Seitdem er mit "Gladiator" den Sandalenfilm wieder auferstehen ließ, ist Ridley Scott so etwas wie Hollywoods Historienschinken-Beauftragter fürs neue Jahrtausend, legte er mit seiner passablen "Robin Hood"-Adaption und dem verkannten Meisterwerk "Königreich der Himmel" doch immerhin schon zwei weitere Vertreter dieses Genres nach. Zumindest der Regisseur ist also eine naheliegende Wahl für eine Neuauflage des so ziemlich größten Historienepos-Stoffes der Filmgeschichte: Die Geschichte von Moses, den biblischen Plagen, dem Auszug aus Ägypten inklusive der Teilung des Roten Meeres. Alles schon einmal recht monumental und denkwürdig auf die Kinoleinwand (und alljährlich zu Karfreitag auf Kabel Eins) gebannt in "Die zehn Gebote", Cecil B. DeMilles und William Wylers fast vierstündigem Bibelepos von 1956. Nicht ganz so naheliegend wie der Regisseur ist indes die Frage, warum Hollywood es überhaupt an der Zeit befand, sich dieses Themas noch einmal anzunehmen. Gut, "Die zehn Gebote" waren damals Teil des (vergeblichen) Versuchs von Hollywood, sich mit besonders aufwändigen und ausschweifenden Cinemascope-Produktionen gegen die neue Konkurrenz des Fernsehens zu erwehren und die Leute mit etwas in die Kinos zu locken, was sie nur dort in seiner vollen Pracht sehen konnten. So etwas ähnliches soll seit ein paar Jahren ja auch die neue 3D-Welle im Kampf gegen das Heimkino bewerkstelligen, und Darren Aronofskys "Noah" hat es dieses Jahr ja bereits versucht mit der Kombination von biblischem Epos und monumentalem 3D-Kino.
Trotzdem erscheint diese Reinszenierung einer eindeutig religiösen Legende eine befremdliche Idee in einer Zeit, in der die Unterhaltungsindustrie schon aus Gründen der Vermarktungsstrategie jeder Form einer religiösen Kontroverse tunlichst aus dem Weg geht. Die kann man schon allein dadurch auslösen, dass man den grundlegenden Mythos einer Religion als wahr darstellt (oder eben nicht). Andererseits muss man wiederum genau das tun, um eine große und relevante Zielgruppe solch eines Films - nämlich die zumindest in den USA immer noch sehr mächtigen und zahlreichen religiösen Konservativen - anzusprechen (siehe Mel Gibsons ungewöhnlichen Blockbuster-Erfolg mit "Die Passion Christi"). "Exodus: Götter und Könige" betritt also ein ziemlich rutschiges Parkett, auf dem er nun reüssieren will. Und auch wenn er sich dabei nicht erbärmlich auf die Fresse packt, tippelt er doch - un genau das zu vermeiden - so übervorsichtig und hölzern herum, dass auch daraus sicher keine denkwürdige Vorstellung entstehen kann.
Der Anfang fühlt sich dabei noch wie gewohntes Ridley-Scott-Historienepos-Territorium an. Wir lernen Moses (Christian Bale) als Adoptivsohn des ägyptischen Pharaos (John Turturro) kennen, befindlich in einem von Zuneigung ebenso wie von Konkurrenz geprägten Bruderverhältnis zum Thronerben Ramses (Joel Edgerton). Es entfaltet sich ein gewohntes Bild aus politischem Geschacher und Intrigen, während Moses einen korrupten Statthalter zur Verantwortung bringen möchte, indes andere Mächte am Hof des Pharaos bereits daran arbeiten, den beliebten Moses in Ungnade fallen zu lassen, damit er beim nahenden Ableben des totkranken Herrschers keine Ansprüche auf den Thron anmeldet. Die Enthüllung, dass Moses in Wahrheit aus dem versklavten Volk der Hebräer stammt und somit am Hof nix zu suchen hat, erweist sich da als ziemlich nützlich. So gewohnt dieses Territorium auch sein mag, so blutleer fühlt es sich dennoch an, wie eine leblose Neuinszenierung eines Shakespeare-Klassikers, die so sehr unter dem gefühlten Gewicht ihrer Vorlage ächzt, dass sie sich kaum noch rühren kann.
Und dann kommt halt die Sache mit dem brennenden Dornenbusch. Und "Exodus: Götter und Könige" fängt an, wackelig zu werden. Zuvor wird Moses als ein Rationalist und Skeptiker gezeichnet, der den naiven Aberglauben an Prophezeiungen und böse Omen seiner Mitmenschen verlacht. Dann hat er diese denkwürdige Erscheinung von Gott, der mit ihm spricht. Für solch einen kritischen Geist sollte das ein ziemlich signifikantes Ereignis sein und ihn erstmal durch eine kleines Dilemma führen - halte ich es wirklich für wahr, was ich da erlebt zu haben glaube? Immerhin gibt sich Scott einige Mühe, diese zentrale Szene ausreichend ambivalent zu halten: Moses erwacht aus einer Ohnmacht, nachdem er bei einer Lawine von einem Stein am Kopf getroffen wurde, in eine definitiv surreale Szene. Ist dies wirklich eine göttliche Erscheinung, oder nur eine Halluzination eines erschütterten Hirns? Der Zuschauer mag und soll sich das an dieser Stelle fragen, Moses allerdings tut es nicht, sondern ist von hier an bekehrt und willfähriger Botschafter des Herrn. Auch wenn er in ihren folgenden Zwiegesprächen durchaus kritische Töne anschlägt - die Chance, den Rationalisten an seinen eigenen Visionen und damit an der tatsächlichen Existenz seiner göttlichen Erscheinungen (und den daraus für ihn resultierenden Aufgaben) zweifeln zu lassen, lässt der Film völlig ungenutzt. Und der halbherzige Versuch, an den tatsächlichen göttlichen Ursprung der folgenden Ereignisse zumindest ein kleines Fragezeichen zu malen, scheitert letztlich auch. Als die berühmten Plagen einsetzen, versucht sich ein ägyptischer Gelehrter am Hofe des nun herrschenden Ramses noch an einer weltlichen, rationalen Erklärung für deren Heftigkeit und Abfolge. Der gute Mann wird jedoch so lächerlich dargestellt, dass man ihn kaum für voll nehmen kann, selbst wenn man wollte. Und spätestens, wenn es dann zum Tod aller Erstgeborenen und zur Teilung des Roten Meeres kommt, gibt sich auch Scott in seiner Inszenierung keine Mühe mehr, dies als irgendwas anderes als das Werk einer übersinnlichen Macht darzustellen. Womit die ganze, theoretisch angeschubste "Göttliche Intervention oder Einbildung?"-Debatte sich in Luft auflöst.
"Exodus: Götter und Könige" unternimmt also nicht wirklich einen Versuch, diese biblischen Ereignisse mit einem ernsthaften Zweifel an der Existenz Gottes darzustellen - was zumindest eine echte Kontroverse garantiert hätte (eine kleine Kontroverse, zumindest für religiöse Christen, bietet lediglich die Entscheidung, den alttestamentarischen Gott in seinen Gesprächen mit Moses von einem ziemlich aggressiven Kind verkörpern zu lassen). Er kann sich aber auch nicht dazu überwinden, die göttliche Intervention völlig unreflektiert als solche zu zelebrieren und die richtig dicke Pathos-Keule auszupacken. So wie Wyler und DeMille damals. Gegenüber seinem zentralen Thema bleibt der Film entschlossen unentschlossen. Und erweist sich leider auch jenseits dieser ganzen Religionsthematik als wenig überzeugend.
Das äußert sich vor allem angesichts der durchaus namhaften Schauspieler, die hier aufgefahren werden, für die es jedoch nur sehr wenig zu tun gibt. Die oben bereits angesprochene Blutleere einer zu angestrengten, steifen Inszenierung lässt wenig bis keinen Raum für überzeugendes Schauspiel und/oder große Charakterszenen. Symptomatisch, dass Moses seine legendäre, sogar in Gospel-Form verewigte Forderung "Let my people go!" hier nicht mal dezidiert aussprechen darf. Dass selbst ein Schauspiel-Gigant wie Christian Bale in solch einer Rolle blass bleiben kann, sagt schon einiges über den Film aus. Unterstrichen wird das noch durch die Gastspiele von Ben Kingsley, Sigourney Weaver und "Breaking Bad"-Star Aaron Paul, die trotz ihrer illustren Namen selbst mit gebündelter Kraft kaum auf ein Dutzend Dialogsätze kommen und ihre meiste Zeit als bessere Hintergrund-Staffage verbringen. Paul hat es besonders schlimm erwischt: Als Moses' vermeintlicher Sidekick Joshua verbringt er den Film eigentlich einzig damit, hinter irgendwelchen Steinen oder Büschen hervor zu lugen und Moses bei seinen Unterredungen mit einer (für ihn nicht sichtbaren) göttlichen Erscheinung zu beobachten. Das führt indes weder zu Zweifeln an Moses' geistiger Gesundheit noch wenigstens zu einer Unterredung der Art "Alter, was geht bei dir ab?". Wozu also das Ganze? Das hat sich vielleicht auch Aaron Paul selbst gefragt, der fortwährend mit Jessie Pinkman-Intensität in die Kamera starrt aber selbst nicht zu wissen scheint, was er hier eigentlich macht.
Der einzige, der hier halbwegs etwas zu spielen bekommt und das auch sehr passabel ausfüllt, ist Joel Edgerton als Ramses. Und dessen zentraler Konflikt mit Moses - der hier mehr noch als in früheren Adaptionen von dem Wunsch getrieben scheint, seinen (gefühlten) Bruder Ramses vor einem tragischen Fehler und dem Verlust seines eigenen Lebens zu bewahren - ist das einzige Motiv in dieser Geschichte, bei dem man verstehen kann, was Ridley Scott daran gereizt hat. Denn schließlich beging sein Bruder Tony Scott (ja selbst ein namhafter Regisseur, u.a. von "Top Gun", "Last Boy Scout" und "Staatsfeind Nr. 1") vor gut zwei Jahren Selbstmord. Die genauen Motive für diese Tat sind zumindest für die Öffentlichkeit nach wie vor unklar, dass Ridley Scott die Gedanken an seinen Bruder bei diesem Film nahe waren, zeigt aber ganz deutlich die Widmung zu Beginn des Abspanns. Es ist bedauerlich, dass Scott seinem Bruder keinen besseren Film widmen konnte.
Denn kurz vor diesem Abspann ist man nach zweieinhalb Stunden Laufzeit als Zuschauer das letzte Mal befremdet von diesem Film, der alles, was in der Bibel nach der Durchquerung des Roten Meeres kommt - die 40-jährige Reise zurück ins gelobte Land, die Sache mit dem Goldenen Kalb und diese Nummer mit den nicht ganz unbedeutenden zehn Geboten - im Eilverfahren und mit nicht mehr als ein paar bildlichen Andeutungen abfrühstückt, so als hätte es der Film auf einmal selbst total eilig, endlich fertig zu werden, um aufs Klo zu können. Sich groß "Exodus" aufs Plakat schreiben, und dann die relevante zweite Hälfte der Geschichte quasi komplett weglassen, ist definitiv eine eigenwillige Entscheidung - und verpasst diesem Film ein definitiv unbefriedigendes Ende.
Und zum Schluss noch als Fazit für all die Leute, die mit Religion überhaupt nix am Hut haben, die die ganze Exodus-Geschichte gar nicht so richtig kennen und die finden, dass diese fette Tsunami-Flutwelle im Trailer aber schon ganz cool aussah: Ja, Ridley Scott wäre nicht Ridley Scott, wenn er diese Geschichte nicht mit einigen spektakulären und beeindruckenden Bildern erzählen würde, und entsprechend ist der Film zumindest so lange ein echtes visuelles Kinoereignis, wie die biblischen Plagen über Ägpyten toben. Wenn man von einem Film über eine der zentralen religiösen Mythen der Menschheitsgeschichte nicht mehr erwartet als das - dann viel Spaß im Kino.
P.S.: Ein Gedanke für die Verschwörungstheoretiker. Angesichts dessen, dass Ridley Scott normalerweise eigentlich ein gutes Drehbuch erkennt, und dass zumindest zwei der vier hier mit einem Credit versehenen Autoren nachweislich wissen, wie eine anständige Figurendramaturgie funktioniert, sind die Schwächen des Films in dieser Hinsicht mehr als merkwürdig. Vor allem die beinahe Wortlosigkeit von Aaron Paul als Joshua, der inszeniert wird, als wäre er wichtig, doch es zumindest in dieser Fassung des Films absolut gar nicht ist. Ridley Scott hat mit "Königreich der Himmel" schon mal ein Historienepos gemacht, das von 20th Century Fox vertrieben wurde, und damals auf Drängen des Studios für die Kinofassung von über drei auf zweieinhalb Stunden eingekürzt wurde - was zu signifikanten Schwächen in der Charakterführung und vor allem zu einer völlig deplatziert wirkenden Nebenfigur führte, die im Director's Cut aber von hoher Bedeutung war. Das kam alles erst mit der DVD-Veröffentlichung eben dieser exzellenten Version heraus, nachdem die deutlich schwächere Fassung an der Kinokasse enttäuscht hatte. Man möchte Ridley Scott eigentlich zutrauen, dass er nicht denselben Fehler zweimal macht in den studiopolitischen Fallstricken der Filmproduktion (oder sogar dreimal, wenn man an die Geschichte von "Blade Runner" denkt). Trotzdem sollte es nicht verwundern, wenn auch von "Exodus" schließlich ein Director's Cut erscheint, der aus diesem sehr mittelprächtigen Film doch noch einen sehr guten macht. Das enttäuschende US-Startwochenende hat er mit "Königreich der Himmel" auf jeden Fall schon mal gemein.
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