„Casino Royale“ spaltete schon die Meinungen zum Thema „neuer anderer James Bond“, aber der wirkliche Litmus-Test für Freunde des britischen Agenten mit der Lizenz zum Töten war dann 2008 „Ein Quantum Trost“, zu dem die Diskussionen auch hier auf der Filmszene kontrovers geführt wurden. Denn wenn nach Wiederansicht des Films in Vorbereitung auf „Skyfall“ auch der Autor dieser Zeilen anerkennen muss, dass seine damalige Begeisterung und Bewertung vielleicht etwas zu enthusiastisch waren, so hat „Ein Quantum Trost“ doch auch nicht verdient, als grandios schlechter Film erinnert zu werden. Auf eines konnten aber auch wir bei der Filmszene uns einigen, nämlich dass sich die Macher mit diesem Film so weit wie eben möglich von der altbekannten Bond-Formel weg bewegt hatten und dass der Nachfolger sich doch wieder näher in klassische Gefilde zurückfinden sollte, damit eben auch noch Bond ist, wo Bond draufsteht.
Das hat man nun gemacht und so können wir „Ein Quantum Trost“ wie seinen Vorgänger im Geiste „Lizenz zum Töten“ als mutigen und faszinierenden, wenn auch nicht hundertprozentig erfolgreichen Versuch, mit den Formeln zu brechen, abhaken und uns ganz auf „Skyfall“ konzentrieren. Und dann konstatieren, was die althergebrachte Bondgemeinde hören will: Nein, es gibt hier keine Wackelkamera und keinen Epileptiker im Schneideraum. Ja, die Laufzeit wurde wieder auf Bond-typische Überlänge angehoben. Nein, keine Quantum-Organisation mehr mit ihren doch eher bürokratischen Bösewichten. Ja, hier gibt es wieder mehr Sachen, mit denen sich Freunde der alten Serie anfreunden können. Ach, und übrigens: Mit „Skyfall“ haben Sam Mendes und Co. mal eben einen der besten Bond-Filme aller Zeiten gemacht.
Dabei gibt „Skyfall“ wie auch sein direkter Vorgänger James Bond (Daniel Craig) eine persönliche Involvierung in das ihn umgebende Drama, denn ein mysteriöser Attentäter (Javier Bardem) hat es offensichtlich auf Bonds Chefin M (Judi Dench) abgesehen. Nachdem er ihr mysteriöse Nachrichten auf ihren Computer geschickt hat, in der er ihre Sünden in der Vergangenheit anspricht, attackiert der Unbekannte aus der Ferne das Hauptquartier des MI-6. Zeit für Bond, der selbst seine Probleme mit M hat, der Sache auf den Grund zu gehen...
Diese Inhaltsgabe ist absichtlich kurz und relativ vage gehalten, denn eine der großen Freuden von „Skyfall“ ist es, die diesmal eben nicht so abgewetzte Bond-Story Schritt für Schritt für sich selbst zu entdecken. Das fängt schon mit der bekannten Action-Teasersequenz an, die eindeutig nicht so endet, wie man sich das vorstellt. Das ist nur passend für einen Film, der innerhalb der relativ rigiden Vorgaben eines Bond-Films immer wieder überraschen kann, besonders mit Kleinigkeiten. Zu denen gehören diverse nette Verweise auf die Bond-Filme der klassischen Phase, an der sich Nostalgiker und Craig-Skeptiker erfreuen dürften, etwa wenn ein bestimmtes Automobil (ohne Product Placement-Deal!) wiederbelebt wird, und das zum klassischen Bond-Thema. Und spätestens die Schlussszene sollte klassische Bond-Fans doch ein wenig mit der Craig-Reihe versöhnen können, ebenso wie der deutlich angehobene Anteil an (intelligentem) Humor, den gerade „Quantum“ deutlich vermissen ließ. Dazu kommen elegante Actionszenen im klassischen Stil, aber mit moderner Rasanz wie die einführende Verfolgungsjagd durch Istanbul, und eben so Bond-typische exotische set pieces (wie ein Besuch in einem Casino in Macau).
„Skyfall“ hat zwar die meisten Elemente der klassischen Bond-Ära von allen Filmen nach dem Reboot, bleibt gleichzeitig jedoch seinem Hang zum Intimen und Psychologischen treu. Und deshalb wird der Showdown des Films wie in „Casino Royale“ eher durch seine Atmosphäre denn durch seine Riesenexplosionen bestimmt, findet in einem genialen Setting statt (welches dem Film seinen Titel gibt) und gibt gleichzeitig noch Einblicke in die Herkunftsgeschichte Bonds, die wir in den 50 Jahren, die es die Figur auf der Leinwand nun schon gibt, noch nie hatten. All das ist so ein rundes Paket, und so nah dran an einem quasi perfekten Bond-Film, dass man eigentlich gar nicht meckern will.
Aber: Gerade denen, die bei „Ein Quantum Trost“ noch maulten, dass da eine halbe Stunde fehle, muss gesagt sein, dass „Skyfall“ wie auch „Casino Royale“ oder „GoldenEye“ doch ein gutes Stück zu lang geworden ist. Über zweieinviertel Stunden lang Spannung aufrecht zu erhalten ist kein leichtes Unterfangen, und wenn man „Skyfall“ einen Vorwurf machen kann, dann dass er in seinem Hang zu mehr klassischem Bond leider auch dessen klassische Überlänge mit einigen Durchhängern übernommen hat. So zieht sich etwa der ansonsten in Stimmung und Aufbau geniale Showdown doch etwas in die Länge. Aber das ist jetzt wirklich eine Kleinigkeit.
Nachdem Marc Forster als Regisseur bei „Ein Quantum Trost“ augenscheinlich doch ein Fehlgriff war, haben die Produzenten nun mit Sam Mendes ("American Beauty", "Zeiten des Aufruhrs", "Road to Perdition") den nächsten Regisseur angeheuert, der eigentlich eher aus dem Charakter- und Kunstfilmfach kommt. Allerdings ist Mendes auch der erste Oscar-prämierte James Bond-Regisseur. Und als wolle er die Berechtigung dieser Auszeichnung auch nochmal mit Nachdruck beweisen, zeigt Mendes so wie Joss Whedon es im Frühjahr mit den „Avengers“ machte (und wie Martin Campbell bei „Casino Royale“ es vormachte), wie man einen Blockbuster inszeniert: Man gibt den Helden persönliche Motivationen und involviert sie direkt in die Konflikte des Films. Für sie steht etwas Persönliches auf dem Spiel, nicht nur ein schnödes „Mal eben die Welt retten“. Auch die Schurken haben nachvollziehbare Motive abseits von „Mal eben die Welt unterwerfen“.
„Skyfall“ wiederholt gewisse Motive von „Die Welt ist nicht genug“, der ja aufgrund seiner emotionalen Komponente der wohl beste Bond aus der Pierce Brosnan-Ära war, und verfeinert diese. Hier wie da kommt M eine wichtige Rolle zu, aber hier in „Skyfall“ darf Dench zum ersten Mal zeigen, was in ihr steckt, anstatt hauptsächlich als Stichwortgeberin zu fungieren. Zudem arbeitet der Film geschickt mit ihr als Mutterfigur für ihre Agenten, in der Bond als der sich zwar mit ihr zankende, letztlich aber für sie bis zum Ende einstehende Ziehsohn fungiert und Javier Bardems Silva als dessen pervertiertes Spiegelbild, der es seiner „Mutter“ heimzahlen will.
Ein Held ist nur so gut wie sein Gegenspieler – für kaum eine Filmreihe trifft dies mehr zu als für die James Bond-Filme. Nicht umsonst sind etwa Gert Fröbes Goldfinger, sein Helfer Oddjob oder der „Beißer“ Kult geworden. Und während die Bösewichter der Quantum-Organisation in den letzten beiden Filmen ja eher unscheinbare Mittelmänner waren, kleine Bürokraten in einem großen System, so geht man hier zurück zu den flamboyanten, überlebensgroßen Bösewichtern der klassischen Ära (sogar mit ebenso überlebensgroßem Geheimversteck!), ohne den für die Craig-Ära üblichen Realismus zu opfern. Wo es vorher um Geldwäsche und Ressourcenmonopole ging, ist der Bösewicht hier ein Cyberterrorist. Aber was für ein Bösewicht! Dass Javier Bardem dafür gemacht ist, erinnerungswürdig böse zu sein, ist ja spätestens nach seiner Oscar-prämierten Darstellung des gnadenlosen saint of killers Chigurh in „No Country For Old Men“ bekannt. Sein Raoul Silva ist mindestens ebenso erinnerungswürdig.
Interessant dabei, wie man Silva aufbaut, denn er dürfte den Rekord halten für den Bösewicht, der am spätesten in einem Film auftaucht. Es dauert geschlagene 70 Minuten – also eine Zeit, bei der andere Filme schon zum Showdown blasen – bevor Silva das erste Mal auftritt, und diesen ersten Auftritt gleich zu einer der erinnerungswürdigsten Sequenzen in einem Bond-Film macht. Die Brillanz in Bardems Spiel liegt in dem Humor, den er in seine Figur einbringt, es werden gar Erinnerungen an Heath Ledgers Joker in „The Dark Knight“ wach (und zumindest eine Storryparallele ist schwer zu übersehen). Sein offensichtlicher Wahnsinn bekommt aber auch eine tragische Note, wenn man erfährt, wie er so wurde und welche Rolle M darin spielte. Kurzum: Silva ist einer der beeindruckendsten und markantesten Bösewichte der gesamten Bond-Saga. Irgendwas in absurden Bösewichten mit absurder Haarpracht scheint das Beste in Bardem hervorzubringen.
„Skyfall“ ist für den erst dritten Bond der Craig-Ära ein Film mit einem so nicht erwarteten Thema: Alter und Nützlichkeit werden hier in den Vordergrund gestellt, sowohl was Bond als auch M betrifft. Ist ein ständig rennender, sich prügelnder Agent wie James Bond überhaupt noch zeitgerecht in heutigen Zeiten, wo Schicksale ganzer Länder per Mausklick entschieden werden können? Diese Frage stellt „Skyfall“ mehrmals, beantwortet sie dann emphatisch mit einem „nicht zeitgerecht, aber wirksam“, hat aber gleichzeitig mit diesen ernsten Themen seinen Spaß. So ist es etwa ein ziemlich gelungener Running Gag, wenn Silva mehrmals Bond großmütig ermahnt, doch das Rennen sein zu lassen.
Und trotzdem hängt über „Skyfall“ ein Hauch vom Ende einer Ära bzw. des Reboots eines Reboots – und das nicht nur aufgrund einer Entwicklung in der zweiten Filmhälfte, die für die Reihe einen entscheidenden Einschnitt bedeutet. War der Doppelpack aus „Casino Royale“ und „Ein Quantum Trost“ eine einzige Werdungsgeschichte, so zeigt „Skyfall“ nur vier Jahre später bereits einen Bond, der sich damit beschäftigen muss, dass er seine Arbeit nicht ewig ausführen kann, und vielleicht auch nicht will. Mutiger und harter Stoff für eine gefühlt gerade erst gestartete Reihe, auch wenn die durch die MGM-Pleite entstandene unfreiwillig lange Pause von vier Jahren zwischen „Quantum“ und „Skyfall“ diesem Thema durchaus in die Karten spielt. Ironisch, dass solche Fragen in den müdesten und ausgelutschtesten Bond-Filmen – jeweils zum Ende der Moore- und der Bosnan-Ära – nie gestellt wurden, sondern erst in dem vitalsten, mitreißendsten Bond-Film seit Langem.
Und so ist „Skyfall“ nicht nur der witzigste, sondern zugleich auch der elegischste Film der Craig-Ära. Das muss man erst einmal gelungen zusammen bringen, und dies gelingt, weil hier alle ihr Bestes geben. Hervorheben muss man hier noch mal Daniel Craig, der seinem Bond eine Dienstmüdigkeit gibt, als habe dieser in den vergangenen vier Jahren mal eben alle Abenteuer von „Dr. No“ bis „Stirb an einem anderen Tag“ erlebt. Oder aber auch Kameramann per excellence Roger Deakins, der „Skyfall“ zum vielleicht bestaussehendsten Bondfilm aller Zeiten macht. Und natürlich Sam Mendes, der über allem wacht und seiner Filmographie einen weiteren beeindruckenden Baustein zufügt. „Skyfall“ ist der Film für alle: Versöhnend mit klassischen Elementen und Verweisen ausgestattet für altgediente Bond-Fans, modern und psychologisch glaubwürdig genug, um ins Nach-Reboot-Universum der Craig-Reihe perfekt hinein zu passen. Also: Das Beste beider Welten und definitiv eines der Highlights dieser langlebigen Reihe. Herzlichen Glückwunsch, James Bond! Mit diesem Beitrag haben Sie sich das schönste Geschenk zum 50. Geburtstag selbst gemacht, 007!
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