Anmerkung: Dieser Text entstand ursprünglich im Rahmen unserer Berlinale-Berichterstattung, als "The Grand Budapest Hotel" als Eröffnungsfilm des Festivals lief.
Irgendwie stolpert der junger Schriftsteller (Jude Law) in das einst legendäre Budapest Hotel in Osteuropa. Viele Gäste sind nicht mehr da. Nach ein paar Tagen kennen sich alle vom Sehen. Doch dann taucht da eine Gestalt auf, die den Schriftsteller sehr interessiert. Es ist Mr. Moustafa Zéro (F. Murray Abraham) - der Besitzer des Hotels. Bei einem langen Abendessen erzählt er dem jungen Gast, wie er einst zu dieser Stellung gekommen ist. Es ist zum einen seine eigene Geschichte, des mittellosen Immigranten, der in den 1930er Jahren als Lobby Boy in ein aberwitziges Abenteuer gerät. Und zum anderen ist es die Geschichte seines Vorgesetzten, des Concierge M. Goustave (kongenial: Ralph Fiennes), der alte Damen beglückt, plötzlich ein Vermögen erbt und dann in die Fänge eines rachsüchtigen Clans und später auch der SS-Milizen gerät.
Die Frage, die „The Grand Budapest Hotel“ von der ersten Rückblende an stellt, ist folgende: Ist Wes Anderson bereit seinen doch so bewusst verschlossenen Kosmos, mit all seinen verschrobenen und liebgewordenen Figuren, nun auch durchlässig für historische Ereignisse zu machen? Ereignisse, wie das Aufkommen des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg? Das unterscheidet seinen neuen Film von allen seinen anderen Werken. Zwar überträgt der Regisseur die Tagebücher des deutschen Autors Stefan Zweig (von dem er sich hat inspirieren lassen) in seine gewohnt eigenwilligen knallbunten Bilderwelten, doch strahlen sie dieses Mal eine Ernsthaftigkeit aus, die sich nicht mit den emotionalen Trips seiner bisherigen Figuren vergleichen lässt. Der Zweite Weltkrieg unterwandert die Geschichte und wird in der Erzählung immer präsenter. Am Ende, wenn der Krieg dann tatsächlich ausbricht, verschwindet sogar die Farbe auf der Leinwand. Es ist zwar kein atemberaubender dramaturgischer Kniff, aber wer um den Wert der Farbe im Anderson-Kino weiß, der versteht dies als Statement - und es ist ein kraftvolles.
Aber ansonsten ist dies ein typischer Anderson-Film mit all seinen Marotten, die diesen texanischen Dandy zu einem der eigenwilligsten Filmemacher Amerikas machen. Wilde Kamerafahrten, Zooms, Kreisblenden, Fotostill-Collagen, Pastellfarben, Perücken, Glöckchenklänge auf der Tonspur und der obligatorische Off-Kommentar. Wobei dieser diesmal sehr breit angelegt ist, weil in der Rahmenhandlung sowohl Jude Law als auch Murray Abraham die Erzählung kommentieren und dann auch - in der eigentlichen Handlung - hin und wieder die anderen Figuren für kurze, irritierende Momente übernehmen und die Erzählung weiterführen.
Das Drehbuch sprudelt vor kleinen und großen Witzen, die mal elegant, dann wieder lediglich aneinandergereiht über die Leinwand geschoben werden. Doch durch die Länge des Films verliert Anderson ein wenig die Kontrolle und sein sorgsam dirigierter Film bekommt etwas Chaotisches. Spätestens dann fallen einem die vielen Wiederholungen auf. Ab einem gewissen Moment wird „The Grand Budapest Hotel“ sogar behäbig und monoton.
Doch Anderson hat noch ein As im Ärmel. Oder sind es gleich 20? Sein neuer Film ist viel mehr als alle vorherigen ein Starvehikel sondergleichen. Tilda Swinton spielt eine lüsterne Großmutter-Witwe mit bleichen Augen und Perücke. Edward Norton ist ein deutscher Milizenführer, der immer etwas zu spät um die Ecke kommt. Bill Murray ein Mitglied eines geheimen Concierge-Bundes und Willem Dafoe (neben Fiennes sicherlich die größte Überraschung) ein rachsüchtiger Killer, der das pure Böse ausstrahlt. Außerdem mit an Bord: Léa Seydoux, Owen Wilson, Jason Schwartzman, Adrien Brody, Harvey Keitel, Tom Wilkinson, Jeff Goldblum, Mathieu Amalric, und, und , und ... Es wäre sicherlich einfacher aufzuzählen, wer nicht in diesem Film mitspielt als umgekehrt.
Die schiere - selbst für Anderson-Verhältnisse große - Masse an internationalen Schauspielstars macht den Film phasenweise auch zu einer Art „Erkennst du den Star hinter der Schminke“-Quiz. Auch deshalb wird Wes Anderson weiter das Publikum spalten. Die, die ihn bislang nicht lieb gewonnen haben, werden ihn jetzt auch nicht mehr mögen. Seine Fans hingegen umso mehr.
Es ist für die Berlinale ein toller Beginn. Das ist ohne Frage. Bill Murray sorgte bei der Pressekonferenz für Spaß und witzelte sich durch die - überraschenderweise - respektvollen Fragen der Journalisten. Durch die starke deutsche Koproduktion durfte sich auch Florian Lukas über eine kleine, feine Nebenrolle (oder wie das bei Anderson auch immer heißt, wenn Bill Murray weniger Leinwandzeit bekommt als sein deutscher Kollege) freuen. Irgendwie sind alle glücklich. Und die Kritiker durften weiter diskutieren, ob sich der einzig wahre Autorenfilmer der USA nun in eine neue Schaffensphase begibt, oder ob der Osteuropa-Kitsch-Trip für Anderson nur eine Episode bleibt.
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