Taylor Sheridan ist zwar geografisch im dritten von ihm geschriebenen Film gen Norden gewandert, thematisch ist er sich aber auch hier treu geblieben. In „Sicario“ ging es tatsächlich um eine geografische Grenze (nämlich die US-mexikanische), aber in all seinen Filmen geht es Sheridan hauptsächlich um die amerikanische Idee der frontier, der Grenze zwischen Zivilisation und Nicht-Zivilisation, dort wo die Natur den Hintergrund gibt für die Konfrontation zwischen Menschen, die sich der modernen Idee von Zivilisation und all ihren Regeln unterwerfen und denen, die sich diesen verweigern. Das hat er im fabulösen und zurecht Oscar-nominierten „Hell or High Water“ anhand der aus dem Western bekannten Konstellation Ordnungshüter gegen Gesetzesbrecher durchgespielt, und erneut haben wir es hier mit einer Art modernem Western zu tun, inklusive Indianern.
Wind River, das ist der Name einer abgelegenen und den brutalen Wetterverhältnissen im bergigen Wyoming ausgesetzten Reservation, in der die Nachkommen der amerikanischen Ureinwohner sich mehr oder weniger selbst überlassen wurden. Als jedoch der Jäger und Spurenleser Cory Lambert (Jeremy Renner) auf Reservationsgebiet eine junge Frau tot auffindet und es sich offensichtlich um ein Verbrechen handelt, wird neben dem Chef der Stammespolizei (wer sonst als Graham Greene) auch das FBI in Form der jungen Jane Banner (Elizabeth Olsen) hinzugezogen. Zusammen versuchen sie in der unwirtlichen Schneelandschaft herauszufinden, was es mit dem gewaltsamen Tod der jungen Natalie auf sich hat...
„Wind River“ ist ganz bei sich, wenn er sich auf den Ort und die Figuren konzentriert, schwächelt aber erstaunlicherweise ein wenig im Erzählen seiner Geschichte. So sind einige Details, aus denen hier eine große Sache gemacht wird (Stichwörter: Schneemobilspuren und Distanzen) entweder widersprüchlich oder unwichtig, wer aber hier mit Detektiv spielen will, wird von derlei nicht zu Ende gedachten „Spuren“ enttäuscht sein. Das andere, quasi selbst auferlegte Problem dieses Films mit seinen kargen Landschaften und seiner eben so kargen Liste an bedeutsamen Figuren: Nachdem sich eine erste Spur schnell zerschlägt, bleiben schlichtweg nicht genügend Verdächtige übrig, als dass die nächste Ermittlung nicht zwangsläufig zum Täter führen könnte.
Jetzt muss ja nicht jeder Krimi auch automatisch ein „Whodunnit?“-Rätsel sein, „Wind River“ setzt sich aber in der Konstruktion seiner Mordermittlung so ein wenig zwischen alle Stühle. Immerhin kontert Sheridan, der hier auch erstmals als Regisseur seiner eigenen Arbeit in Erscheinung tritt, den nicht ganz runden Plot mit einigen kurzen Actionspitzen, arbeitet zum Showdown hin geschickt mit Verzögerungstaktiken hinsichtlich der irgendwann unausweichlichen Gewalt und setzt ganz geschickt eine Rückblende, die den Toten und Opfern hier noch einmal Lachen und Leben gibt und ihren Verlust nicht nur den Leinwandfiguren, sondern auch dem Zuschauer begreiflich macht. Und am Ende lässt Sheridan dann wie in den Vorgängerfilmen die Gewalt sich in kurzen, aber krachenden Szenen ihren Weg bahnen.
Dennoch ist dies zuallererst ein Film über seine Figuren, und wie in „Hell or High Water“ haben auch jene mit begrenzter Leinwandzeit alle eine Präsenz, man hat das Gefühl, sie haben alle eine Vorgeschichte und werden alle eine weitere Geschichte haben, auch nach dem Abspann. Auch hier arbeitet Sheridan mit Verzögerung und Verschleierung, lange kriegen wir nur Andeutungen, was Cody von seiner Exfrau entzweit hat oder warum er – der kein Gesetzeshüter ist – bei dieser Ermittlung besonders motiviert ist. Hier wird nicht wie im Mainstream üblich von irgeneiner Nebenfigur eine Rede gehalten, die dem Zuschauer möglichst effektiv möglichst viele Informationen gibt, und auch nach der Enthüllung der privaten Tragödie in Lamberts Leben behält er, wie die meisten Figuren hier, etwas Rätselhaftes. Selbst die Figur der Berufsanfängerin vom FBI, die natürlich ohne Winterklamotten aus Miami eingeflogen kommt, wird nicht für eine schablonenhafte „fish out of water“-Geschichte benutzt, auch wenn ihre nicht vorhandene Garderobe für einen ganz lustigen Gag (Thema Unterwäsche) benutzt wird und gleichzeitig Figurenzeichnung betreibt, wenn Jane dasselbe Outfit trägt wie Mordopfer Nathalie und alle um sie herum für einen Moment innehalten.
Die Show wird hier übrigens erneut von Gil Birmingham gestohlen. War er in „Hell or High Water“ der geduldig leidende Partner des grantligen Jeff Bridges, so ist er hier in ganz anders gelagerter Rolle der trauernde Vater des Opfers und kriegt trotzdem wieder einige der besten Zeilen des Drehbuchs ab. Aber alle spielen hier ihre Rollen glaubwürdig, und für den mal grüblerischen, dann mal wieder unsentimental-brutalen und immer von stiller Trauer versehenen Lambert ist Jeremy Renner mit seinem „hangdog“-Gesicht die Idealbesetzung.
Trauer ist hier überhaupt ein gutes Stichwort, denn letztlich ist auch „Wind River“ wie „Hell or High Water“ eine Elegie für die Dinge, die im Laufe der Jahre (und der Moderne) verloren gegangen sind. Birminghams Martin sagt in einer zwischen absurder Komik und tiefer Traurigkeit hängenden Szene, er habe das Design seiner Totenmaske aus dem Fernsehen - „There is no one left to teach us“. Zum einen verklärt „Wind River“ gerade zum Ende hin noch mal die gute, alte Zeit, in der ein einzelner Cowboy die zunehmend morsche Brücke zwischen Recht und Gerechtigkeit im Alleingang wiederherstellen kann, indem er zur frontier justice greift. Zum anderen wissen alle hier, dass ihre Art, die Dinge eigenständig zu regeln, mehr und mehr ein Relikt der Vergangenheit sein wird.
„Wind River“ ist wie von Taylor Sheridan nicht anders zu erwarten ein kleiner, feiner Film, der sich im Genre-Gewand den immer offensichtlicher werdenden thematischen Interessen seines Schöpfers widmet. Die Kriminalgeschichte mag hier nur zweitklassig sein, sie ist hier im Vergleich zu Ort, Atmosphäre und Figuren auch auch nur zweitrangig. Klar, der Spagat ist da beim letzten Mal noch ein Stück besser gelungen, aber angesichts der Tatsache, dass einem „Wind River“ abseits der Mörderhatz nachhaltig in Erinnerung bleibt, sprechen wir auch hier wieder eine unbedingte Empfehlung aus. Und Taylor Sheridan bleibt mit Jeff Nichols und David Lowery eine der interessantesten Erzähler von stimmungsvoller Americana. Wir warten also gespannt ab, welche Grenzen er demnächst noch auslotet.
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