London: Die russisch-stämmige Krankenschwester Anna (Naomi Watts) erlebt, wie eine minderjährige Russin bei der Kindsgeburt stirbt. Mithilfe des Tagebuchs der Verstorbenen versucht sie, deren Familie zu finden - und gerät dabei schnurstracks ins Milieu der Vory Z Zavore, der russischen Mafia, in Gestalt von Gangsterboss Semyon (Armin Müller-Stahl), seinem Sohn Kirill (Vincent Cassel) und dessen bestem Kumpel Nikolai (Viggo Mortensen). Während sich Anna nicht nur für das ziemlich bald ziemlich begehrte Tagebuch interessiert, sondern auch für den mysteriösen, gefährlichen Nikolai, werden innerhalb der Mafiafamilie Rechnungen beglichen und Intrigen gesponnen - die östlichen Versprechen, die Annas Abstecher in die Unterwelt verheißt, werden in der Tat tödlich....
Zweite Runde für David Cronenbergs neueste cineastische Liebe, den Gangsterfilm. Vor drei Jahren überraschte und verblüffte der Kanadier mit "A History of Violence", seinem merkwürdigen Gangsterdrama um einen Kleinstadthelden mit gewalttätiger Vergangenheit. Das Genre war neu, aber alte Vorlieben blieben: Das Abgründige war genau Cronenbergs Topos, ebenso wie die in Großaufnahmen genüsslich zelebrierte Verstümmelung von Körpern. Körper - sie sind die Konstante in Cronenbergs Schaffen, um die sich seine filmische Aufmerksamkeit dreht.
Natürlich ist Cronenberg auch ein Meister des mindfuck, mindestens so sehr wie ein gewisser Herr Lynch aus Montana. Aber soviel Horror sich in seinen Filmen auch in den Köpfen abspielt, letztendlich führt er zum Körper und seinen Metamorphosen zurück. Kopfhorror und explodierende Köpfe, Seelen- als Körperzustände: Dies ist Cronenbergs Welt. Und in dieser Welt findet er sich, über der neuen Genreform verhaftete Wege, auch in "Tödliche Versprechen" wieder.
Die Veränderung des Körpers - hier findet sie über die Tätowierungen statt, mit denen Mitglieder der russischen Mafia ihren Status dokumentieren. Der Körper als Fetisch wird darin deutlich, wie Cronenberg Viggo Mortensens drahtigen Torso abfilmt und damit das homoerotische Verlangen Kirills simuliert. Und natürlich in der unvergesslichen Nacktkampfszene im türkischen Bad. Scheint ein neuer Trend zu sein, schließlich trat auch "Beowulf" letztens im Adamskostüm zum Gefecht an. Aber die prüden, an "Austin Powers" gemahnenden "Penis-versteck-dich"-Spiele dort sind natürlich nichts für den kompromisslosen Cronenberg, der hier voll drauf hält. Ergebnis ist eine der unangenehmsten Kampfszenen aller Zeiten, in der man ständig zusammenzuckt ob der vollkommenen Schutzlosigkeit des gezeigten Körpers und der Brutalität, mit der er malträtiert wird. Großer Respekt natürlich auch für Viggo Mortensen for letting it all hang out, so mutig sind nicht viele.
Jenseits der Nacktszene ist hiermit klar: Viggo Mortensen hat den Aragorn endgültig und eindeutig hinter sich gelassen. Wo er in "A History of Violence" ja noch als vermeintlicher Gutmensch geschickt mit seinem Heldenimage spielte, erinnert er hier an frühe, düstere Rollen wie in Sean Penns "The Indian Runner" und liefert als Karrieregangster eine der besten Vorstellungen seiner eigenen Karriere ab.
Dem will der Rest der Besetzung natürlich nicht nachstehen, und so liefern auch Naomi Watts, Vincent Cassel und Armin Müller-Stahl hervorragende Leistungen ab. Gerade letzterer, nach seinem Umzug nach Hollywood ja nur selten über Nebenrollen und kaum gesehene Filme hinausgekommen, läuft hier noch mal zu ganz großer Form auf. Als Mafiaboss ist jeder Satz von ihm eine subtile Drohung, jede Geste ein in der Luft hängendes Todesurteil, alles unter der charmanten Fassade des netten älteren Herrn. Denn wenn "Tödliche Versprechen" neben einem Thriller mit klassischen Zügen eines ist, dann ein Maskenspiel, in dem sich unter den zarten Gesichtszügen Annas Mut und Stärke versteckt, in dem hinter der glatten, brutalen Fassade Nikolais vielleicht eine kaum für möglich gehaltene Menschlichkeit lauert und das Gesicht eines netten Opas die Maske für das so banale wie schreckliche Antlitz des absolut Bösen ist.
Teil dieses Maskenspiels ist hier wiederum besonders das Spiel mit sexuellen Identitäten, noch so ein Lieblingsthema von Cronenberg, das sich vom Erstling "Parasiten-Mörder" über "Videodrome" und den Skandalfilm "Crash" bis hin zu "Spider" und "A History of Violence" durch fast jedes seiner Werke zieht. Und wie auch in "A History of Violence" vollzieht er hier den logischen Gedankenschritt zwischen Sex und Gewalt. Dort gab es zwei Sexszenen, eine zärtliche, feminine und eine brutale, maskuline als Kontrast zur Veranschaulichung der Veränderung der Charaktere.
Hier zeigt Cronenberg, wie eng Sex und Gewalt, beides eine Penetration des Körpers des Anderen, zusammenliegen (auch noch mal überdeutlich in der besprochenen Kampfszene, in der die Killer nicht mit Knarren kommen, sondern mit Messern. Phallischer geht's ja kaum). Und er zeigt, wie sich sexuelle Dynamik, auch und gerade in Männerkreisen, auswirkt. Der eine kompensiert seine sexuelle Begierde durch Ersatzhandlungen (Kirill sieht Nikolai beim heterosexuellen Sex zu, weil er niemals homosexuellen Sex mit ihm haben kann), während Nikolai diese offensichtliche Anziehung nutzen will, um in der Mafiahierarchie aufzusteigen. Und das alles pikanterweise vor dem homophoben Hintergrund der russischen Mafia, in der es fast noch schlimmer ist, ein "queer" zu sein, als getötet zu werden.
Spötter reden nach den schwulen Cowboys des "Brokeback Mountain" nun vielleicht schon von den schwulen Mobstern in "Tödliche Versprechen", aber dieses Thema als Diskussion groß aufzubauschen wäre dem Film gegenüber ungerecht. Es ist schließlich nicht das Hauptthema, sondern lediglich einer der vielen Facetten, die diesen Film zu einem großen Film machen, und nicht nur einem 08/15-Parcours durch Genrebausteine. Lob daher auch an Drehbuchautor Stephen Knight, der Cronenbergs Abhandlung mit seinem Skript kongenial unterstützt.
Metamorphose als Thema, Metamorphose als Methode: Cronenberg ist der von Neil Young besungene Transformer Man, der dank inhaltlicher Tiefe und nie zu überzogen eingebauten Subtexten auch aus reinem Genrematerial noch ganz großes Kino macht. "Tödliche Versprechen" ist so auch strukturell klassisch, mit vielen Standards des Gangsterfilms, aber ohne deren klischierte, stereotype Seite. Und auch ohne die seltsamen Abstecher ins Cartoonhaft-Überzogene, die "A History of Violence" so unausgegoren machten. Jener Film mag damals so merkwürdigerweise wie unverdient ausschließlich (oder fast: wir sahen's anders) Kritikerlob eingeheimst haben, aber wenn Cronenberg einen großen Gangsterfilm abgeliefert hat, dann ist das "Tödliche Versprechen". Weil er deutlich mehr als ein Gangsterfilm ist, nämlich ein reiches Drama mit einigen Überraschungen und voller faszinierender Charaktere.
Natürlich wird Cronenberg auch hiermit wieder polarisieren und nicht jeder wird ihm auf seinen dunklen Wegen folgen wollen. Aber so endet immerhin das eher Höhepunkt-arme Kinojahr 2007 pünktlich zu Weihnachten mit einem Geschenk für Cineasten - Besinnlich nein, Bescherung ja. Die Versprechen des Films hat Cronenberg auf jeden Fall eingelöst. Darauf eine Sterntätowierung und einen Wodka. Za Vashe Z-Dorovye!
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