangen wird, ist sicherlich positiv. Dass sich dieses Gefühl der Entfremdung aber auch auf den Zuschauer überträgt, war so wohl nicht geplant. Das Ergebnis ist denn ein mixed bag: Denn so sehr er für sein allerorts aufblitzendes Können zu respektieren ist, so wenig kann man diesen seltsam kalt lassenden Film wirklich und aufrichtig lieben.

Schwierig auch zu sagen, ob der Film zu kurz oder zu lang ist, im Endeffekt vielleicht sogar beides. Denn zum Einen gilt es so manche recht dröge Passage zu überwinden, die die zwei "Hours" des Films doch beizeiten zu einer kleinen Ewigkeit werden lassen, andererseits rauschen die drei Erzählstränge zu schnell an einem vorbei und wenig setzt sich fest. Die großen Themen rund um das kurze Glück und das lange Zugrundegehen, Lieben und Geliebt werden und Sterben und Sterben lassen, sie sind die Eckpfeiler von "The Hours" und gleichzeitig die eigenen Fallstricke. Denn trotz gelungener Einzelszenen wird dieses Konglomerat aus Ideen und Themen nie so richtig zufriedenstellend aufgelöst. Schade, denn dieser gut gemachte Film geht ungewöhnliche Wege, um eine Geschichte zu erzählen und hat dann doch erstaunlich wenig zu sagen.

Besonders schade ist dies natürlich auch aufgrund der gezeigten Darstellerleistungen. So offensichtlich man nämlich die triple attack des Damentrios auf den Oscar finden kann, so wenig gibt es an den darstellerischen Leistungen auszusetzen. Natürlich sind sie gut, natürlich sind sie subtil, auch die von der mit Nasenprothese entstellten Kidman, die dafür wohl schlussendlich die Trophäe mit nach Hause nehmen wird. Allerdings hätte man einem so handverlesenen Nebendarsteller wie John C. Reilly doch etwas mehr Leinwandzeit gewünscht, als die fünf Minuten, die er hier bekommt. Trotzdem: Eine äußerst gelungene Ensembleleistung, wie eigentlich auch zu erwarten war.

Ausgesprochen kunstvoll und gelungen in handwerklicher Hinsicht, aber mit deutlichen Schwächen in seiner Erzählung und letztlich wenig überzeugend in seinen Sentiments ist "The Hours" gut gespieltes aber wenig mitreißendes Erzählkino. Wer anspruchsvolle Filme mag, wird trotzdem nicht daran vorbeikommen. Und dass ein hochambitionierter Film wie dieser nicht alle Erwartungen erfüllen kann, macht ihn doch in keiner Sekunde weniger als sehenswert. Letztendlich gescheitert, aber an einer großen Aufgabe. Das ist allemal Anerkennung in Form von 7 Augen wert.


7
7/10

Ich habe mal eine Frage und mich würde mal interessieren, was ihr denkt. Warum küsst jede der Hauptdarstellerinnen eine Frau? Was sagt das aus? Das ist wirklich eine ernst gemeinte Frage und ich möchte bitte auch nur ernst gemeinte Ideen/Vermutungen oder Antworten bekommen. Danke

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9
9/10

Jede Frau, die einmal in ihrem Leben nur annäherungsweise in so einer Situation gesteckt hat, wird in diesem Film aufgehen. Ich kenne die Situation und liebe den Film. Er ist absolut anspruchsvoll und nichts für späte Stunden. Kein Hollywood-Kino - aber endlich mal wieder ein Film zum Grübeln, Nachdenken und Fühlen. Er sagt soviel aus, gerade für Menschen, die mehr für andere leben als für sich selbst.
Ich denke, dass viele Leute den Film nicht verstehen werden. Und viele werden ihn auch nicht verstehen wollen. Das ist eben geschmackssache. Ich habe ihn auch erst beim zweiten Mal richtig verstanden, wenn auch noch nicht alles.
Ein Film, der fesselt.
Und zum technischen: Da ich Filmanalyse studiere, achtet man auf die in der Kritik angesprochenen Dinge. Und es ist technisch wahrscheinlich einer der besten Filme, die es gibt. Die Übergänge sind wahnsinnig und einfach nur fantastisch. Die Darstellung alleine sagt schon so viel aus.

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10
10/10

Wieder mal die Frage, ob man sich einlässt oder nicht. Wenn man sich einlässt, ist es ein Film, der für immer im Hirn bleibt. Wer sich nicht einlässt, dem fehlt die Voraussetzung zum Verständnis. Schade, dass es an dieser Stelle nicht Leute gibt, die einfach zugeben, dass sie nicht verstanden haben. Rezensenten inbegriffen.

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7
7/10

Ich habe den Film heute im Musikunterricht gesehen. wir hatten zuvor die lustige "Ich backe einen Kuchen"-Szene unter musikalischen Aspekten analysiert udn wollten uns daraufhin den ganzen Film amsehen.

Schlecht find eich nicht, abe rich muss dem ein oder anderem Kommentar zustimmen: er schleppt sich, genauso Meryl Streeps Episode, auf die ich besonders gespannt war. Vielleicht sollt eich den Film öfter gucken, um unter die Oberfläche blicken zu können... aber irgendwie ließ mich der Film ziemlich ratlos zurück. Manchmal hätte er für mich schon viel früher enden können, aber dieses Ende ließ mich unbefriedigt zurück.
Obwohl die Verbindung zwischen den drei Frauen offensichtlich ist, konnte ich doch keine klare finden und auch keine wirklichen Sympathien verteilen.
Also auf jeden Fall anspruchsvoll mit viiieeel Gesprächsmaterial für hinterher.
Am besten gefallen hat mir die 50er-Jahe Episode, was mich lediglich irritiert hat war die absolut fehlende Verbindung zum erwachsenen Richard. Diese Figur kam viel zu kurz.
Naja, udn ich weiß auch nicht wirklich, was der lesbische Aspekt in allen Episoden sollte. Dieses bei allen drei weiblichen Figuren übereisntimmende Kriterium wirkte auf mich erwzungen...

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