Wir sind die Nacht

Jahr
2010
Laufzeit
100 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 14. November 2010

Und es gibt sie doch: Gute Ideen für überzeugende Genre-Filme, ersonnen von talentierten deutschen Filmemachern. Einzig, man bekommt sie so gut wie nie zu sehen, da sich kaum jemand in Deutschland traut, in Genre-Ware zu investieren - die Angst vor einem Flop, der sich nicht rentiert, ist zu groß bei Filmen jenseits der breitvermarktbaren und somit sicheren Pfade im üblichen Drama- und Komödienbereich. Was es alles braucht, bis endlich mal ein echter Genre-Film aus Deutschland zustande kommt, und was dabei dann Erfreuliches herauskommen kann, beweist "Wir sind die Nacht".
Die erste Drehbuchfassung dieses Films hatte Dennis Gansel schon vor 14 Jahren geschrieben, als er und sein heutiger Produzent Christian Becker noch zwei befreundete Filmstudenten waren. Aber in einen Vampir-Film aus Deutschland von einem unbekannten Regisseur wollte damals niemand Geld stecken - wer will denn sowas sehen? Es bedurfte erst einem mehr als überzeugenden Start in eine beeindruckende Regiekarriere seitens Gansel - der nach "Mädchen Mädchen" und "Napola" mit seinem letzten Film "Die Welle" immerhin 2,6 Millionen Zuschauer ins Kino lockte -, eine Drehbuch-Überarbeitung des aufstrebenden und hochtalentierten Spielfilm-Autoren Jan Berger ("Eine andere Liga", "FC Venus", "Die Tür") und vor allem den fulminanten Erfolg der "Twilight"-Reihe mit dem einhergehenden Beweis, dass sich mit Vampir-Filmen sehr wohl und nicht zu knapp Geld verdienen lässt, bevor dann doch genug Investoren und Filmförderungsanstalten ausreichendes Vertrauen in dieses Projekt gewannen, dass es endlich verwirklicht werden konnte. Was lange währt, wird endlich gut. Und es wurde in der Tat sehr gut.

Lena (Karoline Herfurth) ist eine Berliner Punk-Göre mit einem eher trostlosen Leben, bis sie eines Nachts zufällig in einen verborgenen Underground-Club gerät und dort die Aufmerksamkeit von Club-Besitzerin Louise (Nina Hoss) auf sich zieht. Die ist gut 250 Jahre alt, eine Vampirin und macht nun auch Lena zu einer, womit ihre Frauen-Vampir-Clique neben der schwermütigen Charlotte (Jennifer Ulrich aus "Die Welle") und der ausgeflippten Nora (Shooting-Star Anna Fischer aus "Groupies bleiben nicht zum Frühstück") um ein weiteres Mitglied erweitert wird. Nach ihrer verstörenden Verwandlung zur Vampirin wird Lena von Louise und Co. in die Annehmlichkeiten des unsterblichen Daseins eingeführt. Doch Lena tut sich schwer damit, nicht nur weil sie keine Menschen töten will, wie es zur Nahrungsaufnahme von Nöten ist, sondern auch da sie sich in den Polizisten Tom (Max Riemelt) verliebt hat, der der von Louises Truppe hinterlassenen Spur aus Blut und Leichen nachforscht.

Was "Wir sind die Nacht" zu einem tollen Kinoerlebnis macht, ist die herausragende Inszenierung von Dennis Gansel, der mit viel Stil und Tempo das exzessive Nachtleben seiner Blutsaugerinnen in einen visuell begeisternden, sehr atmosphärischen Bilderrausch verwandelt und dabei nebenbei einen famosen Berlin-Film abliefert. Mit großartigem Gespür für bildstarke Settings nutzt der Film einige von Berlins markantesten Orten jenseits der üblichen Touri-Bezirke (wie den stillgelegten Freizeitpark im Plänterwald, den Teufelsberg oder den Schöneberger Gasometer), um ein besonderes Berlin-Flair ganz ohne Postkartenmotive zu erzeugen. Es ist eine Mischung aus den unheimlichen Seiten der Stadt und ihrem Image als weltweit bekannte Party- und Nachtleben-Metropole, also genau die Mischung, die die Grundzüge des Vampir-Mythos ausmacht: gothic und gefährlich, aber auch verführerisch und aufregend.
"Wir sind die Nacht" bietet zudem eine interessante Variation des Vampir-Themas und ist damit auch aus Genre-Sicht ein bemerkenswerter und unbedingt sehenswerter Film. In einem von seinem üblichen "Reglement" her sehr starren Subgenre wie dem Vampir-Film muss man schon einigermaßen originell sein und etwas erfrischend Anderes bieten, um aufzufallen. Dass "Wir sind die Nacht" genau dies gelingt, könnte der entscheidende Faktor sein, um den Film auch international zu einem Erfolg zu machen. Denn was man hier erlebt, ist quasi die emanzipiert-feministische Version der Vampir-Welt. Wie das Drehbuch in einer kurzen Szene etabliert, gibt es auf der ganzen Welt nur noch weibliche Vampire, nachdem die Männer sich durch eigene Leichtsinnigkeit größtenteils selbst ausgelöscht haben. Für die endgültige Ausrottung sorgten die Damen dann schließlich durch eigenen Einsatz, und verwandeln seit über 100 Jahren nur noch Geschlechtsgenossinnen in frische Blutsauger. Die lesbische Louise hat eine besondere Freude daran, verkommene Subjekte der Männerwelt vom Leben zum Tode zu befördern: "Je böser der Mann, desto süßer das Blut".
Während das Vampir-Genre die weibliche Psyche sonst zumeist dadurch anspricht, dass es mit der Verführungskraft des Bedrohlichen spielt und den Biss des Vampirs zur offensichtlichen Metapher für die vollkommene Hingabe beim sexuellen Akt macht (wie eben z.B. in der "Twilight"-Reihe), bedient "Wir sind die Nacht" eine andere Begierde, nämlich die Sehnsucht nach ewiger Jugend und Schönheit. Die "Heldinnen" von "Wir sind die Nacht" leben den ewigen Rausch, "Fressen, saufen, koksen, vögeln - ohne die hässlichen Nachwirkungen" wie Nora an einer Stelle meint. Sie leben in Saus und Braus, ergötzen sich an endlosen Partys und exzessiven Shopping-Touren und sehen dabei durchweg umwerfend aus. Ein wirklich verführerischer Rausch von Freiheit, Unabhängigkeit und Machtgefühl.
Der Film gibt seinen vier Protagonistinnen dabei einen jeweils ganz eigenen Stil, was auch die Kostümgestaltung des Films zu einem besonderen Erlebnis macht. Während sich Lena von einem abgerockten Punk-Mädel in eine stilvoll-kühle Großstadt-Gazelle wandelt, hat Louise sich die klassische Anmut der Renaissance bewahrt, in der sie einst aufgewachsen ist. Charlotte war ursprünglich eine aufstrebende Stummfilm-Schauspielerin, in deren Garderobe und Habitus sich der Stil der 1920er Jahre spiegelt, während die von Louise in den 90er Jahren auf der Love Parade gebissene Nora ein farbenfrohes, stets zappeliges Techno-Girlie ist. Entsprechend gestaltet sich auch das Spiel der vier "leading ladies", wobei Anna Fischer manchmal ein bisschen sehr rumflippt und ihre Figur daher ein wenig anstrengend ist. Ihre Klage "Wir gönnen uns viel zu selten ein paar Zuhälter!" ist trotzdem sehr amüsant. Ohne Abstriche absolut großartig ist indes erneut Karoline Herfurth, die hier einmal mehr unterstreicht, dass sie trotz ihrer noch jungen Jahre schon längst eine von Deutschlands führenden Schauspielerinnen ist.
Dennis Gansel verzichtet auf archaische Elemente des Vampir-Mythos wie Kruzifixe, Weihwasser und Holzpflöcke durchs Herz und beschränkt sich auf die bildstarken Aspekte des Vampir-Regelwerks: Blutsaugen, fehlende Spiegelbilder und Verbrennen bei Berührung mit Tageslicht. Mit diesem hervorragenden Gespür für eine visuell aufregende Welt, deutlich unterstrichen von der zum Teil grandiosen Ausstattung und Set-Wahl, gelingt Gansel ein hochmoderner, stilsicherer Großstadt-Film absolut auf der Höhe seiner Zeit - trotz des alteingesessenen Mythos, mit dem er spielt.

Die Geschichte von "Wir sind die Nacht" ist ein überzeugend umgesetztes Drama, das seine emotionalen Konflikte mit effektivem Pathos und konsequent durchspielt, und in seinen stärksten Momenten sogar wirklich rührend ist (bemerkenswert der kleine, aber feine Subplot um Charlottes Tochter, die sie nach ihrer Verwandlung verlassen musste). Trotzdem bietet die Handlung nicht sehr viel, was den Film nachhaltig in Erinnerung hält, zumal hier kein wirklich befriedigender Schluss gelingt. Was den Film auszeichnet und zu einem wirklich guten Film macht, ist die faszinierende Welt, die er erzeugt, und die Inszenierung, die diese zu aufregendem Leben erweckt. Auch wenn noch immer (viel zu) viele Leute rumlaufen, die partout nicht glauben wollen, dass es so etwas überhaupt gibt: "Wir sind die Nacht" ist ein definitiv stylisher und sehr cooler Film aus Deutschland. Und davon könnten wir noch viel mehr haben. Es müsste nur mal endlich möglich gemacht werden, die Ideen dafür auch wirklich verfilmen zu können.

Bilder: Copyright

1
1/10

"Wir sind die Nacht", Deutschlands erster signifikanter Beitrag zum Vampir-Genre seit dessen Geburt mit Murnaus "Nosferatu".
Hmmm...abgesehen von Herzogs Remake "Nosferatu – Phantom der Nacht" (1979) mit Herrn Kinski, bleibt diese Aussage eine Vermutung.
Denn ob ein Film als signifikant betrachtet werden kann, erschließt sich filmhistorisch erst im Nachhinein.

Mein erster Eindruck zum Film und Trailer: Style over Story.

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1
1/10

Dieser Film ist der schlechteste Film des Jahres! Die Dialoge sind peinlich, das Styling unterirdisch, die schauspielerischen Leistungen sind entweder gewollt überzogen - oder zum fremdschämen. Ich weiss nicht wie man sich trauen kann, soetwas auf die Leinwand zu schicken. Selbst straight-to-DVD wäre zuviel für diese filmische Wurst! Diese äußert gute Kritik hier hat mich dazu gebracht, 8 Euro auszugeben - weil auch deutsche Filme super sein können. Der hier aber definitiv NICHT!

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also, daß der autor dieses films der „hochtalentierte“ jan berger ist, der das grottige drehbuch für „VC venus“ verfaßt hat, macht mir mehr angst als alle vampire zusammen. hoffe, daß sich all sein talent hier voll entfaltet – beim drehbuch von „FC venus“ hat er sich definitiv nicht verausgabt.

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3
3/10

Deutsche Filme schaffen es nur selten, dass man in ihnen versinkt. Auch hier sehe ich die ganze Zeit immer nur die Schauspieler, das Makeup, die Kontaktlinsen und auswendig gelernte Dialoge. Noch schlimmer wiegt bei diesem Film, dass gerade bei einem Film mit Vampirinnen die Liebesgeschichte einfach nur schlecht ist und das Quentchen Vampir-Erotik fehlt. Alles sehr bemüht, ohne aber eine packende Wirkung zu erzeugen.

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"'Wir sind die Nacht', Deutschlands erster signifikanter Beitrag zum Vampir-Genre seit dessen Geburt mit Murnaus 'Nosferatu'."
Der kleine Vampir?

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8
8/10

Wirklich nicht schlecht. Ich bin sonst kein Freund von Vampirgeschichten. Aber dieser Film ist gut. Temporeich, kurzweilig, bestens besetzt und einfach gut gemacht.

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2
2/10

Naja, man klaue ein bisschen bei Blade greift sich ein bisschen von der Ähstetik True Bloods ab und nimmt nochmal eine Prise Interview mit einem Vampir, quirlt das ganze einmal durch und schneidet die Labels ab um sie an anderer Stelle wieder anzubringen und schon haben wir Germaniens ersten signifikanten Beitrag zum Vampire Genre.

Herzlichen Glückwunsch Deutschland!

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8
8/10

Ich kann mich der Kritik von Herrn Helmke eigentlich nur rundum anschließen: einziger Wermutstropfen für mich war das "evil/dead lesbian"-Klischee, das leider schon viel zu lange durch TV und Kino geistert. (Für jene, denen das kein Begriff ist: wenn sich in einem Film oder einer Serie zwei Frauen küssen, muss entweder eine von beiden sterben, erweist sich als "böse", oder man wählt gleich eine Kombination dieser beiden Motive. Beispiele gefällig? Tara und Willow in Buffy the Vampire Slayer, Talia Winters und Susan Ivanova in Babylon 5, Admiral Helena Cain in Battlestar Galactica, Karen und Martha in "Infam" (1961), Betty und Rita in "Mulholland Drive", Pauline und Victoria in "Lost and Delirious", Pauline und Juliet in "Heavenly Creatures", usw. usf.

Es wäre wirklich mal Zeit, mit diesem Stereotyp zu brechen. Schade, diese Chance wurde verpasst.

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Ach herrjeh, "die emanzipiert-feministische Version der Vampir-Welt". Darauf hat die Welt gewartet... wie gut, daß ich mir nichts aus Vampirfilmen mache. ;)

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7
7/10

Besser als die ganzen Twilightfilme oder ähnliches Zeug.
Sehr gute Musikauswahl, Atmosphäre kommt gut rüber, oft "mysteriös-düster-spannend"!
Gute Film, um Vorurteile gegenüber deutschen Filmen über Board zu werfen!

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2
2/10

Fremdschämen Rulez! Genauso schlimm wie bei Die Welle. Geht gar nicht.

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8
8/10

Aus Hollywood kommt Action und CGI, aus Deutschland der Tatort... "Wir sind die Nacht" ist ein ordentlich unterhaltender Film aus Deutschland, mit Mut zu einem ungewöhnlichen Thema, mit Action, und auch etwas Neuem: ein depressiver Vampir, eine ewig junge Mutter am Totenbett der Tochter, ...
Der Film ist ein sehr schön anzusehender Tatort.

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8
8/10

Habe mir gestern die DVD gekauft und bin wirklich positiv überrascht - der Film ist schnell, stylish, spannend und extrem unterhaltsam.

WIR SIND DIE NACHT startet mit einem wirklich originellen Vorspann und einem heftigen aber bemerkenswerten Anfang der Lust auf mehr macht.

Die folgenden 20 Minuten haben den ein oder anderen Hänger aber dann geht es richtig los und es kommt keinerlei Langeweile auf. Die Inszenierung ist sehr temporeich, die Bilder aufgeladen und die Sets stylish in Szene gesetzt. Darstellerisch habe ich die Leistung nicht gleich stark empfunden: Anna Fischer hat teilweise extrem dämliche Dialoge die wirklich etwas peinlich sind und teilweise einfach völlig unpassend sind. Karoline Herfurth liefert eine solide Leistung ab, richtig beeindruckend fand ich allerdings Nina Hoss und vor allem Jennifer Ulrich denen man am ehesten ihre Rolle abnimmt. Ulrich hat nur relativ kurze aber dafür umso stärkere Szenen - Mordszene im Tropical Island, Schusswechsel im Hotel, am Sterbebett der Tochter, Selbstverbrennung um die wichtigsten zu nennen. Gerade bei den beiden letztgenannten Sequenzen kam bei mir zumindest teilweise soetwas wie "Verständnis" bzw. Mitleid für die mörderischen Ladys auf.

Insgesamt ein sehr eigener, deutscher Film der sich trotz seines vergleichbar geringen Budgets hinter Hollywood verstecken muss: Musik, Effekte, Darsteller und Action sind auf hohem Niveau und man merkt dem Film die Ambition - das Herzblut - seines Regisseurs absolut an.

Fazit: Nachdem der Film im deutschen Kino erwartungsgemäss (zu Unrecht) mehr oder weniger ignoriert wurde bleibt zu hoffen das die DVD/Blu Ray Auswertung erfolgreicher ausfällt damit auch zukünftig ambitionierte und extrem gut umgesetzte "Made in Germany"-Projekte wie diese eine Chance erhalten. ABSOLUTER TIPP - ANSCHAUEN!

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