“Like, I don't want to cram in sex, or car chases, or guns. Or characters learning profound life lessons. Or growing or coming to like each other or overcoming obstacles to succeed in the end. You know? The book isn't like that. Life isn't like that. It just isn't.“
– Nicolas Cage als Charlie Kaufman in „Adaptation“
Charlie Kaufman ist ein komischer Kauz. Freundlich ausgedrückt. Auf der einen Seite ist er ein brillanter Drehbuchautor, so brillant, dass er zu Beginn seiner Filmkarriere für ein paar Jahre rund um die Jahrtausendwende da stand als der vielleicht einzige Schreiberling in Hollywood, dessen Name in Verbindung mit einem Film wichtiger war als der des Regisseurs. Nach seinem mehr als außergewöhnlichen Debütwerk "Being John Malkovich" galt Kaufman als Genie, das eigenhändig die Kunst des Drehbuchschreibens auf einen völlig neuen Level erheben würde. Was für ein paar Jahre auch stimmte und schließlich in einem mehr als hochverdienten Oscar für das Drehbuch zu "Vergiss mein nicht" gipfelte. Dann wurde es plötzlich ziemlich still um Kaufman.
Der Grund dafür findet sich auf der anderen Seite dieses kreativen Genies, das wie so viele wirklich brillante Künstler unter einem Übermaß an Selbstreflexion und Selbstzweifeln leidet und gelähmt ist durch den Wunsch nach Wahrhaftigkeit und Substanz in einem Medium, das sich primär durch vermarktbare Oberflächlichkeit definiert (siehe Zitat oben). Wer einen noch recht leicht verständlichen Einblick ins Seelenleben von Charlie Kaufman haben will, der braucht sich nur "Adaptation" ansehen, in dem Kaufman den an Selbstfolter grenzenden Versuch einfing, etwas herzustellen, was seinen eigenen künstlerischen Ansprüchen genügte, ohne sich dem Diktat gängiger Film-Strukturen zu beugen.
Wie das dann aussehen könnte, konnte man in Kaufmans Regie-Debüt bewundern, einem überhaupt nicht mehr leicht verständlichen Einblick in sein Seelenleben. "Synecdoche, New York" erschien 2008 und war ein leidenschaftliches, selbstzerfleischendes Kunstwerk. Zumindest, wenn man genug Geduld aufbrachte, dem Film zu folgen und nicht zwischendurch aufgab, vollkommen entnervt von einem verworrenen, non-linearen, mit surrealen Elementen überladenen Etwas, das so verwirrend und auf deprimierende Weise unverständlich war, dass es einen richtig wütend machen konnte. Unnötig zu erwähnen, dass der Film grandios floppte. In Deutschland kam er nicht einmal in die Nähe einer Kinoleinwand und wurde sang- und klanglos als DVD-Premiere wegveröffentlicht.
Nach diesem Film fand sich niemand mehr, der verrückt genug war, ausreichend Geld in einen neuen Kaufman-Film zu stecken. Vor allem als der Mann beschloss, dass sein nächster Film ein Stop-Motion-Animationsfilm sein sollte. Es ist darum wenig verwunderlich, dass es nun fast sieben Jahre gedauert hat bis zur Veröffentlichung seines nächsten künstlerischen Lebenszeichens. Und dass es diesen Film nie gegeben hätte ohne den ungewöhnlichen neuen Finanzierungsweg des Crowd-Funding. Das Produktionsbudget für "Anomalisa" wurde über eine Kickstarter-Kampagne zusammengekratzt, im Abspann tauchen entsprechend über 1.000 Namen auf von Leuten, ohne deren Beitrag es diesen Film nie gegeben hätte. Menschen, die den Gedanken so ansprechend und aufregend fanden, einen Stop-Motion-Film von Charlie Kaufman zu sehen, dass es ihnen ihr eigenes Geld wert war. Man kann ihnen für diesen Glauben nur dankbar sein.
Und hier ist er nun also, Kaufmans „Anomalisa“, der mit surrealen Mitteln, wie sie nur der Animationsfilm zulässt, die Gleichförmigkeit des echten, realen Lebens einfängt, und auf herzzerreißend poetische Art und Weise von der Sehnsucht erzählt, aus dieser Gleichförmigkeit ausbrechen zu können. Die Hauptperson von „Anomalisa“ heißt Michael Stone, ein erfolgreicher Autor für Geschäfts-Ratgeber und darum viel unterwegs auf Vortragsreisen. Eine solche führt ihn nach Cincinnati, und nachdem sich der Film erst einmal Zeit lässt, die dröge Alltäglichkeit einer solchen Reise für Michael zu vermitteln und ironische Momente der Banalität aneinander reiht, wird Michaels zielloser, verzweifelter Wunsch nach einem Ausbruch aus seinem eintönigen Leben deutlich, als er Kontakt aufnimmt zu einer alten Liebe, die er vor langer Zeit Knall auf Fall verlassen hatte. Das spontane Wiedersehen verwandelt sich schnell in ein Desaster, und Michael droht eine weitere Nacht in seiner stillen Verzweiflung zu ertrinken. Bis er auf einmal Lisa begegnet. Lisa ist klein, pummelig und schüchtern. Doch ab dem ersten Moment, in dem sie im Film erscheint, ist klar, dass sie für Michael etwas ganz Besonderes ist. Denn sie ist anders als alle anderen. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Diese Besonderheit Lisas ist einer der Gründe, warum „Anomalisa“ nur als Animationsfilm möglich war. Man braucht zu Beginn des Films als Zuschauer ein wenig, um die anfängliche Verwirrung abzulegen und es zu erfassen. Aber alle Menschen, denen Michael begegnet, sehen gleich aus. Sie haben unterschiedliche Frisuren und unterschiedliche Kleidung, aber ihr Gesicht ist identisch, ebenso wie ihre Stimme. „Anomalisa“ wurde mit nur drei Schauspielern eingesprochen: Es gibt Michael, es gibt Lisa, und es gibt alle anderen.
Zunächst ist das ein bisschen irritierend, wenn auch die Frauen von einer eindeutigen Männerstimme gesprochen werden. Doch hat man sich erst einmal daran gewöhnt und den Effekt erfasst, kommt man nicht umhin, es brillant zu finden, wie Kaufman auf diese Weise Michaels Wahrnehmung der Welt vermittelt. Eine Welt, in der alles und alle immer gleich sind, in der es keine Spannung mehr gibt, nichts Neues, nichts Unerwartetes. In der alle Menschen so austauschbar und gleich erscheinen, dass man sie für Roboter halten könnte, zusammengefügt aus dem immer gleichen Bausatz (dieser Eindruck wird dadurch unterstrichen, dass die Zusammengesetztheit der Animationsfiguren deutlich sichtbar ist durch eine Linie, an der Ober- und Unterteil der Gesichter aufeinandertreffen; dies kann auch dem begrenzten Produktionsbudget geschuldet sein, das hier nicht mehr Perfektion zuließ, aber egal ob Absicht oder notwendiges Übel: es passt zur Stimmung und Botschaft des Films).
Es ist mehr als faszinierend wie es dem Film gelingt, trotz solcher bewussten Verfremdungseffekte, die unweigerlich erst einmal Distanz schaffen, ganz schnell einen authentischen, zutiefst menschlichen Kern in Michael zum Vorschein zu bringen und so eine größere Nähe zu dieser offensichtlich animierten Figur entstehen zu lassen, als man sie als Zuschauer sonst zu „echten“ Figuren im Kino entwickelt. Trotz immer wieder auftauchender surrealer Elemente durchzieht „Anomalisa“ eine Wahrhaftigkeit, wie man sie nur ganz selten im Kino erleben kann. Hier wird nichts beschönigt, und alles, was man zwischen Michael und Lisa miterleben darf, ist zutiefst menschlich – unperfekt, verletzlich, und genau deswegen aufrichtig, wirklich und unglaublich intim. Diese beiden Animationsfiguren sind wahrscheinlich die beiden „echtesten“ Gestalten, die man dieses Jahr im Kino zu sehen bekommen kann, und man kann gar nichts anders, als von ihrer kleinen Geschichte zutiefst berührt zu werden.
„Anomalisa“ ist ein kleines Wunder. Schlicht und doch außergewöhnlich, kompromisslos in seiner künstlerischen Vision und zugleich nahbar wie selten ein Film. Ehrlich, tragisch, wunderschön und auf herzzerreißende Weise bittersüß. Life is like that. It just is. Danke dafür, Charlie.
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