Ben Affleck hat seine Lektion gelernt. Zehn Jahre nach seinem Hollywood-Durchbruch als Co-Autor und Darsteller in "Good Will Hunting" hat er so ziemlich alles durchgemacht, was der Klatsch- und Promizirkus der Traumfabrik mit einem anstellen kann. Hauptrollen in gigantomanischen Blockbustern wie "Armaggeddon" oder "Pearl Harbor", öffentlich ausgewalzte Glamour-Beziehungen mit Jennifer Lopez (gescheitert) und Jennifer Garner (glücklich), und nicht zuletzt ein konsequent vernichtendes Echo seitens der Kritiker, die ihm mit schöner Regelmäßigkeit jegliches Schauspieltalent absprachen. Nach dem Triple-Flop mit "Paycheck", "Gigli" und "Jersey Girl" zog Affleck Konsequenzen und verschwand erstmal von der Bildfläche - um sich gut drei Jahre später mit zwei Independent-Projekten beeindruckend zurückzumelden: Nachdem er letztes Jahr für seine Rolle in "Die Hollywood-Verschwörung" mit dem Darsteller-Preis der Filmfestspiele von Venedig ausgezeichnet wurde, legt er nun sein Regie-Debüt vor. Und macht seine Sache auch hier erstaunlich gut.
"Gone Baby Gone" ist die Adaption eines Romans von Dennis Lehane, bekannt vor allem durch seine Vorlage für Clint Eastwoods preisgekrönten "Mystic River". Themen und Schauplatz sind hier ähnlich: Es geht um Schuld und Sühne, Selbstjustiz und Moralkonflikte in den knallharten Straßen von South Boston. Dort arbeitet das Privatdetektiv-Pärchen Patrick Kenzie (Bens Bruder Casey Affleck, "Ocean's 13", "Die Ermordung des Jesse James") und Angie Genarro (Michelle Monaghan), das von einer verzweifelten Großmutter auf den Fall ihrer verschwundenen Enkelin Amanda angesetzt wird. Weil sie das üble Viertel wie ihre Westentasche kennen, kommen die beiden Schnüffler bald dahinter, dass Amandas drogensüchtige Mutter Helene (Amy Ryan) bei ihren Aussagen über das Verschwinden ihrer Tochter nicht ganz bei der Wahrheit geblieben ist und einige zwielichtige Kontakte pflegt. Zusammen mit dem Polizisten Remy Bressant (Ed Harris) und seinem Vorgesetzten Jack Doyle (Morgan Freeman) versucht Patrick, einer scheinbaren Verschwörung auf die Schliche zu kommen. Bis seine Ermittlungen, kurz vor dem Erfolg, einen tragischen Rückschlag erleiden….
Die Geschichte von "Gone Baby Gone" ist nicht immer ganz nachvollziehbar, vor allem wenn sich am Ende die Storytwists häufen und das Verhalten mancher Figur im Nachhinein doch reichlich Fragen aufwirft. Zudem zerfällt der Film durch besagten Rückschlag bei Patricks Ermittlungen in zwei Teile, da hier auf halber Strecke ein Abschluss suggeriert wird, der dem Film zumindest zeitweise die gesamte gefühlte Spannung nimmt. Vor ein paar Längen ist man hier also nicht geschützt, trotzdem muss man konsequent aufpassen, um am Ende zu verstehen, was überhaupt passiert ist.
Die wahre Stärke des Films ist aber ohnehin nicht seine Story,
sondern die Atmosphäre. Affleck, selbst in Boston aufgewachsen
und tief mit der Stadt verbunden, inszeniert das Süd-Viertel
mit Gusto als Moloch aus Verbrechen, Drogen, Gewalt und Intrigen,
in dem es offenbar so hartgesotten zugeht, dass jedes zweite Wort
besser ein besonders unflätiger Kraftausdruck ist, wenn man
überhaupt
ernst genommen werden möchte. Die Konsequenz, mit der hier
(zumindest in der Originalversion) geflucht und geschimpft wird,
dürfte jedenfalls selbst gestandenen Ghetto-Rappern Respekt
abringen. Da steigt Kameramann John Toll (u.a. "Braveheart")
gerne ein und huldigt mit seinen dunklen, zwielichtigen Bildern
ebenfalls den legendären Detektivfilmen des Film Noir. Dass
Patrick Kenzie hier so eine Art Philip Marlowe des neuen Jahrtausends
sein soll, ist von den ersten Momenten seines typisch lakonischen
Off-Kommentars offensichtlich.
So richtig klappen will das mit diesen großen Fußstapfen
allerdings nicht, denn auch wenn Casey Affleck fraglos ein fabelhafter
Schauspieler ist (ebenso fraglos mit weit mehr Talent als sein großer
Bruder) und seine Sache auch hier ausgenommen gut macht - für
einen hartgesottenen Schnüffler fehlt ihm einfach die richtige
physische Präsenz. Sein nicht abzulegender Milchbubi-Charme
steht hier einer wirklich überzeugenden Darstellung im Weg,
schlussendlich wirkt er immer ein bisschen wie jemand, der hart
tut, aber es nicht wirklich ist.
Das
eigentliche Schauspieler-Problem des Films ist allerdings Michelle
Monaghan, deren Rolle eigentlich keinen signifikanten Plot-Beitrag
leistet, außer ihren Partner Patrick aus nicht immer nachvollziehbaren
Gründen mit einem schlechten Gewissen zu belasten, und von
Monaghan auch nicht mit mehr Facetten versehen wird. So geht mit
ihrer blassen Vorstellung leider auch die Dramatik in der Beziehung
von Patrick und Angie flöten, die eigentlich den etwas durchhängenden
Mittelteil tragen sollte.
"Gone Baby Gone" ist entsprechend ein gutes Stück
davon entfernt, ein perfekt gemachter und umgesetzter Film zu sein,
dafür haben Ben Affleck und sein Co-Autor Aaron Stockard die
Story nicht genug unter Kontrolle. Und bisweilen übertreibt
es Affleck bei seinem Regie-Debüt auch ein wenig in der Inszenierung,
wenn sich die nachdenklichen Off-Monologe und die melancholischen,
mit Piano-Musik unterlegten Montagen häufen und etwas penetrant
auf der Stimmungsorgel gespielt wird.
Was er sich jedoch sicher nicht gefallen lassen muss ist der Vorwurf,
konventionell oder anbiedernd zu sein. Affleck zieht hier mit Bravour
und Entschlossenheit sein Ding durch und erzählt eine Geschichte,
die es weder ihren Zuschauern noch ihren Figuren leicht macht und
sie am Ende vor eine moralische Entscheidung stellt, an der auch
das Publikum zu knabbern hat. Sicher noch kein Versprechen einer
großen Regie-Karriere, aber immerhin ein überzeugender
Anfang.
Neuen Kommentar hinzufügen