Anfang der 80er Jahre befanden sich zwei Regisseure im Zenit ihrer Anerkennung unter Horror- und Genrefans, denn beide hatten sich über damalige Konventionen sprengende Frühwerke ins große Hollywoodkino vorgearbeitet, blieben aber auch dort interessant und originell. Doch während es für einen John Carpenter seitdem sowohl kreativ als auch kommerziell fast kontinuierlich bergab ging, hat dessen Kollege David Cronenberg in den letzten 25 Jahren gleich mehrere sehr unterschiedliche Phasen durchlaufen.
Nach seinem größten Erfolg im Mainstream-Kino mit „Die Fliege“ bewegte sich der Kanadier zunächst in immer abseitigere Gefilde, sei es mit dem surrealen „Naked Lunch“ oder dem von vielen als Skandal empfundenen Selbstverstümmelungs-Fest „Crash“. Zuletzt verlegte Cronenberg seinen berüchtigten „Body Horror“ etwas weg aus dem phantastischen Bereich und mit „A History of Violence“ und „Eastern Promises“ stattdessen in die Unterwelt des Verbrechens, was ihm dann auch wieder ein größeres Publikum bescherte – künstlerisch relevant war er über die Jahre eh immer geblieben. Sein neuestes Werk dürfte nun aber selbst eingefleischte Fans verblüffen, denn einen historischen, von ausufernden Dialogen dominierten Kostümschinken hätte man von Cronenberg wohl trotz aller Unberechenbarkeit nicht erwartet. Bei etwas genauerem Hinsehen entpuppt sich „Eine dunkle Begierde“ jedoch als im Grunde fast logische Fortführung, wenn nicht gar vorläufiger Endpunkt im von physischen und psychischen Verformungen geprägten Oeuvre des Filmemachers.
Anfang des 20. Jahrhunderts revolutionieren die Erkenntnisse der Psychoanalyse die traditionelle Schulmedizin, wobei sich insbesondere die Professoren Carl Gustav Jung (Michael Fassbender) und Sigmund Freud (Viggo Mortensen) hervortun und mit ihren Thesen oft das Missfallen konservativer Kollegen erregen. Doch auch zwischen Zürich und Wien gibt es durchaus Uneinigkeit in der Behandlung psychisch kranker Menschen, denn während Freud diese grundsätzlich auf eine sexuelle Komponente zurückführt, sucht Jung nach einem weitläufigeren Ansatz. Zum ihr Verhältnis zueinander entscheidend prägenden Faktor entwickelt sich die junge Russin Sabina Spielrein (Keira Knightley), die zunächst als hysterische Patientin von Jung behandelt wird. Eine Behandlung, die so erfolgreich verläuft, dass sie schließlich in eine leidenschaftliche Affäre übergeht, bei der der verheiratete Familienvater Jung seine moralischen Prinzipien über Bord wirft. Seinem Ansehen bei Kollege Freud ist das nicht unbedingt zuträglich, doch auch dieser wird später noch seine eigenen Erfahrungen mit dem faszinierenden Fräulein Spielrein machen.
Dieser Ausflug zu den Anfängen der Psychoanalyse fügt sich deshalb so folgerichtig in das Gesamtwerk David Cronenbergs, da es in dessen Filmen neben den gelegentlich bis zum Exzess getriebenen körperlichen Verformungen stets auch um die mentalen Probleme seiner Protagonisten ging, man denke dabei exemplarisch nur an die von Jeremy Irons verkörperten Zwillinge in „Die Unzertrennlichen“ oder den als „Spider“ in den Wahnsinn abdriftenden Ralph Fiennes. Der in Deutschland zum etwas sensationshaschenden „Dunkle Begierde“ umgetitelte und im Original schlicht „A Dangerous Method" betitelte Film beruht dabei auf einem Theaterstück von Christopher Hampton, der auch gleich selbst das Drehbuch für die Adaption verfasst hat. Und das erklärt auch schon so ziemlich, warum wir es hier nun mit einem sehr dialoglastigen Werk zu tun haben, dass zudem von nur wenigen Charakteren bestimmt wird.
Diese Gespräche bilden dann (neben der vorzüglichen Ausstattung) auch die Höhepunkte der Geschichte und es macht durchaus Freude den mit zahlreichen Anspielungen und manchmal auch Bosheiten gespickten Konversationen der Herren Jung und Freud zuzuhören, sei es von Angesicht zu Angesicht oder über den damals halt noch üblicheren Weg des Gedankenaustausches per Brief. Der von Viggo Mortensen äußerst selbstbewusst und in sich ruhend verkörperte Sigmund Freud spielt dabei allerdings klar die zweite Geige hinter seinem der Weltöffentlichkeit nicht ganz so bekannten Kollegen/Gegenspieler Carl Jung. Demnach gehört der Film zu großen Teilen Shooting-Star Michael Fassbender, der hier nach seinem Ausflug in den Superhelden-Kosmos von „X-Men: Erste Entscheidung“ wieder zu seinen Theaterwurzeln zurückkehrt und dabei einmal mehr seine Wandlungsfähigkeit beweist und nahezu völlig hinter der von ihm sehr fein und subtil dargestellten Figur verschwindet. Etwas schwerer fällt dagegen die Bewertung der Leistung von Keira Knightley, die hier prinzipiell zwar in den von der Oscar-Akademie so gern gekrönten Kategorie „Mental gestört, aber liebenswert“ agiert, mit ihrem wilden Blick und körperlichen Verrenkungen aber andererseits auch mehr als nur einmal etwas grenzwertig chargiert.
Die Gefahr, dass Cronenberg mit diesem natürlich völlig Action- und Effektefreien Kammerspiel ein paar langjährige Fans verscheucht, ist sicher gegeben, doch wird er das im Tausch gegen einen Teil des Arthouse-Publikums verkraften können. Auch für dieses gilt aber: Obacht und Konzentration, denn es ist kein einfacher sondern ein mitunter recht anstrengender Film, der sich auch fleißig beim Fachvokabular der Wissenschaftler bedient. Kein Meisterwerk, aber allemal ein sehr interessanter Blick in die menschliche Psyche und auf die immer wieder neu auftretenden Fragen nach Moral und Integrität, angesichts - nun ja - „dunkler Begierden“.
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