Der Medicus

Originaltitel
The Physician
Jahr
2013
Laufzeit
150 min
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Volker Robrahn / 23. Dezember 2013

medi 1In den ersten Jahren nach seinem Erscheinen konnte man den dicken Mittelalter-Schinken von Noah Gordon praktisch auf jedem zweiten Nachttisch finden, vorwiegend allerdings auf der weiblichen Seite des Bettes. Stolze sechs Millionen Exemplare wurden von seinem „Medicus“ alleine in Deutschland abgesetzt und viele weitere im Rest Europas. Im Heimatland des Schriftstellers blieb das Buch allerdings eher unbekannt, weshalb sich auch kein Hollywood-Studio mit dem Gedanken trug den Stoff fürs Kino umzusetzen. Hierzulande gab es dagegen diverse Versuche, u.a. vom in diesem Bereich erfahrenen Bernd Eichinger, doch blieben diese sämtlichst im Anfangsstadium stecken und scheiterten vor allem daran, den mehreren praktisch für sich stehenden Kapiteln der Erzählung eine gemeinsame filmtaugliche Struktur zu verpassen. Die letztendlich für geeignet befundene Fassung des Drehbuchautors Jan Berger („Wir sind die Nacht“, „Die Tür“) nimmt sich dann auch einige Freiheiten, komprimiert einerseits die Handlung, fügt aber andererseits auch ganz neue Stränge oder Figuren hinzu. Das Ergebnis ist eine im Vergleich zum Buch recht konventionelle Erzählung, die aber tatsächlich weitgehend funktioniert
 

medi 2Im mittelalterlichen England des 11. Jahrhunderts sind die Lebensbedingungen hart und von einer medizinischen Versorgung kann kaum die Rede sein. So verliert auch der junge Rob Cole (Tom Payne) seine Mutter an die gefürchtete „Seitenkrankheit“, da zu dieser Zeit noch niemand weiß, wie man einen Blinddarmdurchbruch behandeln muss. Rob schließt sich einem umherreisenden Bader (Stellan Skarsgard) an, der den Menschen gegen Bezahlung zumindest so etwas wie eine Grundversorgung bei leichten Krankheiten oder Verrenkungen der Gliedmaßen anbietet. Als er mit eigenen Augen das weit höhere Niveau der Künste von aus dem Orient stammenden Ärzten erlebt, beschließt Rob sich auf die lange Reise nach Isfahan in Persien zu machen, wo der größte lebende Mediziner seiner Zeit leben soll, ein Mann namens Ibn Sina (Ben Kingsley). Da Christen dort nicht gern gesehen sind, nimmt Rob eine jüdische Tarnidentität an und lernt auf dem Weg durch die Wüste die schöne Rebecca (Emma Rigby) kennen, die ebenfalls auf dem Weg nach Isfahan ist und dort verheiratet werden soll. Bei einem Sandsturm werden sie getrennt, doch der junge Engländer erreicht schließlich trotzdem sein Ziel, wird zum wissbegierigen Schüler des Meisters und schließt Freundschaft mit dem lebensfrohen Studenten Karim (Elyas M'Barek). Doch Isfahan ist nur oberflächlich eine heile Welt, es lauern Gefahren wie die Pest oder vor den Toren der Stadt aufmarschierende religiöse Fanatiker, denen das vom Schah (Oliver Martinez) tolerierte multikulturelle Treiben ein großer Dorn im Aug ist.

 

medi 3Das ist doch mal was Anderes: Eine Erzählung, in der sich das rückständige Europa von den kulturell deutlich höherstehenden arabischen Staaten Einiges abschauen kann. Was historisch korrekt durchaus den Zuständen der geschilderten Zeit entspricht, auch wenn sich ansonsten sowohl die Buchvorlage als auch ihre Adaption diverse Freiheiten nehmen und vor allem was die Medizin betrifft mehrere Aspekte zusammenführen, die so eigentlich nicht zeitgleich ablaufen konnten. Doch auch im vorbildlichen Isfahan warten die islamistischen Fanatiker nur auf die Gunst der Stunde um ihre Auffassung der einzig wahren Religion durchzusetzen und man kommt kaum umhin, hier Parallelen zu unserer Gegenwart zu ziehen, was der Geschichte schon mal einen gewissen Mehrwert verleiht. Wertvoll ist auch die Ausstattung, das knapp unter 30 Millionen Euro liegende Budget ermöglichte eine ansprechende Präsentation, was vor allem für die Außenaufnahmen des alten England (für das der deutsche Harz als Drehort einspringen musste) und prächtigen Wüstenszenen gilt, während man den Innenaufnahmen mitunter eine gewisse Studio-Künstlichkeit nicht absprechen kann.


medi 4Insgesamt zeigt sich Regisseur Philipp Stölzl der anspruchsvollen Aufgabe aber gewachsen, ist der Mann der bisher Kinofilme wie „Goethe!“ und „Nordwand“, aber auch diverse Theaterstücke und Opern inszenierte doch sowieso eine Art Spezialist für historische Stoffe. Sicher, man hätte aus dem Stoff natürlich stattdessen einen Fernseh-Mehrteiler machen können und es wird auch eine noch etwas längere TV-Fassung geben, doch war die Grundsatzentscheidung für die Kinoleinwand trotzdem keine falsche. Erstens weil der Film dort sehr gut wirkt und zweitens weil es in der Tat gelungen ist eine „runde“ Geschichte zu entwickeln, auch wenn der Kenner der Vorlage dafür nun einige Abweichungen schlucken und verdauen muss. Das gilt sowohl für die eingebaute, recht klassisch verlaufende Romanze als auch für die als Aufhänger und Motivation benutzte „Seitenkrankheit“, die den Film in gewissem Sinne eröffnet und auch abschließt. Der wirkt dadurch aber nun weniger episodisch als der Roman, auch wenn er streng genommen immer noch aus drei Einzelteilen besteht, wobei allerdings die eigentlich lange Reise des Helden durch die Wüste relativ schnell abgehandelt wird.

Und mit einem echten „Helden“ als Identifikationsfigur haben wir es hier durchaus zu tun, denn obwohl Rob Cole in seinem Wissensdrang die eine oder andere moralische Grenze überschreitet, nimmt er den Zuschauer dabei emotional stets mit und verleiht ihm das Gefühl auf der richtigen Seite zu stehen. Ein Verdienst vor allem des jungen Hauptdarstellers Tom Payne, bisher nur aus wenigen englischen TV-Auftritten bekannt, dessen Rob so natürlich und temperamentvoll daherkommt, dass es äußerst erfrischend wirkt (der Eindruck, den der Schauspieler beim Interview mit Filmszene vermittelte deutet darauf hin, dass er sich für diese Rolle nicht allzu sehr verstellen musste). Seinen Gegenpart in Sachen Temperament und Erfahrung gibt Ben Kingsley in einer für ihn nicht untypischen Rolle als weiser Lehrmeister, doch verleiht der Oscar-Preisträger seinem Ibn Sina (eine der wenigen historisch verbürgten Figuren der Erzählung) immerhin auch einige Ecken und Kanten.

medi 5Eine vielleicht nicht unbedingt erwartete gute Figur macht auch der deutsche Shooting-Star Elyas M`Barek ("Fack ju, Göhte“) als zwar ebenfalls wieder etwas leichtlebiger Student Karim, der aber doch ein gutes Stück von den bisherigen Figuren M`Bareks entfernt und insgesamt ernsthafter angelegt ist. Interessant gezeichnet wird auch die Person des Schahs, einerseits ein typisch selbstgefälliger, dekadenter Machthaber, auf der anderen Seite aber auch ein entschlossener Beschützer seines Reiches und der von ihm vorgegebenen Toleranz unterschiedlicher Religionen und Lebensweisen. Oliver Martinez spielt diesen ambivalenten Charakter solide, was ebenso für die Newcomerin Emma Rigby gilt, deren Möglichkeiten zur Entfaltung jedoch auch bei der einzig vorhandenen weiblichen Figur von Relevanz beschränkt bleiben.

 

Langeweile kommt keine auf in den zweieinhalb Stunden, die sich „Der Medicus“ für seine Geschichte nimmt. Man muss nun nicht gleich ins ganz hohe Vergleichsregal eines „Lawrence von Arabien“ greifen, wie es bereits einige Medien getan haben, doch im Vergleich zu anderen in Deutschland produzierten Literaturverfilmungen wie etwa „Das Parfum“ oder „Die Päpstin“ schneidet der „Medicus“ sehr gut ab. Der Starttermin zu Weihnachten ist passend gewählt und diese Version des Stoffes bietet eine packende Story, angereichert mit etwas historischem und politischem Hintergrund. Beste Unterhaltung also allemal - und zwar für beide Geschlechter.

Bilder: Copyright

9
9/10

Sind versehentlich in diesem Film gelandet und fanden ihn alle sehr gut!! Gründe dafür:
- Wie bereits von Herrn Robrahn bemerkt: der Film ist kugelrund, ist lang aber wird nicht lang-weilig!
- Das Aufeinandertreffen der Religionen (Judentum & Islam) ist geschickt eingefädelt
- Man wird getragen von dem Wissensdurst des Hauptdarstellers

am Ende fragt man sich: "Wow. Und was mach ich jetzt eigentlich mit meinem Leben?!"

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6
6/10

Als bunter Abenteuerschinken zur Unterhaltung um die Weihnachtszeit herum ist das Ganze recht prächtig gelungen.
Einen höheren Anspruch in Sachen Historie oder Medizinforschung darf man aber nicht stellen.

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